Kaufen, lesen, profitieren!
Aktuelle Informationen, gründliche Recherchen, konkrete Empfehlungen: €uro am Sonntag weiß, wie die Finanzwelt funktioniert.
Das Börsenjahr 2019 begann mit einem Kursfeuerwerk. Die meisten Investoren waren überrascht, wie schnell sich die Aktienmärkte von ihrem Schwächeanfall des Vorjahres erholten. Doch die alten Zweifel bleiben: Eskaliert der globale Handelsstreit? Macht die Weltwirtschaft schlapp? Bricht Europa auseinander? So richtig trauen die Marktteilnehmer dem jüngsten Börsenfrieden nicht. Nach zehn Jahren Hausse, so denken viele, ist die Zeit reif für einen Rückschlag.
Was liegt da näher, als die Lage mit Deutschlands führenden Geldprofis zu besprechen. €uro am Sonntag hat die Top-Vermögensverwalter versammelt - diesmal im Gasthaus zur Fernsicht auf der Schweizer Seite des Bodensees. Die Finanzexperten bewerten Aktien zwar weiter optimistisch. Sie sehen aber auch Warnsignale, vor allem für Europa.
€uro am Sonntag: Die Wall Street
hat 2019 schon wieder neue Rekordmarken erreicht. Der DAX hingegen
befindet sich nominell noch in einem Bärenmarkt. Bullen oder Bären - wer behält die Oberhand an den Börsen?
Aktuelle Informationen, gründliche Recherchen, konkrete Empfehlungen: €uro am Sonntag weiß, wie die Finanzwelt funktioniert.
Philipp Vorndran:
Kaufen, lesen, profitieren!
Hendrik Leber: Ich bin eher skeptisch. Es gibt zwei bedenkliche Trends: Der Anstieg der Unternehmensgewinne kommt fast nur noch aus dem Tech-Sektor, und der einzige Kurstreiber sind Aktienrückkäufe. Der Markt ist künstlich aufgeblasen. Da müssen die Kurse eigentlich erst mal runter.
Michael Reuss: Aber nur eigentlich. Denn zum einen sorgt die expansive Geldpolitik der Notenbanken dafür, dass es keine großen Verwerfungen an den Finanzmärkten mehr gibt. Zum anderen sind Anleihen wegen der tiefen Zinsen leider noch lange keine Alternative zu Aktien. Unterm Strich heißt das: kein euphorischer Bullenmarkt, aber immer noch leicht steigende Börsen.
Jens Ehrhardt: Richtig. Viele sagen, die Aktienkurse sind zehn Jahre gestiegen, jetzt müssen sie runterkommen. Aber das stimmt nicht. Die ultraexpansive Geldpolitik hat die alten Börsenzyklen abgeschafft.
Die EZB und die Fed haben gerade deutlich gemacht, dass sie bereit sind, die Geldpolitik zu lockern. Die Fed würde damit eine Forderung von Donald Trump erfüllen. Muss sie nicht hart bleiben, um ihre Unabhängigkeit zu wahren?
Ehrhardt: Nein. Die Fed muss die Zinsen senken. Wahrscheinlich schon im Juli. Die inverse US-Zinskurve ist ja ein deutliches Zeichen, dass sie zu stark gebremst hat. Wenn Trump sie nicht so gedrängt hätte, hätte sie vermutlich schon im Juni die Zinsen gelockert.
Nehmen wir mal an, die Fed wird so handeln: Kommt diese Zinssenkung noch rechtzeitig?
Ehrhardt: Laut der Fed von New York liegt die Rezessionsgefahr für die USA jetzt bei 29 Prozent. Das klingt nicht sehr hoch. Aber in der Vergangenheit kam es immer zur Rezession, wenn diese Wahrscheinlichkeit bei mehr als 30 Prozent lag. Es kann also sein, dass die Börse im Herbst noch mal in ein Loch fällt. Aber mittelfristig werden Notenbank und Politik die Konjunktur stimulieren, die Hausse wird weiterlaufen.
Reuss: Es gibt noch ein Argument für steigende Kurse: Wir merken zunehmend, dass die Hemmschwelle gegenüber Aktien fällt. Bei Stiftungen, die keine Erträge mehr erwirtschaften, und bei Firmen mit viel Cash, die Strafzinsen zahlen. Die fragen sich heute: Was ist sicherer? Die Nestlé-Aktie mit 2,7 Prozent Dividendenrendite. Oder das Festgeld, das jedes Jahr um 0,5 Prozent schrumpft? Da kommt noch frisches Geld an die Aktienmärkte.
Trotzdem warnen Ökonomen, dass sich die Weltkonjunktur abkühlt. Was, wenn die Unternehmensgewinne stagnieren?
Vorndran: Auch dann kommt man an Aktien nicht vorbei. Global liegt ihre Gewinnrendite bei 6,5 Prozent, die globale Anleiherendite bei gut einem Prozent. Bei langfristig stabilen Unternehmensgewinnen wirft ein Investment in den MSCI World im Durchschnitt pro Jahr gut fünf Prozentpunkte mehr ab als Bonds.
Leber: Die Unternehmensgewinne werden in der Breite aber nicht stagnieren, sondern schrumpfen. Alle Geschäftsfelder sind im Umbruch. Die Firmen müssen massiv investieren, um zu überleben. Und keiner weiß, ob sich die Investitionen jemals auszahlen. Man muss sich die richtigen Unternehmen herauspicken, wenn man mit Aktien künftig ordentliche Renditen einfahren will.
Sie sind noch mit keinem Wort auf den weltweiten Handelsstreit eingegangen. Wenn er eskaliert, sieht es für die Börse doch erst recht übel aus.
Leber: Ja, ich mache mir große Sorgen. Das wird ganz furchtbar in den nächsten Jahren. Ich habe meine Aktienpositionen abgesichert. Trump ist wie ein Elefant, der durch den Porzellanladen läuft und alles zerdeppert. Die ganze Welt hat in den vergangenen 30 Jahren vom freien Warenverkehr profitiert. Davon, dass Zölle sinken und intellektuelles Eigentum geschützt wird. Das alles wird jetzt zerstört. Die Welt wird kleinteiliger und misstrauischer. Der Vertrauensverlust kostet die Firmen viel Geld. Ehrhardt: Das ist aber kein Trump-Thema. Die USA wollen einen Deckel auf Chinas Wirtschaftswachstum halten. In diesem Punkt sind sich Republikaner und Demokraten völlig einig.
Unter einem Handelskrieg würde auch die US-Wirtschaft leiden. Braucht Trump für den Wahlkampf 2020 nicht einen Deal?
Reuss: Selbst dann wird keine Ruhe einkehren. Hier kämpfen zwei inkompatible Wirtschaftssysteme gegeneinander - eine freie Marktwirtschaft und eine staatlich gelenkte.
Vorndran: Völlig richtig. Hier geht es nicht um Zölle, sondern um den künftigen Status als globale Supermacht. Dass China die USA früher oder später ablöst, steht fest. Aber die Amerikaner wollen den Zeitpunkt dafür so lange wie möglich hinauszögern. Der Konflikt wird Volkswirtschaften und Finanzmärkte in den kommenden 15 bis 20 Jahren immer wieder belasten. Allerdings sind die USA als wenig exportabhängige, binnenmarktorientierte Volkswirtschaft viel besser dafür gerüstet als Europa. Europa könnte zum Schlachtfeld werden, auf dem der Streit ausgetragen wird.
Leber: Die ersten Auswirkungen sind schon da. Beispiel Infineon: Der Konzern musste sich einem US-Dekret beugen und liefert seine Produkte nicht mehr an Huawei aus. Am Ende werden sich die Unternehmen generell auf eine Seite schlagen müssen: Produzieren sie für China oder die USA? So brechen ihnen ganze Märkte weg. Es wird ein Riss quer durch die europäische Wirtschaft gehen und durch die ganze Welt.
Europa hat schon genug Probleme. Wenn der Kontinent auch noch zwischen den Supermächten zerrieben wird, sollte man europäische Aktien wohl besser meiden.
Leber: So pauschal kann man das nicht sagen. Mir ist eigentlich wurscht, wo ein Unternehmen sitzt. Hauptsache, es hat eine starke Marktstellung.
Ehrhardt: Fest steht aber: Europa und gerade Deutschland bekommen die größten Probleme, wenn der Welthandel einknickt. Deutschland hat eine Exportquote von fast 50 Prozent, Amerika, China und Japan haben rund 15 Prozent.
Wie hoch sollte demnach der Anteil Europas in einem globalen Aktienportfolio sein?
Leber: Das ergibt sich bei uns daraus, wie viele Top-Firmen wir hier noch finden. Aktuell vielleicht 30 Prozent.
Wird der Brexit Europas Börsen noch zusetzen oder ist der schon eingepreist?
Ehrhardt: Ich habe den Brexit lange auf die leichte Schulter genommen. Ich dachte, die Briten können ja nicht so unvernünftig sein, den gemeinsamen Markt kaputt zu machen. Aber wenn Boris Johnson wirklich Premier wird, bringt er das wohl fertig.
Vorndran: Der Brexit ist für die globalen Volkswirtschaften doch so was von irrelevant. Nur zweieinhalb Monate muss Chinas Wirtschaft wachsen, um einen Konjunktureinbruch um fünf Prozent in Großbritannien auszugleichen.
Leber: Das sehe ich ganz anders. Die realen Brexit-Kosten kommen erst noch, das hat die Börse noch nicht antizipiert. Im Gegenteil: Im Moment profitiert die Konjunktur sogar von Hortungskäufen. Die Unternehmen decken sich ein, weil sie nicht wissen, wie lange sie noch beliefert werden. Aber irgendwann kommen die Zölle auf Airbus-Flügel, auf Autos und so weiter. Das wird die Unternehmensgewinne belasten.
Aber niemand zwingt die EU, auf britische Waren künftig Zölle zu erheben.
Leber: Klar, all die Streitigkeiten könnten zu wunderbaren Ergebnissen führen. Aus Trumps Zollstreit könnte eine Null-Zoll-Welt entstehen. Der Brexit könnte einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum ohne politischen Ballast schaffen. Aber daran glaube ich nicht. Die Politiker handeln so, dass der maximale Schaden entsteht.
Reuss: Und wenn der Brexit für Großbritannien ökonomisch ein Erfolg wird, ist das auch keine gute Nachricht. Dann wollen die anderen Länder auch raus aus der EU, und der Euro zerfällt. Das würde heftige Turbulenzen auslösen.
Rom und Brüssel streiten schon jetzt heftig ums Schuldenmachen. Ist das der Keil, der die Eurozone spaltet?
Vorndran: So weit sind wir noch nicht. Das Erfreuliche an dem Streit ist sogar: Endlich herrscht Klarheit über den Euro. Er ist keine neue D-Mark, wie die Deutschen lange hofften, sondern entwickelt sich definitiv in Richtung einer zweiten Lira, zu einer Weichwährung. Mit einer Zentralbank, die ständig eingreifen muss. Und mit Defizitkriterien, die keiner ernst nimmt.
Warum hält sich diese "Weichwährung" dann so hartnäckig über 1,11 Dollar?
Vorndran: Seit der Finanzkrise ist der Euro schon von knapp 1,60 auf 1,12 Dollar gefallen. Im Moment hält er sich dort nur, weil der Markt erwartet, dass die Fed dreimal die Zinsen senkt und die EZB nur einmal. Sobald die Erkenntnis durchsickert, dass die Wirtschaft in der Eurozone viel wackeliger ist als in den USA und dass Mario Draghi am Ende seiner Amtszeit noch mal tief in die Trickkiste der Geldpolitik greifen muss, wird der Euro unter 1,10 absacken. Und langfristig wird er noch weiter fallen.
Düstere Aussichten für Euro-Anleger. Was können sie tun?
Vorndran: Die Deutschen müssten den riesigen Euro-Anteil in ihren Portfolios dringend herunterfahren. Nicht nur wegen der Währungsentwicklung. Wir haben mal analysiert, wie sich die Gewinnschätzungen für amerikanische und europäische Unternehmen im Jahresverlauf entwickeln - als Durchschnitt über die letzten zehn Jahre. Im Januar rechneten die Analysten in den USA und in Europa im Schnitt mit einem ähnlichen Gewinnwachstum von ungefähr zwölf Prozent. Am Jahresende lagen die Schätzungen dann aber weit auseinander: in den USA bei plus neun, in Europa nur bei plus einem Prozent. Deutsche Aktienanleger verlieren durch ihren Home Bias sehr viel Geld.
Ehrhardt: Für die deutsche Börse sehe ich ohnehin eher schwarz. Sie hängt stark von den Autowerten ab. Und die bergen gewaltige Risiken. Fast alle Hersteller setzen ausschließlich auf E-Mobilität und investieren dort massiv. Das treibt die Abschreibungen hoch und die Gewinne runter.
Reuss: Ich fürchte, die deutsche Autoindustrie wird abgehängt. Ihre Kompetenz ist der Verbrennungsmotor - ein Auslaufmodell. Ob er vom Elektroantrieb, der Brennstoffzelle oder von einem Mix aus beidem abgelöst wird, spielt dabei keine Rolle.
Welche Aktien sind denn attraktiv?
Ehrhardt: Deutsche Versorger sind interessant. Die hängen nicht von der Exportwirtschaft ab, bieten Dividendenrenditen so um die vier Prozent, und ihre Kurse sind recht stabil. Längerfristig eine gute Alternative zu Anleihen.
Reuss: Wir finden nach wie vor US- Technologiewerte spannend, Alphabet etwa. Der Konzern erreicht Milliarden Nutzer, investiert in viele Zukunftsthemen wie das autonome Fahren und hat einen Cash-Bestand von mehr als 100 Milliarden Dollar. Da lohnt sich der Einstieg bei einem KGV von 20 bis 25.
Führende US-Politiker fordern eine Zerschlagung des Konzerns.
Reuss: Auch das wäre kein Beinbruch, wenn man einen langen Atem hat. Das zeigen Telekom- und Ölkonzerne wie AT & T und Standard Oil, die schon viel früher zerschlagen wurden. Ihre Einzelteile waren an der Börse am Ende mehr wert als vorher der Gesamtkonzern.
Sollten deutsche Anleger auch verstärkt chinesische Aktien kaufen, wenn China die neue Supermacht wird?
Leber: Unbedingt. Chinas Bedeutung und die Qualität chinesischer Produkte werden noch stark unterschätzt. Auch in den Weltaktienindizes ist China bisher völlig unterrepräsentiert.
Vorndran: Eines darf man aber nicht vergessen: China ist kommunistisch, und Präsident Xi Jinping strebt den Marxismus 4.0 an. Für Aktionäre ist das schlecht, weil die Partei in allen großen Unternehmen mitmischt und der Erhalt von Arbeitsplätzen grundsätzlich über der Gewinnrendite steht. Ich habe mit dem Finanzvorstand eines sehr großen chinesischen Konzerns gesprochen. Er sagt, sie haben 1,3 Millionen Mitarbeiter, brauchen aber nur 650 000. Würde er einen Mitarbeiter entlassen, wäre er der Nächste, der gefeuert wird. Auch deshalb haben die vielen halbstaatlichen Unternehmen in China sehr geringe Margen, und der rasante ökonomische Aufstieg des Landes spiegelt sich überhaupt nicht in den chinesischen Indizes wider.
Ehrhardt: Stimmt. Chinas Börse nimmt einfach keine Fahrt auf. Auch weil sie von Neuemissionen geradezu überschwemmt wird und das Aktienangebot ständig wächst. Intransparenz, fragwürdige Bilanzen und mangelnde Corporate Governance kommen noch hinzu. In Hongkong gibt es gute Unternehmen. Aber in China selbst haben wir seit Jahren keine Aktien gekauft.
Werfen wir noch einen Blick auf den deutschen Immobilienmarkt. Hier sorgt die Politik für kräftigen Gegenwind: Der Berliner Senat deckelt die Mieten und Juso-Chef Kevin Kühnert hat eine Enteignungsdebatte losgetreten. Geht der Boom des Betongolds zu Ende?
Reuss: Ja. Wenn sich ein Großteil der Bevölkerung das Wohnen in seiner angestammten Region nicht mehr leisten kann, dann ist das sozialer Sprengstoff. Da geht es um ein Grundbedürfnis und um Wählerstimmen. Deshalb wird die Politik immer stärker einschreiten, zugunsten der Mieter und auf Kosten der Eigentümer. Eine neue Eigentumswohnung in München oder Frankfurt ist aktuell kein attraktives Investment mehr.
Vorndran: Fallen werden die Immobilienpreise aber nicht. Das Eingreifen der Politik sorgt ja dafür, dass noch weniger Wohnraum geschaffen wird.
Reuss: Steigen werden die Preise aber auch nicht mehr sonderlich stark. Wer heute kauft, steigt auf historisch hohem Niveau ein. Und wenn er die Nebenkosten - Notar, Amtsgericht, Grunderwerbsteuer und so weiter - bezahlt hat, dann startet er sein Investment gleich mal mit einer Performance von minus zehn Prozent. Bei einem Aktienportfolio würde das keiner akzeptieren, obwohl es mittelfristig weit bessere Renditen verspricht.