Die  Mitgründerin und Geschäftsführerin der Technologiefirma Immutable Insight ist eine der bekanntesten Kryptowährungs-Expertinnen. Was die Bundesregierung aus ihrer Sicht für den Blockchain-Standort Deutschland tun muss. Von Stefan Rullkötter

In der Welt der Kryptowährungen geht es turbulent zu. Die "Leitwährung" Bitcoin hat seit dem Allzeithoch im November (59.681 Euro) knapp 30 Prozent eingebüßt. Zu Beginn des Jahres war ein Bitcoin allerdings noch für 25.000 Euro zu haben. Wer damals eingestiegen ist, kann sich derzeit immer noch über 75 Prozent Kursgewinn freuen, der zudem nach zwölf Monaten Haltedauer steuerfrei bleibt.

Das Schürfen von Bitcoins ist aber mit enormem Energieverbrauch verbunden und wird als klimaschädlich kritisiert. Katharina Gehra, Chefin des Technologieunternehmens Immutable Insight, bietet Anlegern dagegen Investments in "fast klimaneutrale" Blockchains. Dafür fordert die Krypto-Expertin Unterstützung von der Ampel-Regierung ein.

Euro am Sonntag: Wie attraktiv ist der Standort Deutschland im internationalen Vergleich als Marktplatz für Kryptowährungen und Blockchain?

Katharina Gehra: Der Vergleich mit der Volksrepublik China zeigt zwei Dinge: Im Reich der Mitte wird längerfristig gedacht - und auch Infrastrukturentscheidungen werden konsequenter umgesetzt. Eine europäische Lösung ist dagegen mühsamer. Ich versuche, das Thema ESG und Blockchain voranzutreiben - und damit einen Standard zu setzen, der sich auch außerhalb Deutschlands anwenden lässt.

Wo besteht hier für die neue Bundesregierung akuter Handlungsbedarf?

Ich würde mir insgesamt deutlich mehr Mut wünschen. Es ist die Chance unserer Generation, die Produktivität der nächsten zehn bis 20 Jahre zu sichern und uns wettbewerbsfähig aufzustellen. Die großen Fragen rund um Identität, digitaler Euro und Tokenökonomie müssen alle schnell geregelt werden. Ansonsten haben wir das chinesische Blockchain-Projekt BSN und den digitalen Yuan, bevor wir aufwachen.

Welche konkreten Rahmenbedingungen sollte die Ampel gesetzlich regeln?

Zum Thema Blockchain erwarte ich Klarheit rund um die Fragen Lieferkettengesetz, Produktpass und Tokenökonomie. Außerdem wird die MiCar, Staking Steuer und FATF Travel Rule gegebenenfalls nochmals ein Thema sein. Der ganz große Wurf wird wohl leider ausbleiben, aber zumindest bewegen wir uns an einigen Stellen.

Sollten Kryptoinvestments Bestandteil in jedem Anlegerportfolio sein?

Die neue Assetklasse für Blockchain-basierte Anlagen gehört in jedes Portfolio, das sich nachhaltig aufstellen, langfristig netto-real Kaufkraft steigern und an der Produktivität der "Maschine-zu-Maschine-Ökonomie" partizipieren will. Kryptoinvestments bieten langfristig Wachstumschancen, die traditionelle Anlageklassen nicht mehr haben.

Können Kryptoanlagen auch eine Absicherung gegen steigende Inflation sein?

Manche sind gerade dafür gebaut, andere nutzen Inflation, aber mit Begrenzungen. Es gibt unterschiedliche Kryptowährungen, aber in der Regel gibt es eine feste Obergrenze oder eine klar kalkulierbare, festgelegte Steigerungsmenge des Angebots. Insofern ist es gegenüber Euro oder Dollar derzeit eine eindeutige Absicherung.

Wie wird sich vor diesem Hintergrund der Markt für Kryptowährungen im kommenden Jahr weiterentwickeln?

Im Grunde tragen die darunterliegenden Effekte in jedem Fall in Richtung steigende Preise - zumindest in Euro und US-Dollar. Die Blockchain-Nutzung und digitales Zentralbankgeld werden die Breite der Anwendungen in der gesamten Wirtschaft zeigen und damit die Token mit wachsenden Kundenzahlen tragen. Eine Zinswende in den USA wird grundsätzlich wieder zu mehr Veränderung und Umschichtung in den Portfolios führen. Darüber hinaus wird Gold die ESG-Anforderungen nicht mehr erfüllen können - und dann ist selbst Bitcoin die bessere Alternative dazu.

Welche Krypto-Netzwerke haben hier die besten Perspektiven für 2022?

Die am stärksten wachsenden Netzwerke, die sowohl bei den Nutzern als auch den Betreibern weiterhin stark steigen. Und auch die CO2-neutralen Blockchains werden noch weiter skalieren. Aber Vorsicht: Die Kryptowährungen Solana und Cardano haben manches technische Feature, das besser ist. Aber die Nutzung ist aktuell noch größtenteils auf Ethereum fokussiert.

Demnach könnte Blockchain der Wegbereiter für ein "neues" Internet sein ?

Blockchain ist besser als das bestehende Internet - es wird eine neue Ära der Tokenökonomie statt der Plattformökonomie geben. Wir werden mehr Tokens benutzen als E-Mails. Den traditionellen Portfoliogrundsatz "Risiko minimieren durch diversifizieren" wird es in ganz neuen Formen geben, weniger Produkte von der Stange, mehr Einzellösungen.

Bitcoin gilt als Energiefresser. Sind neuere Blockchains energieeffizienter?

Proof of Stake, also die neueren Blockchains, sind 99 Prozent weniger energieintensiv. Damit schlagen diese Blockchains jedes bestehende System bei der Energieeffizienz, auch bei den Banken heute. Aber es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass der eigentlich große Energiefresser das heutige System ist.

Welche Rolle spielt in den Zusammenhang die Tokenökonomie - und wie können Anleger darin investieren?

Die Tokenökonomie ist die Nutzung der Blockchain als Infrastruktur für ein eigenes Geschäftsmodell. Da ist der Vielfalt ähnlich wie bei Internet-Homepages keine Grenzen gesetzt.

Was bedeutet das konkret?

Token können von Menschen und Maschinen gleichermaßen genutzt werden und haben damit eine viel größere potenzielle Kundenzahl. Durch unser Zertifikat "Kryptobest" sind beispielsweise 30 bis 40 Tokens, die schneller wachsen als andere, ab einem Anlagebetrag von 1.000 Euro bequem investierbar.

Welche grundsätzliche Anlagestrategie verfolgen Sie bei Ihren Kryptoanlagen?

Alle unsere Produkte wollen wir möglichst einfach zugänglich machen. Wer sich als Privatanleger nicht in der Breite der Tokens einarbeiten, aber an deren Dynamik partizipieren will, ohne nur auf Bitcoin zu setzen, ist bei Kryptobest richtig. Für ein höheres Maß an Ertrag ist es aber auch weniger eng im Risiko eingestellt und hat grundsätzlich eine höhere Volatilität. Bei professionellen Anlegern und Portfoliomanagern für Dritte ist das Risiko entscheidender. Hier steuern wir auf Sharpe Ratio und Downside-Minimierung, damit der Rest des Portfolios in Balance bleibt.

"Sustainliquid" soll eine Lösung für die Themen Rentenersatzprodukt und Nachhaltigkeit sein. Was bedeutet das?

Das Zertifikat löst drei wesentliche Probleme von Anlegern: Liquiditätsüberhang, Nachhaltigkeit und stabile Erträge. Wir nutzen die Infrastruktur von energieeffizienten Blockchains wie bei einer Autobahn für Nutzungsentgelte. "Sustainliquid" ist CO2-neutral und wird nach aktuellem Verlauf rund fünf Prozent Rendite pro Jahr erreichen.

Auch die Geldwäschebekämpfung wird bei Kryptoinvestments in Zukunft ein immer wichtigeres Thema sein. Welchen konkreten Lösungsansatz bieten Sie mit Ihrem Fintech dafür?

Wir nutzen unsere Expertise bei der Nutzungsanalyse der Blockchain sowohl für die Tokenauswahl, aber auch die Identifikation von unerwünschter Nutzung. Daraus lassen sich Scores berechnen, die dann eine vertiefte Nachverfolgung und einen Wahrscheinlichkeitsgrad des Missbrauchs angeben.
 


Vita:

Sachverständige Unternehmerin

Katharina Gehra (38) startete ihre Karriere als Beraterin bei der Boston Consulting Group und als Vorstandsreferentin bei der Commerzbank. Vor der Gründung von Immutable Insight war sie CEO bei der Private- Equity-Firma Interritus Limited. Sie ist Sachverständige im Bundestag-Finanzausschuss zum Thema Blockchain, Aufsichtsrätin der Fürstlich Castell’schen Bank und der Börse Stuttgart.
 


Unternehmen:

"Staking"- Pionier

Immutable Insight wurde 2019 als Blockchain-Start-up in Grünwald bei München gegründet. Als Analyse- und Beratungsfirma gestartet, bietet das Unternehmen nun selbst "Staking"- Wertpapiere an. Für Anleger sind die Zertifikate Kryptobest und Sustain liquid investierbar.