Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Vermögen geerbt und wissen nichts davon. Absurd? Keineswegs. Dass solche Fälle gar nicht so selten sind, lässt sich nicht nur an regelmäßig im Bundesanzeiger erscheinenden Erben-Suchanzeigen ablesen, sondern auch daran, dass es in Deutschland geschätzt mehrere Hundert private Erbenermittler gibt.

Gehört haben wir wohl fast alle schon einmal von ihnen, aber ob es sich hierbei tatsächlich um seriöse Dienstleistungen handelt, wissen wir nicht immer einzuschätzen. Dass wir Mails, in denen uns unbekannte Menschen angeblich Millionen zukommen lassen wollen, möglichst rasch löschen sollten, hat sich mittlerweile weitgehend herumgesprochen. Aber kann es tatsächlich sein, dass uns Unbekannte einen Geldsegen bringen? "Ja", sagt Knut Werner Lange, Rechtswissenschaftler an der Universität Bayreuth, "und zwar häufiger, als man denkt." Viele glauben zwar, im Erbfall würde der Staat aktiv, was aus Langes Sicht auch angebracht wäre. "Die Praxis sieht aber anders aus."

Keine Pflicht zur Nachforschung

Um zu verstehen, warum das so ist, hilft es, einen Blick auf das deutsche Erbrecht und die Abläufe im Todesfall zu werfen. Zuständig ist immer zunächst das im Amtsgericht ansässige Nachlassgericht des Bezirks, in dem der Verstorbene zuletzt gewohnt hat. Verstirbt eine Person, ohne ein gültiges Testament zu hinterlassen, fällt die Erbschaft an die gesetzlichen Erben. Melden sich diese nicht von sich aus, beauftragt das Gericht einen Nachlasspfleger. Dessen vordringlichste Aufgabe ist es, das Erbe zu sichern: Er löst beispielsweise die Wohnung auf und ermittelt vorhandene Werte. Und er kann sich auch auf die Suche nach möglichen Erben machen. Eine gesetzliche Pflicht zur Erbenermittlung von Amts wegen gibt es Deutschland allerdings nicht. Lediglich in Bayern schreibt eine Landesregelung dies vor.

Verzwickte Ausgangslage

Das heißt nicht, dass Nachlasspfleger sich nicht trotzdem bemühten, wie Lange betont. Um ihre Ausgangslage sind sie dabei nicht zu beneiden. Denn anders als fast überall im Ausland, wo gesetzliche Erbfolgen oft nur bis zu den Großeltern zurückgehen, ist das deutsche Erbrecht unendlich. Finden sich keine nahen Verwandten, müssen alle in Betracht kommenden gesetzlichen Erben gesucht werden - und die sind nach zwei Weltkriegen, Vertreibung und angesichts der Tatsache, dass wir immer mobiler werden, oft weit verstreut.

Nachlasspfleger haben in der Regel weder die Zeit noch die Möglichkeiten, dies zu leisten. Zudem befinden sie sich in einer verzwickten Situation: Denn sie werden für ihre Arbeit aus dem Nachlass bezahlt - und zwar nach Stundensätzen. Das heißt: Sie könnten zwar ein Interesse haben, ihren Einsatz auszuweiten. Andererseits kann es schnell passieren, dass man ihnen allzu langwierige und kostenintensive Recherchen zum Vorwurf macht. Finden sie hingegen keinen Erben, schnappt sich nach 30 Jahren der Fiskus den Nachlass. Aus subjektiver Sicht, so Rechtswissenschaftler Lange, mag es dem Nachlasspfleger also durchaus legitim erscheinen, die Recherchen nicht ausufern zu lassen.

Geldsegen durch Nichtstun

Und auch der Staat, fürchtet er, habe möglicherweise wenig Interesse, "das rudimentär ausgebildete System" zu erweitern. Dieser ist sowohl Akteur als auch Profiteur der bestehenden Praxis. Auch wenn, so Schätzungen, bei etwa 900.000 Todesfällen wohl nur in zwei bis drei Prozent tatsächlich das Erbe an den Fiskus fällt - am Ende kommt schon einiges zusammen. Gelegentlich, bemängelt Lange, würde behauptet, dem Staat fielen nur überschuldete Nachlässe zu. Die Zahlen einer seiner Doktorandinnen sprechen jedoch eine andere Sprache. Für das Jahr 2016 ermittelte sie einen Überschuss von 32 Millionen Euro, den die Länder vereinnahmen. Neuere Zahlen fanden sich nicht. Dass sich die Summe von 2008 bis 2016 jedoch beinahe verdoppelt hat, lässt Rückschlüsse für die Zukunft zu.

Hilfe von privaten Ermittlern

Wissenschaftler Lange näherte sich dem Thema Erbenermittlung sozusagen auf Umwegen. Seine Doktorandin hatte sich zunächst mit der Problematik sogenannter nachrichtenloser Konten befasst. Hier lagern geschätzt sogar Milliarden, die eigentlich an Erben weitergereicht werden müssten - die aber auch in diesem Fall ahnungslos sind.

Die Recherchen dazu gestalteten sich dann mehr als schwierig. Was Lange zu der Fragestellung brachte, wie unbekannte Erben in Deutschland überhaupt zu ihrem Recht kommen - und welche Rolle dabei private Erbenermittler spielen.

Beatrice Eisenschmidt, Geschäftsführerin von German Roots, ist so eine Erbenermittlerin. Seit mehr als 14 Jahren machen sie und ihr Team das, was der Staat nicht leistet. Sie begeben sich auf eine langwierige Suche, graben in Archiven, Unterlagen von Standesämtern oder in Kirchenbüchern. Eine Arbeit, so die studierte Betriebswirtin, für die man nicht nur detektivischen Spürsinn braucht, sondern vor allem Leidenschaft. Denn so aufregend, wie es mitunter klingt, ist die Sache nicht, auch wenn die Nachforschungen häufig ins Ausland führen.

Die meiste Zeit, erläutert sie, sitzen die Rechercheure heute am Computer oder suchen vor Ort in verstaubten Archiven - und das bisweilen über Jahre. Eisenschmidt hat gerade wieder selbst einen Fall erfolgreich abgeschlossen - nach einem Jahrzehnt. "Drei, vier, fünf Jahre", stellt sie klar, "dauert die Suche fast immer."

Auch Erben lassen suchen

Beauftragt werde sie dabei keineswegs immer vom Nachlassgericht. Mitunter bitten auch die Erben selbst um Hilfe. Beispielsweise, weil sie zwar wissen, dass es noch weitere Familienzweige gibt, zu diesen aber seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr haben - und auch keine Ahnung, wohin es die Verwandten verschlagen hat. Auch unvollständige Erbengemeinschaften fragen mitunter an. Denn lässt sich ein Mitglied nicht auftreiben, sind die anderen oft nicht handlungsfähig.

Dabei entscheiden die Ermittler immer selbst, ob sie überhaupt tätig werden, denn seriöse Vertreter arbeiten "auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko", wie Eisenschmidt das formuliert. Konkret bedeutet das, dass sie für kostenpflichtige Behördenauskünfte oder Zugänge zu Datenbanken ebenso in Vorleistung gehen müssen wie für ihre Reisen oder Übersetzungen von Dokumenten. Und sind sie erfolglos, bleiben sie auf ihren Kosten sitzen.

Ihr Engagement lohnt sich also überhaupt nur, wenn der Nachlass werthaltig ist. Entsprechend werden die Ermittler auch von Nachlasspflegern nur in Fällen mit positivem Reinnachlass eingeschaltet. Bei welcher Summe die Grenze liegt, sagt die Expertin, hänge davon ab, wie hoch der Ermittler den zu erwartenden Aufwand einschätzt. Etwa 25.000 Euro, so ihre Vermutung, "sind aber wohl das Minimum".

Potenzielle Erben dagegen profitieren eigentlich immer - vorausgesetzt, sie haben sichergestellt, dass der Ermittler seriös arbeitet und sich zum Beispiel dem Ehrenkodex des Verbands Deutscher Erbenermittler verpflichtet. Eine verbindliche Honorarregelung wie etwa für Rechtsanwälte oder Notare gibt es auch hier nicht, man hat sich aber einen Rahmen gegeben.

Neben der Provision, die (wie inzwischen mehrfach gerichtlich bestätigt wurde) bis zu einem Drittel des Erbes betragen kann, müssen die Erben in der Regel zwar auch noch verschiedene Gebühren zahlen. Die oft befürchtete Gefahr, dass der Einsatz mit Erbschaftsteuer und ähnlichen Kosten am Ende mehr kostet als einbringt, besteht jedoch nicht.

Erben machen immer Plus

Summen, wie sie in den eingangs erwähnten Fake-Mails versprochen werden, bleiben am Ende zwar meist auch nicht übrig. Dass die Summe aber fünf- oder auch sechsstellig ist, kommt wiederum gar nicht so selten vor, weiß Ermittlerin Eisenschmidt. Und die Honorare für sie oder ihre Kollegen werden bei der Bemessung der Erbschaftsteuer als Erbfallkosten vollständig berücksichtigt.

Auch Rechtsexperte Lange bewertet die Arbeit der Erbenermittler daher grundsätzlich als durchaus positiv. Gleichzeitig sieht er aber auch bei ihrem Einsatz einen größeren Regelungsbedarf des Staats. Derzeit, so seine Kritik, sei nirgendwo festgelegt, wann private Akteure eingeschaltet werden dürfen und welchen Rechtsstand sie dann haben. Möglicherweise, so Lange, sind sogar Konstellationen denkbar, in denen eine Einschaltung zwingend geboten wäre - bevor der Fiskus zulangt.

Viele Verbesserungswünsche

So ist die Liste denn auch lang, die Lange zur Verbesserung der Erbenermittlung aufstellt. Sie fängt bei einer besseren Ausstattung der Nachlassgerichte an, in denen oft überlastete und überforderte Berufseinsteiger mit diesen Aufgaben betraut sind, und reicht über die Schaffung klarer rechtlicher Rahmenbedingungen für Nachlasspfleger und Erbenermittler bis zur Entwicklung eines Problembewusstseins bei den Erblassern selbst.

Anders als in anderen Ländern sterben in Deutschland die meisten Menschen, ohne ein Testament zu machen und oft auch ohne eine Konten- oder Vermögensübersicht - einfach im Vertrauen darauf, dass der Staat das regelt. Genau das aber tut er nicht.
 


Wer macht was im Erbfall:

Stirbt ein Angehöriger, sind Erben oft überfordert. Zum einen, weil nur wenige Menschen ihr Erbe klar regeln. Zum anderen, weil die Abläufe kompliziert sind. Hier ein kleines Einmaleins für den Ernstfall:

Nachlassgericht: Zu den wichtigsten Aufgaben gehört die Verwahrung von Testamenten und Erbverträgen. Finden Angehörige ein zu Hause verwahrtes Testament, müssen sie es dort abgeben. Zudem eröffnet das Nachlassgericht Testamente und erteilt Erbscheine. Nicht zuständig ist es dagegen für private Fragen, beispielsweise, ob ein Testament wirksam ist oder wie man seinen Pflichtteil geltend macht. Und ebenso wenig ist es verpflichtet, Erben zu ermitteln.

Erbschein: Gibt es kein Testament, belegt der offizielle Ausweis, wer Erbe ist und mit welcher Quote er bedacht wird. Er wird nicht automatisch ausgestellt, sondern muss beantragt werden. Achtung: Mit der Beantragung wird das Erbe angenommen - inklusive möglicher Schulden. Erben, die ihr Recht anderweitig - etwa durch ein Testament - nachweisen können, benötigen keinen Erbschein.

Rechtspfleger: Der Beamte, der sich beim Nachlassgericht hauptsächlich mit dem Erbfall beschäftigt, ist der Rechtspfleger. Sind keine Erben bekannt, ist er zuständig für die Auswahl des Nachlasspflegers.

Nachlasspfleger: Personen (meist Rechtsanwälte oder Notare), die vom Nachlassgericht oder in manchen Fällen auch von Erben für die Verwaltung von verschuldeten oder undurchsichtigen Nachlässen bestellt werden, nennt man Nachlasspfleger. Sie handeln als gesetzliche Vertreter, haben die Aufgabe, den Nachlass zu sichern, und werden hierfür in der Regel aus diesem vergütet. Wenn kein Geld vorhanden ist, übernimmt die Gebühren der Staat. Sie können Erben ermitteln, tun dies aber nur in einfachen Fällen.

Erbenermittler: Ist die Sache komplizierter und der Nachlass wertvoll, werden vom Nachlasspfleger oder Gericht private Erbenermittler eingeschaltet (auch Privatpersonen können sie beauftragen). Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt, es gibt weder eine Ausbildung noch Berufsordnung. Auf Seriosität weist jedoch die Mitgliedschaft im Berufsverband VDEE hin (verbanddeutscher erbenermittler.de) hin. Es handelt sich zumeist um Juristen oder Historiker.
 


Wie Sie seriöse Erbenermittler erkennen

Keine Vorauskasse: Die Arbeit läuft allein auf Provisionsbasis. Bei negativem Ergebnis fällt kein Ersatz für Auslagen an.

Bezahlung am Ende: Das Honorar fällt erst an, nachdem der Erbschein vom Nachlassgericht erteilt wurde. Gerichts- und Notarkosten werden anteilig umgelegt.

Nachvollziehbare Informationen: Die Kontaktaufnahme erfolgt in der Regel durch ein Anschreiben, in dem die Familienverhältnisse, die ein mögliches Erbe begründen, ausführlich dargestellt werden.

Korrekte Erbfolge: Misstrauisch sollten Sie werden, wenn Sie angeschrieben werden, obwohl die eigenen Eltern noch leben. Diese würden gesetzlich zuerst erben.

Erblasser bleibt unbekannt: Kein Grund für Misstrauen ist, wenn es vorab keine Auskunft zum Erblasser gibt. Die folgt wegen der Vergütungsregeln erst nach Vertragsabschluss.
 


Auch auf nachrichtenlosen Konten lagern große Summen:

Um Erben den Zugang zu erleichtern, hat Niedersachsen einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht. Änderungen wird es frühestens in der nächsten Legislaturperiode geben.

Häufig werden sie als Geisterkonten oder herrenlose Konten bezeichnet, sind aber beides eigentlich nicht. Schließlich gehören die auf ihnen liegenden Gelder ja jemandem, nämlich dem oder den Erben. Wie viele solcher nachrichtenloser Konten es tatsächlich gibt, und wie viel Geld genau dort liegt, weiß niemand so genau, weil es keine bundesweiten Datenerhebungen gibt. Die Schätzungen beginnen bei zwei Milliarden Euro, der Verband deutscher Erbenermittler geht von neun Milliarden Euro aus.

Einig sind sich hingegen alle Experten, dass das Problem angesichts zunehmender Digitalisierung in Zukunft noch größer wird. Da Sparbücher nach und nach verschwinden, werden viele Konten nach dem Tod eines Menschen übersehen. Sie werden bei den Banken weitergeführt, die bislang auch gar nichts anderes tun können. Gibt es keinen juristischen Ansprechpartner, können auch keine Kündigungen ausgesprochen werden, wie Thomas Brase, im niedersächsischen Finanzministerium unter anderem zuständig für Liegenschaften und Staatserbschaften, erläutert.

Die Konsequenz: Entweder die Konten verzehren sich durch laufende Gebühren selbst oder die Bank bucht das verbleibende Guthaben nach 30 Jahren in Eigenkapital um. Juristisch gehört das Geld dann zwar nach wie vor möglichen Erben - praktisch verbleibt es aber in fast allen Fällen bei den Banken.

Abhilfe zu schaffen, hat sich nun das Land Niedersachsen auf die Fahnen geschrieben und vor gut einem Jahr einen Entwurf in den Bundesrat eingebracht. Er trägt den sperrigen Namen "Gesetz zur Veröffentlichung von Informationen über Geld- und Wertpapiervermögen Verstorbener zugunsten unbekannter Erben". Vereinfacht ausgedrückt, so erläutert Initiator Brase, geht es um zwei Dinge: zum einen dafür für zu sorgen, dass die Banken überhaupt vom Tod eines Kunden erfahren, und zum anderen, die Informationen zu entsprechenden Konten in eine Datenbank einzubringen. Derzeit laufen die Ausschussberatungen; eine Abstimmung des Bundesrats, ob der Gesetzentwurf beim Deutschen Bundestag eingebracht werden soll, fand noch nicht statt. Brase ist jedoch zuversichtlich, dass dies in der nächsten Legislaturperiode geschehen wird. Denn dass Handlungsbedarf besteht, darüber ist man sich weitgehend einig, zumal auch der Staat ein Eigeninteresse hat.

Zwar gehören wohl die weitaus überwiegenden Bankguthaben Privatpersonen. Doch findet sich kein Erbe, würde auch von diesem Geld der Fiskus profitieren, wenn nach Ablauf der Fristen er als Erbe festgestellt wird. Derzeit verdient er allenfalls indirekt durch die Ertragsteuer nach Umwandlung des Guthabens in Eigenkapital.

Tipp: Wer vermutet, dass ein Verstorbener noch unentdeckte Konten hat, kann sich an die Dachorganisationen von Volks- und Raiffeisenbanken (bvr.de/Service/Kontonachforschung), Privatbanken (bankenverband.de) und Sparkassen (nachforschung@dsgv.de) wenden. Der Service ist allerdings nicht immer kostenlos.