Wer Les Carlisle in diesen Tagen trifft, erlebt einen Mann von großer Zufriedenheit. Und in großer Sorge. Das ist kein Widerspruch. Zum einen ist ihm sein Beruf Lebensaufgabe und Leidenschaft zugleich. Seit er vor 28 Jahren eine riesige Rinderfarm zwischen Kruger-Nationalpark und Indischem Ozean in das unberührte private Naturschutzgebiet Phinda ("Zurück zur Wildnis") verwandelte und dafür die größte Wildtierverlegung der Welt organisier­te, gehört der "Group Conservation Manager" des Safariveranstalters &Beyond zu den führenden Autoritäten des Artenschutzes. Besorgt beobachtet der professionelle Wildhüter dagegen die zunehmende Dezimierung der Nashörner Afrikas durch Wilderei. Dabei wäre die Lösung so einfach, findet er.

€uro am Sonntag: Hätte die Tierwelt in Südafrika ohne private Reservate eine Chance?

Les Carlisle:

Schon, aber eine nicht so gute. Unsere Nationalparks erstrecken sich über 7,2 Millionen Hektar, die privaten Wildreservate aber nehmen in Südafrika 22 Millionen Hektar ein, also dreimal mehr als die Nationalparks. Hierin unterscheidet sich Südafrika deutlich von allen anderen afrikanischen Ländern: Es ist das einzige Land auf dem Kontinent, wo man wild lebende Tiere sein Eigen nennen darf. Allerdings: Nur in einem Bruchteil der Reservate, etwa auf 800.000 bis einer Million Hektar, machen Touristen Safaris.

Und was ist mit den restlichen 21 Millionen Hektar?

Dort wird etwas betrieben, was wir Game Farming nennen, wohlgemerkt auf Land, das zuvor der Haltung von Nutztieren diente. Aber mit Wildtieren nehmen Farmer viel mehr Geld pro Hektar ein als mit Nutztierhaltung.

Wodurch genau?

Jedenfalls durch Wildtierzüchtung sehr viel mehr als durch die Einnahmen mit Safaritourismus.

Bitte genauer, was bringt das Geld?

Zum Beispiel Tiere, die zu Zuchtzwecken an andere Farmen verkauft werden, meist im idealen Verhältnis von 1 zu 9, also etwa zehn männliche und 90 weibliche Tiere. Das aber bedeutet, dass du 80 Männchen übrig hast, die dir nur dein Gras wegfressen und ansonsten nutzlos sind. Außer als Schlachtvieh. Und manchmal auch für Trophäenjagd. Game Farming heißt also zumeist Lebendverkauf und Fleischproduktion.

Tierschützer stöhnen hier auf …

Dabei sollten gerade die Europäer den Zusammenhang von landwirtschaftlichem Ertrag und begrenztem Raum verstehen. Man kann die Tiere sich nicht unkontrolliert vermehren lassen, weil sie sonst alle Ressourcen fressen würden. Tatsächlich ist der Umstand, dass Afrikas wilde Tiere "geerntet" werden, im Rest der Welt verpönt. Aber es ist ein essenzieller Teil des südafrikanischen Naturschutzmodells.

Wohin können Sie Lebendtiere ver­legen? Nur innerhalb Südafrikas?

Mit der entsprechenden Genehmigung überallhin. Ich bin gerade dabei, Nashörner nach Botswana zu bringen, als Teil unseres Projekts "Rhinos Without Borders". Aber weil Nashörner als gefährdete Tiere vom Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES kon­trolliert werden, brauchen wir Bestä­tigungen von fünf südafrikanischen Regierungsbehörden und ebenso viele aus Botswana, veterinärmedizinische Freigaben, Steuerbescheinigungen ... - es dauert Monate. Erst wenn der Papierkram das Gewicht eines Nashorns erreicht hat, kann es losgehen.

Private Game Reserves und ihrer Umzäunung wird oft Künstlichkeit vorgeworfen. Viele finden, der Kruger-Park solle so sein, wie die Natur es wollte.

Gegenfrage: Warum gibt es in Deutschland keinen Kruger? Weil dort zu viele Menschen leben. So ist es auch in Südafrika. Wenn in einem Land so viele Menschen leben wie in Deutschland oder Südafrika, erhalten nur Zäune die gute Nachbarschaft aufrecht.

Warum?

Ohne Zäune gäbe es zu viele Kontakte. Die Tierwelt tendiert dazu, Nutztiere oder Menschen als Nahrung oder als Gegner zu begreifen. Das führt zu Tod, entweder der Raubtiere oder der Menschen, und weder das eine noch das ­andere ist erstrebenswert. Zäune reduzieren diesen Konflikt dramatisch.

Eine weitere Vermutung ist, dass in privaten Reservaten vor allem Tiere gehalten werden, die Touristen gern erleben möchten. Funktioniert die Natur so?

Vielleicht, aber die Finanzen funktionieren so auf keinen Fall. Wir könnten es uns nicht leisten, weil etwa die Löwen mehr fressen wollten, als Beutetiere existieren. Wir hätten also nicht nur Kosten für Zäune, Sicherheitsleute, Straßenarbeiten und all die Angestellten in den Lodges, sondern wir müssten auch Nahrung für die Löwen kaufen, zehn Kilo pro Tag für jeden von ihnen. So rechnet sich das nicht für ein Wild­reservat. Außerdem macht es natürlich ökologisch überhaupt keinen Sinn. Und die Gäste haben ein Gespür dafür, ob ein natürliches Gleichgewicht herrscht. Die Abstimmung geschieht mit den Füßen: Sie würden nicht wiederkommen.

Helfen Zäune auch gegen Wilderei?

Leider nein. Menschen respektieren Zäune nicht. Genauso wenig wie Leoparden übrigens oder Paviane. Auch ­Kudus oder Antilopen springen einfach drüber. Aber Zäune stellen eine Grenze dar, die sich überwachen lässt. Wir sehen also, wenn und wo Wilderer auftauchen. Zäune werden in aller Regel von Straßen begleitet, die die Wilderer überqueren müssen. Dabei hinterlassen sie Spuren. Wir patrouillieren also täglich an jedem Zentimeter unserer Zäune. Zäune spielen hier eine große Rolle.

Ist Wilderei überhaupt noch ein ­Problem in Südafrika?

Sogar ein riesiges. Wir verlieren jeden Tag mindestens zwei Nashörner. Die Schmuggler sind skrupellos. Wir haben es mit denselben Syndikaten zu tun, die Menschenhandel betreiben oder mit harten Drogen dealen. Nashorn-Horn ist eine illegale Handelsware, zu der man nur über Kartelle und illegale Infrastrukturen Zugang erhält.

Und die Abnehmer sitzen in China?

Überall im Fernen Osten, Vietnam vor allem, China, überall dort.

Was könnte die Nashörner retten?

Jedenfalls nicht die Illegalisierung des Handels. Seit 40 Jahren verlieren wir diese Schlacht. Wir tun immer dasselbe und erwarten, dass die Resultate sich ändern. Aber man wird immer dasselbe Resultat bekommen, wenn man die Strategie nicht ändert. Der illegale Handel kümmert sich einen Dreck darum, dass er illegal ist. Die einzige Option, die nach meiner Überzeugung bleibt, ist den Handel zu legalisieren.

Wie bitte?

Ja, nur so könnten wir die Kartelle unterminieren, wir beeinflussten die Märkte, wir bekämen ein wenig Zugriff auf einen Teilbereich des Markts und damit die Möglichkeit, den Preis für Nashorn-Horn zu beeinflussen. Es sind ja die Kartelle, die die Preise diktieren. Und die schaukeln sich immer weiter hoch. Zurzeit liegt das Kilo Nashorn-Horn bei 80.000 Dollar. Damit gehört es zu den wertvollsten Rohstoffen überhaupt, doppelt so teuer wie Gold. Dagegen haben wir nur eine Chance: den Handel mit den Hörnern zu legalisieren.

Aber wie soll das gehen?

Was sich viele nicht klarmachen: Das Horn des Nashorns ist gewissermaßen ein erneuerbarer Rohstoff. Es wächst nach! Bei uns in Phinda müssen wir die Hörner regelmäßig beschneiden, weil sie jedes Jahr um zehn Zentimeter wachsen. Es wäre kein Problem, in Südafrika große Herden zu halten, um den Markt zu bedienen. Man könnte ihn geradezu überfluten. Und würde damit die Preise verderben. Die Kartelle würden das Interesse an der Wilderei verlieren. Die Folge: Nashörner wären wertvoll, wenn sie am Leben und nicht, wie jetzt, wenn sie tot sind. Aber der Rest der Welt bestimmt, dass kein Handel mit diesem Produkt betrieben werden darf und wir stattdessen das Aussterben dieser Tiere in der freien Wildbahn protokollieren müssen.

Wen konkret machen Sie für diese Entwicklung verantwortlich?

Organisationen wie CITES ("Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora") arbeiten mit falschen Zahlen. Ihr Job wäre es, den Handel zu regulieren. Stattdessen verbieten sie ihn. Sie verstehen sich als eine Art Polizei, machen diesen Job allerdings auch nicht sehr gut. Was ist also passiert? Nach dem Verbot stieg die Anzahl der Nashörner zunächst und erreichte ihren höchsten Wert etwa im Jahr 2005. Damals gab es um die 25.000 Tiere in den acht Ländern im Süden Afrikas. Und 150 Mitglieds­länder von CITES entschieden, wie diese acht Länder damit umgehen sollten.

Und?

Es sind 150 Länder, die nicht mit den Konsequenzen ihrer Entscheidung leben müssen. Wie kann das fair sein? Das ist, wie wenn afrikanische Länder Deutschland diktieren würden, wie es mit seinen Wölfen um­zugehen habe.

Hilft denn Tourismus?

Und wie! Er leistet einen Beitrag, um das Wildlife eines Parks zu schützen und Vorteile für die darum herum lebende Bevölkerung zu bringen. Das ist doch eine wunderbare Art, Urlaub zu machen.

Aber der ist verdammt teuer. Was ist der Vorteil, Safaris als ­Luxusreisen zu verkaufen?

Na ja, in unserem Fall ist es kein Vorteil, sondern eine kommerzielle Notwendigkeit. Die Erhaltung der Umwelt erlaubt nichts anderes. Wenn wir unser Eintrittslevel senken würden, müssten wir, um die Kosten zu decken, mehr Besucher zulassen. Das würde jedoch unser Level in ­Sachen Artenschutz korrumpieren. Für das ökologische Gleichgewicht in unserer Region, für das Gleichgewicht mit Gebieten wie dem Kruger-­Nationalpark, den jeder besuchen kann, sind private Wildreservate essenziell. Ich bin deshalb völlig einverstanden damit, dass wir unverschämte Summen von unseren Gästen verlangen. Ich könnte mir das zwar persönlich nicht leisten. Aber der Ertrag sorgt dafür, dass wir eine ausreichende Anzahl von Nashörnern, Elefanten, Löwen, Geparden und anderen gefährdeten Spezies aufziehen und hoffentlich vor dem Aussterben bewahren können.

Vita:
Der Wildhüter


Les Carlisle, 58, ist Group Conservation Manager des südafrikanischen Luxussafari-Unternehmens &Beyond. Der in der Nähe des Kruger-Nationalparks aufgewachsene Pionier hat in seiner Karriere mehr als 40.000 Wildtiere innerhalb des südlichen Afrika angesiedelt. Zu seinen wichtigsten Initiativen gehört "Rhinos Without Borders", ein Projekt, das Nashörner aus wildereigefährdeten Regionen Südafrikas nach Botswana überführt. Les Carlisle, vergangenen Herbst in der ZDF-Naturschutz-Doku "Im Einsatz für …." zu sehen, ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Markt
Horn aus Afrika


Seit 1977 verbietet das Washingtoner Artenschutzüber­einkommen (CITES) den internationalen Handel mit Nashorn- Hörnern. Trotzdem fallen jüngsten Zahlen zufolge täglich zwei bis drei Tiere der Wilderei zum Opfer - vor allem in Südafrika. Denn in Asien, wo man dem Horn heilende Kräfte nachsagt, blüht der Schwarzmarkt mit Preisen bis zu 80.000 Dollar pro Kilo. In Süd­afrika, wo bereits heute etwa 5.000 Nashörner in privater Haltung leben, mehren sich nun Stimmen, den Handel mit dem - binnen weniger Jahre nachwachsenden - Horn zu legalisieren und so der Wilderei die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen.

Unternehmen
Luxuslodges


Die 1991 gegründete süd­afrikanische &Beyond, zu deren Eigentümern die ­Milliardärsfamilie Enthoven und der Getty Family Trust gehören, betreibt derzeit 29 nachhaltige Luxuslodges in Afrika, Südamerika und Indien. Zu den Vorzeigeprojekten gehört das 23 000 Hektar große Phinda Private Game Reserve südlich des Kruger- Nationalparks im Bundes- staat KwaZulu-Natal. Aufenthalte dort kosten kaum unter 900 Euro pro Tag, jedoch mit Safaris und Vollpension. www.andbeyond.com