Fondsmanager Jens Ehrhardt kritisiert in dieser Kolumne die Bundeskanzler Helmut Kohl, Angela Merkel und Olaf Scholz, lobt einzig Gerhard Schröder für die „Agenda 2010“. Ehrhardt berichtet, warum sich Deutschland in einer "existenziellen Lage" befindet und warum die China-Politik sehr gefährlich für uns alle werden kann. 

Vor einem halben Jahr hatte ich hier gewünscht, dass Deutschland mehr im eigenen Interesse handeln sollte. Tatsächlich dürfte der aktuelle Kurs den Lebensstandard deutlich senken, was auch politisch riskant ist. Nach meiner Meinung begann der Abstieg Deutschlands mit dem Beitritt zum Euro. Dieser musste zwangsläufig zu einer Transferunion führen, die Deutschland sehr belastet. Anders wäre dies mit einem Euro gewesen, der sich auf die stabilen nordeuropäischen Länder Deutschland, Niederlande und Österreich sowie die skandinavischen Länder begrenzt hätte. Dann hätte man die wirtschaftlichen und politischen Erfolge fort- setzen können, die durch die Deutsche Bundesbank begründet wurden.

Diesem Fehler in der Ära von Helmut Kohl folgten weitere mit der Wahl von Angela Merkel. Durch die Energiewende gab Deutschland eigene wichtige Quellen wie Kohle- und Kernkraftwerke ohne Ersatz für diese Ausfälle auf. Dieses überhastete Handeln entsprach der Merkel’schen Politik, mit Umfragen die Meinung der Bevölkerung zu ergründen und danach zu handeln. Deutschland ist daher lange von einer schwankenden Volksmeinung gesteuert worden, während der Rat von wirtschaftlichen Experten vernachlässigt wurde. Anders war dies aufgrund der Ära von Gerhard Schröder, als Deutschland durch die unbeliebte „Agenda 2010“ in Europa wirtschaftlich vom letzten auf den ersten Platz aufstieg.

Existenzielle Lage für Deutschland

Heute rangiert Deutschland mit 0,1 Prozent Wachstum wieder auf dem letzten Platz, und die Regierung berücksichtigt zu wenig die Meinung wirtschaftlicher Experten, besonders bei der Energiepolitik. Hier scheint man lange nicht begriffen zu haben, dass ausreichend Erdgas in Deutschland nur über Pipelines bezogen werden kann — im Gegensatz zu Erdöl, das per Schiff importiert werden kann. Damit besteht für die nächsten drei bis vier Jahre eine Abhängigkeit von russischen Erdgasimporten, auch wenn man LNG-Gas aus Ländern wie Katar und Saudi-Arabien bezieht, die aus Sicht der Menschenrechte fragwürdig sind. Stoppt man diese Pipelines beziehungsweise öffnet keine bestehenden, kommen große Teile der deutschen Wirtschaft durch die Explosion der Gas- und Strompreise wahrscheinlich sogar dauerhaft zum Erliegen. Das ist nicht nur für die Verbraucher sehr belastend, sondern auch existenziell für das von der Globalisierung abhängige Exportland Deutschland.

Hier muss man sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen. Schon die grüne Politik gegen fossile Energie und den Verbrennungsmotor konnte das Weltklima praktisch nicht positiv beeinflussen, da Deutschland nur knapp zwei Prozent der schädlichen Abgase produziert. Zugleich betreiben allein China und Indien 3700 Kohlekraftwerke und befinden sich dort 600 neue im Bau. Die grüne Politik in Deutschland beeinträchtigt daher ganze Branchen in ihrer Überlebensfähigkeit und ist beim Weltklima praktisch wirkungslos. Zudem hat der Energiestopp aus Russland keinerlei Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit des Ukraine-Kriegs durch Russland. Man kann und sollte helfen. Aber in unverhältnismäßiger Weise die Zukunft des eigenen Landes zu gefährden, ohne im Geringsten Klima oder Krieg beeinflussen zu können, ist äußerst gefährlich.

Wir brauchen wieder eine Politik, die auch die Interessen des von der Globalisierung abhängigen Exportlands Deutschland berücksichtigt und zu keiner Blockbildung zwischen den G7- und den BRICS-Ländern führt. Man muss auch an die Zeit nach dem Ukraine-Krieg denken und es dürfen nicht alle Verbindungen gekappt werden.

In Taiwan droht die nächste Auseinandersetzung mit einem Atomwaffenland. Schon heute ist es ein amerikanisches Bestreben, dass Deutschland seine Investitionen in China einstellt — so ein hochrangiger US-Diplomat im vertraulichen Gespräch mit ausgewählten deutschen Wirtschaftsführern. Wenn man bedenkt, dass große deutsche Unternehmen wie BASF und Volkswagen ihre Aktivitäten in China abschreiben müssten, kann man sich vorstellen, welche Gefahren neben der Klima- und Russland-Politik auch durch die China-Politik drohen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hätte sich von Medien und grünen Politikern nicht von seinem Kurs abbringen lassen sollen. Stattdessen hätte er seinen Kurs beibehalten sollen, der auf weniger Konfrontation und mehr Kooperation mit unseren wichtigen Handelspartnern setzt.

Dieser Artikel erschien zuerst in Euro 10/2022. Werfen Sie hier einen Blick ins Heft.