Die Regierung versprach trotz des Wahlkampfes schnell zu handeln und Eckpunkte für eine Gesetzesreform vorzulegen. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) zufolge müssen schon in den 20er Jahren die Anstrengungen auch wegen der EU-Klimaziele erhöht werden. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sagte: "Die Zeit der Ausreden beim Klimaschutz ist vorbei. Wir müssen konkret handeln und zwar im hier und heute."

Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden seien in ihren Freiheitsrechten verletzt, stellten die Verfassungsrichter fest. "Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030." Um das Klimaziel dennoch zu erreichen, müssten dann immer schärfere Maßnahmen ergriffen werden und es drohten drastische Einschränkungen in nahezu allen Lebensbereichen. Geklagt hatten vor allem junge Menschen, auch aus Bangladesch oder Nepal, die dabei von mehreren Umweltverbänden unterstützt wurden. Mehrere Kläger sind auch in der Fridays-for-Future-Bewegung aktiv. Auch in den Niederlanden und Frankreich hatten zuletzt höchste Gerichte die Staaten zu mehr Anstrengungen verpflichtet.

Das Klimagesetz von 2019 sieht vor, dass bis 2030 der CO2-Ausstoß um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden muss. Darüber hinaus legt es für Sektoren wie Energie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft konkrete Obergrenzen für Treibhausgase bis 2030 fest. Ziel ist es, gemäß dem Welt-Klimavertrag von Paris bis 2050 praktisch kein CO2 mehr auszustoßen und die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

REGIERUNG KÜNDIGT GESETZESINITIATIVEN AN


Das Gesetz hätte teilweise allerdings ohnehin angepasst werden müssen, da die EU ihre Klimaziele erhöht hat und dies auch Deutschland zum Handeln zwingt. Die Regierung versprach, schnell zu sein: "Damit wir keine Zeit verlieren, werde ich noch im Sommer Eckpunkte für ein in diesem Sinne weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz vorlegen, das langfristige Planungssicherheit schafft", sagte Umweltministerin Schulze. Für die Zeit nach 2030 werde es weitere Vorgaben geben, allerdings müsse Deutschland infolge des neuen EU-Ziels für 2030 schon in den 20er Jahren seine Anstrengungen erhöhen.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von einem epochalen Urteil und kündigte Regierungsgespräche in der nächsten Woche an. Das Gericht habe gefordert, was er schon im September vorgeschlagen habe. Dies löste einen Konter von Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz auf Twitter aus: "Nach meiner Erinnerung haben Sie und CDU/CSU genau das verhindert, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde. Aber das können wir rasch korrigieren. Sind Sie dabei?"

Das Verfassungsgericht heizte mit seinem Urteil den aufziehenden Bundestagswahlkampf noch einmal an: Die Grünen unter Kanzlerkandidatin Baerbock haben ehrgeizigere Vorgaben in den Mittelpunkt ihres Wahlprogramms gestellt. In Umfragen liegen sie teils vor der Union. Die SPD hatte ihr bereits im Ringen um das Klimagesetz 2019 eine Bremser-Rolle vorgeworfen.

INDUSTRIE FORDERT VERLÄSSLICHE VORGABEN


Die Industrie verlangte, man brauche jetzt langfristige und verlässliche Vorgaben: "Die Politik muss transparent gangbare Klimapfade bis 2050 aufzeigen, um CO2-Reduktionen vorzugeben", erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). "Das schafft Klarheit und Planungssicherheit für Unternehmen, neue Technologien zu entwickeln und massiv zu investieren, und liegt im Interesse der Industrie." Der Bundesverband der Energiewirtschaft (BDEW) ergänzte: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte eine Chance für eine vorausschauendere, langfristiger ausgerichtete Energiepolitik im Sinne des Pariser Abkommens sein - für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sowie eine klimaneutrale Mobilität und Wärmeversorgung."

Die Kläger sprachen von einem großen und unerwarteten Erfolg. "Wir sind superglücklich mit der Entscheidung des Gerichtes", sagte die Studentin Sophie Backsen. "Wirksamer Klimaschutz muss jetzt umgesetzt werden und nicht erst in zehn Jahren, wenn es zu spät ist." Anwältin Roda Verheyen ergänzte: "Die Zeit für politische Klimaziele sind vorbei." Jetzt zählten Wissenschaft und die Grundrechte der Menschen. "Klimaleugner haben ab heute keine Chance mehr."

rtr