Durch verschärfte Geldwäscheregeln geraten auch unbescholtene Anleger bald öfter ins Visier der Fahnder Von Stefan Rullkötter

The same procedure as every year …" Wer in Deutschland steuerpflichtig ist, aber im Ausland Konten und Depots unterhält, darf sich am 30. September ein bisschen fühlen wie bei "Dinner for One". Am Ende des dritten Quartals melden die Finanzbehörden von 110 Staaten im Rahmen des Automatischen Informationsaustauschs (AIA) für das vergangene Jahr turnusgemäß die Kundendaten zu sämtlichen Vermögen, die auf Bankkonten, Wertpapier- und Lebensversicherungsdepots liegen, an den Fiskus der jeweiligen Heimatländer.

Schon seit 2015 soll der AIA mehr Transparenz im internationalen Geldverkehr schaffen und Schwarzgeldanlagen im Ausland unmöglich machen. Denn die so übertragenen Informationen ermöglichen es den teilnehmenden Staaten, Auslandskonten ihrer Staatsbürger detailliert auszuwerten. Und die Kundendatenströme, die hier jedes Jahr auf internationaler Ebene fließen, schwellen kontinuierlich an.

Nach Auswertung der OECD erhielten die Steuerbehörden der beteiligten Länder vergangenes Jahr Einblicke in 84 Mil- lionen Konten, die ihre "Gebietsansässigen" im Ausland eingerichtet hatten - und sahen ein Gesamtvermögen von rund zehn Billionen Euro. Das ist fast doppelt so viel wie 2018. Im ersten vollen Jahr des AIA waren lediglich Informationen zu 47 Millionen Finanzkonten mit einem Gesamtvermögen von fünf Billionen Euro international ausgetauscht worden. Allein Deutschland stellte damals mehr als fünf Millionen Datensätze zur Verfügung.

Die zu meldenden Angaben sind umfangreich: Finanzdienstleister sind zunächst verpflichtet, die persönlichen Stammdaten sogenannter Steuerausländer automatisch der zuständigen nationalen Finanzverwaltung zu übermitteln. Darunter fallen Name, Anschrift, Geburtsdatum, Steueridentifikations- und Kontonummern des jeweiligen Anlegers.

Zudem müssen Banken und Sparkassen auch die jeweiligen Jahresendsalden der Konten, Zins- und Dividendeneinnahmen sowie Erlöse aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien, Anleihen, Fonds und anderen Wertpapieren weiterleiten. Die Informationen bekommt der deutsche Fiskus mittelbar von Kreditinstituten, aber ebenso von Depotverwahrstellen, Stiftungen, Trusts im Ausland und Versicherungen. Letztere müssen auch Einnahmen aus rückkauffähigen Lebens- und Rentenversicherungen sowie Bar- oder Rückkaufwerte melden.

Die sensiblen Daten laufen zunächst bei den inländischen Steuerverwaltungsstellen auf. Zuständig in Deutschland ist das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) in Bonn. Dorthin wurde am 30. September des vergangenen Jahres gemeldet, dass in Deutschland steuerpflichtige Privatanleger und Unternehmen 2018 mindestens 236 Milliarden Euro an Erträgen aus ihrem Auslandsvermögen erwirtschaftet haben. Für einige in puncto deutsches Auslandsvermögen wichtige Staaten wie die USA fehlen die Angaben noch. Im Jahr 2017 nahmen deutsche Anleger "nur" 180 Milliarden Euro jenseits der Grenzen ein. Spitzenreiter waren 2018 mit weitem Abstand deutsche Vermögen in den Niederlanden mit 210 Milliarden Euro Erträgen.

Die so gefilterten Informationen werden vom BZSt an die Finanzverwaltungen der Bundesländer weitergeleitet. Die Finanzämter vor Ort gleichen sie anschließend mit den Steuerakten ab. Ergibt die Auswertung, dass in den Steuererklärungen keine Angaben zu den identifizierten Auslandskonten gemacht wurden, erhalten betroffene Bankkunden ein Schreiben des Finanzamts - mit der Aufforderung, die unversteuerten Kapitaleinkünfte nachzudeklarieren oder eine gänzlich fehlende Einkommensteuererklärung abzugeben.

Ein ausgeklügeltes Meldesystem, das bei reuigen Schwarzgeldbesitzern offenbar tiefen Eindruck hinterlässt. Steuerexperte Anton Götzenberger erklärt im Interview die neuesten Entwicklungen.

Börse Online: Die Finanzbehörden in Deutschland erhalten derzeit kaum noch Selbstanzeigen zu Schwarzgeldanlagen im Ausland. Wird sich das wieder ändern?

Anton Götzenberger: Ich erwarte in den nächsten drei bis sechs Monaten eine neue zweite Welle bei Selbstanzeigen. Denn längst nicht alle in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Schwarzgeldbesitzer haben sich bisher dem Fiskus offenbart.

Was sind die Gründe für dieses Verhalten?

Viele haben ihre schwarzen Auslandskonten in den vergangenen Jahren abgeräumt - und glauben, so ungeschoren davonzukommen. Oder sie vertrauen darauf, dass die Finanzverwaltung nicht in der Lage ist, die im Rahmen des AIA übermittelten Daten auszuwerten. Andere hoffen, dass nur die "großen Fische" herausgepickt werden - und rechnen sich nicht dazu. Derartige Ansichten erlebe ich in meiner Beratungspraxis sehr häufig.

Welche Konsequenzen kann ein bewusster Verzicht auf eine Selbstanzeige auslösen?

Dieser Irrglaube könnte vielen Anlegern noch zum Verhängnis werden. Aktuell verschicken beispielsweise die Münchner Finanzämter Schreiben an deutsche Bankkunden, denen das Kapitalabflussmeldegesetz in Österreich zum Verhängnis geworden ist. Es werden bald noch viele Betroffene unangenehme Post von der Finanzverwaltung erhalten.

Was bedeutet diese Ignoranz konkret?

Die Finanzämter verschicken derzeit Serienschreiben an Anleger, die vor Beginn des automatischen Informationsaustausches in der Zeit vom 1. März 2015 bis 31. Dezember 2016 ihre Konten und Depots in Österreich abgeräumt haben. Die österreichischen Banken haben im Rahmen des Kapitalabflussmeldegesetzes an die österreichischen Behörden Meldungen erstattet, die jetzt ausgewertet werden. Herausgefischt werden sogenannte Abschleicher, die mehr als 50 000 Euro in bar abgehoben oder transferiert haben.

In Österreich vermuten Fahnder ohnehin viel unversteuertes Geld deutscher Bürger. Erhalten sie durch den AIA noch mehr Daten?

Vor knapp einem Jahr, Ende September 2019, trat dort die höchste Meldestufe im Rahmen des AIA in Kraft. Erfasst werden seitdem auch Vermögen unter einer Million US-Dollar.

Wie geht die deutsche Steuerverwaltung mit diesen zusätzlichen Informationen um?

Diese Meldungen werden in nächster Zeit ausgewertet - wie auch das schon für Vermögen über einer Million US-Dollar im Jahr 2018 übermittelte Datenmaterial. Dann dürfte es deutlich mehr Selbstanzeigen geben.

Was müssen reuige Anleger beachten?

Wird eine Selbstanzeige abgegeben, ist bei der Stellungnahme unbedingt der fiktive Zehnjahreszeitraum als Voraussetzung für die Vollständigkeit einzuhalten. Es müssen dann rückwirkend die Kapitalerträge für sämtliche Jahre ab circa 2008 vollständig aufgedeckt werden. Wer etwa nur für die Meldejahre 2018 und 2019 Angaben macht, gibt keine wirksame Selbstanzeige ab.

Für welche Konstellationen kann eine Selbstanzeige sonst noch sinnvoll sein?

Beispielsweise als Antwort auf ein Schreiben der Finanzverwaltung, das anlässlich der Auswertung von Kontrollmaterial erfolgt - eine Selbstanzeige ist hier der letzte Ausweg. Man kann argumentieren, dass die Tatentdeckung als Ausschlusstatbestand für die Abgabe einer Selbstanzeige mit einem solchen Schreiben noch nicht eingetreten ist. Denn eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung allein aus dem Kontrollmaterial kann im Allgemeinen nicht begründet werden.

Wirkt sich die aktuelle Verschärfung der Geldwäscheregeln auf Selbstanzeigen aus?

Mit der letzten Geldwäschegesetzesreform 2019 wurde der Kreis der Verpflichteten aus dem Finanz- und Nichtfinanzbereich neu definiert und erweitert. Unmittelbare Folgen für Selbstanzeige hatte dies nicht. Aber jede neue Verdachtsmeldung, bedingt durch den erweiterten Kreis der Meldeverpflichteten, löst einen weiteren Grund für eine Selbstanzeige aus. Hier muss gegebenenfalls in jedem Einzelfall geprüft werde, ob nicht bereits ein Ausschlusstatbestand erfüllt ist. Zudem soll ein neu gefasster Straftatbestand nach dem aktuellen Entwurf künftig alle Straftaten als Vortaten der Geldwäsche einbeziehen.

Die Türkei wird erstmals im Rahmen des AIA melden. Was bedeutet das hierzulande für Bundesbürger mit türkischen Wurzeln?

Die Meldungen der Türkei, die erstmals 2020 erfolgen, tragen sicherlich zu einer weiteren Aufdeckung von Schwarzgeldkonten bei. Das betrifft grundsätzlich als Zielgruppe die 2,8 Millionen türkischstämmigen Menschen, die in Deutschland leben. Umgekehrt gilt die Türkei unter deutschen Bankkunden nicht als ein wesentliches Anlageland. Die größeren Selbstanzeigewellen, auch was das aufgedeckte Anlagevolumen betrifft, dürften daher aus den Auswertungen der Meldungen für Luxemburg, Österreich und der Schweiz kommen, die derzeit in vollem Gang sind.

Haben diese betroffenen Anleger für eine Selbstanzeige also nur bis Jahresende Zeit?

Ich teile nicht die Meinung, dass mit Übermittlung dieser Meldungen ab dem 1. Januar 2021 keine Selbstanzeige mehr möglich ist. Allein die Meldung im Rahmen des AIA stellt juristisch noch keine Tatentdeckung dar. Jeder Fall ist hier einzeln zu betrachten.

Sehen Sie akuten Reformbedarf bei dem Rechtsinstrument der Selbstanzeige?

Die Rahmenbedingungen für eine Selbstanzeige sind seit der letzten Reform 2011 sehr komplex geworden. Neben der erwähnten fiktiven Zehnjahresfrist sind noch weitere Fristen zu beachten: die strafrechtliche Verjährungsfrist - fünf Jahre, in besonders schweren Fällen zehn Jahre - und die steuerliche Festsetzungsverjährung, die bis zu 13 Jahre beträgt. Es wäre hier wünschenswert, eine einheitliche und überschaubare Fristenregelung zu finden.