Fast jeder Deutsche hat eine Lebensversicherung, eine Riester-Rente oder einen Rürup-Vertrag. Allerdings könnte sich hier durch eine versteckte Klausel eine massive Enttäuschung für Sparer anbahnen. Das müssen Sie jetzt unbedingt wissen.
Lebensversicherungen und ähnliche Produkte sind in Deutschland extrem beliebt, doch Kunden liefern sich damit meist unbewusst durch eine versteckte Klausel den Versicherern aus.
Um genauer zu klären, was hier vor sich geht, habe ich ein Interview mit Felix Früchtl, dem Geschäftsführer der ProLife GmbH, geführt. Seit Jahren kauft das Unternehmen Lebens- und Rentenversicherung an und bietet Kunden so eine schnelle Abwicklung.
Sie schreiben in Ihrer neuen Kolumne "Rentenfaktor Roulette", dass Sparer den Rentenversicherungen mehr oder weniger ausgeliefert sind und es scheinbar deswegen zu Problemen kommt. Könnten Sie ausführen, was hier genau passiert?
Beim sogenannten Rentenfaktor-Roulette geht es um nichts Geringeres als die Frage: Wie viel Rente bekomme ich am Ende wirklich aus meiner privaten Rentenversicherung? Der sogenannte Rentenfaktor bestimmt, wie viel monatliche Rente ein Kunde pro 10.000 Euro Vertragsguthaben in der Auszahlungsphase seines Sparvertrags erhält. Viele Versicherer haben diesen Faktor in den letzten Jahren still und leise gesenkt – oft kurz vor Rentenbeginn. Das bedeutet: weniger Rente, obwohl das Kapital über Jahrzehnte angespart wurde.
Das Perfide daran: Die Kürzungen erfolgen einseitig, ohne Zustimmung des Kunden – gestützt auf sogenannte Anpassungsklauseln, die in vielen Verträgen versteckt sind. Diese Klauseln erlauben es den Versicherern, bei „veränderten wirtschaftlichen Bedingungen“ den Rentenfaktor zu senken. Und das tun sie – mit voller Wucht. Eine Rückanpassung nach oben? Fehlanzeige.
Ein kurzes Beispiel, wie hart das Rentner tatsächlich treffen kann:
Nehmen wir an, ein Kunde hat über Jahrzehnte hinweg 100.000 Euro Kapital angespart. Bei einem Rentenfaktor von 40, der dem Kunden bei Abschluss der Versicherung „garantiert“ wurde, würde er jährlich 4.800 Euro Rente erhalten (40 Euro pro Monat je 10.000 Euro angespartem Kapital) – das reicht für ein paar Urlaube, eine zusätzliche finanzielle Stütze im Alter.
Wird der Rentenfaktor jedoch auf 20 halbiert, gibt es nur noch 2.400 Euro jährlich. Um sein eingezahltes Kapital also wiederzusehen, müsste der Kunde statt rund 21 Jahre nun erschreckende 42 Jahre lang Rente beziehen. Anders gesagt: Er müsste 21 Jahre älter werden, um auf denselben Betrag zu kommen. Die Rentenphase beginnt in der Regel mit rund 60 bis 65 Jahren.
Willkommen im Club der Unsterblichen!
Bitte berücksichtigen Sie: Nach 42 Jahren haben Sie in dem Beispielfall Ihr eingezahltes Kapital wieder erhalten – wir sprechen noch nicht vom Inflationsausgleich.
Warum dürfen das Versicherer überhaupt tun?
Die rechtliche Grundlage liefern sogenannte Anpassungsvorbehalte – eine Art Joker-Klausel, die es Versicherern erlaubt, Leistungen zu kürzen, wenn sich etwa Zinsen oder die Lebenserwartung ändern. Doch viele dieser Klauseln sind juristisch fragwürdig und wurden bereits von Gerichten kassiert. Das Problem: Die Versicherer nutzen diese Spielräume einseitig zu ihren Gunsten – und das auf Kosten der Kunden.
Besonders kritisch: Es gibt keine Pflicht zur Transparenz oder zur Rückanpassung bei verbesserten Bedingungen. Das ist, als würde man beim Würfeln nur dann zählen, wenn eine Sechs fällt – aber nur für den Versicherer.
Können Kunden etwas gegen diese Praktiken tun?
Ja – und sie sollten es auch. Erste Urteile zeigen: Wer sich wehrt, hat Chancen. Kunden können ihre Verträge prüfen lassen, etwa durch Verbraucherzentralen oder spezialisierte Anwälte. Wichtig ist, aktiv zu werden – denn viele Betroffene wissen gar nicht, dass ihr Rentenfaktor gekürzt wurde.
Zudem laufen bereits Sammelklagen gegen große Versicherungsanbieter. Das zeigt: Der Druck wächst – und das Thema ist längst kein Einzelfall mehr, sondern ein strukturelles Problem.
Können Sie etwa einschätzen, wie viele Betroffene es gibt? Und dürfte sich die Zahl in den kommenden Jahren vielleicht noch steigern?
Konkrete Zahlen sind schwer zu bekommen, aber wir sprechen hier von Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Verträgen, die potenziell betroffen sind – insbesondere bei fondsgebundenen Rentenversicherungen, Riester- und Rürup-Verträgen. Und das ist erst der Anfang: Viele dieser Verträge treten jetzt in die Auszahlungsphase ein. Die Zahl der Betroffenen wird also in den kommenden Jahren weiter steigen, wenn nicht endlich klare gesetzliche Regelungen geschaffen werden.
Mein Tipp ist ganz klar: die Rechtsprechung diesbezüglich im Auge behalten und die eigenen Verträge prüfen. Der ursprüngliche Rentenfaktor lässt sich meist aus der Originalpolice herauslesen. Den aktuell gültigen Wert muss Ihnen die Versicherung ebenfalls mitteilen. Sollten sich zwischen diesen beiden Werten Differenzen ergeben, besteht klarer Handlungsbedarf. Dann sollte professioneller Rat eingeholt werden, um zu verifizieren, ob und welche Ansprüche bestehen.
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