Es ist ein Frontalangriff auf ein Milliardenmodell – und das Ende einer Ära. Das EU-Verbot von „Payment for Order Flow“ (PFOF) ab Sommer 2026 zwingt Europas Neobroker in die ultimative Systemschlacht. Was lange als disruptiv und kundenfreundlich galt, steht plötzlich am Abgrund. Der kostenlose Handel war nie kostenlos – und jetzt wird die Rechnung fällig. Ganz vorn in der Arena: Trade Republic und Scalable Capital. Der eine geht ins Risiko, der andere baut ein neues Machtzentrum.

Wie Trade Republic mit der Margenschraube spielt

Die Karten im Neobroker-Markt werden neu gemischt – mit messerscharfen Spreads, verdeckten Margen und einem Showdown um die Zukunft des Börsenhandels. Und mittendrin: Trade Republic. Das Berliner Fintech, das sich einst als Gebührenrebell ins Herz der Privatanleger katapultierte, schärft nun seine Klingen. Doch der einstige Preis-Champion könnte bald selbst zum Kostentreiber mutieren – auf Kosten der eigenen Kundinnen.

Und genau hier beginnt das Problem: Mit dem nahenden PFOF-Aus bricht Trade Republic ein massiver Margenpfeiler weg. Die Lösung? Rückwärtsintegration: ein eigener Market Maker, eigene Preisstellung, eigene Plattform. Mehr Kontrolle – aber auch mehr Macht über das, was Anleger wirklich sehen. Und was nicht.

Das Spiel mit der Order – und wer wirklich gewinnt

PFOF ist einfach erklärt, aber doppelt gefährlich:Das Erfolgsmodell von Trade Republic basierte lange auf einem simplen Versprechen: „Investieren für 1 Euro“ – mittlerweile sogar kostenlos. Ermöglicht wurde dies durch Payment for Order Flow (PFOF): Statt den Kunden für jede Transaktion zur Kasse zu bitten, kassierte man Provisionen von den Market Makern – also den Handelsplattformen oder Kursstellern, an die man den Kundenorder-Flow weiterleitete. In der Regel war das die LS Exchange von Lang & Schwarz.

Was für viele als fairer Deal erschien – kostenlose Trades für alle – hatte einen schwerwiegenden Haken: Kunden erhielten oft nicht den besten Marktpreis, sondern den, den der Market Maker vorgab. Der Interessenkonflikt war eingebaut – und für viele unsichtbar.

„Das Verbot trifft Trade Republic ins Mark“, sagt EY-Berater Christopher Schmitz. Denn das Rückgrat ihres Geschäfts – der Kickback vom Handelsplatz – bricht weg. Die Antwort? Vertikale Integration. Doch was sich modern anhört, ist eine gefährliche Gratwanderung: Trade Republic will nun selbst zum Market Maker werden – also zum Kurssteller, der eigene Spreads definiert. Damit entsteht ein doppelter Interessenskonflikt: Der Broker bestimmt den Kurs, an dem seine eigenen Kunden handeln. Transparenz? Fraglich. Preisfairness? Unklar.

Im Klartext: 

In Kombination mit der Rolle des Brokers entsteht so eine doppelte Interessenkollision:

Trade Republic verdient an der Kursspanne, die sie selbst definiert.

Trade Republic entscheidet, wer wann zu welchem Kurs kauft und verkauft.

Für Kunden bedeutet das: Sie handeln nicht mehr auf einem unabhängigen Markt, sondern auf einer Preisstruktur, die von ihrem eigenen Anbieter kontrolliert wird. Das untergräbt die Transparenz – und stellt die Frage nach der Fairness neu.

Orderrouting im Dunkeln: Der Citadel-Effekt

Ein Blick über den Atlantik zeigt, was passieren kann, wenn Broker Marktarchitektur und Profitinteressen miteinander vermengen. In den USA landen heute bis zu 40 % aller Aktienorders außerhalb regulierter Börsen – in sogenannten Dark Pools oder bei internen Market Makern. Der größte Player? Citadel Securities, das Imperium von Ken Griffin. Citadel kauft Orderflow von Robinhood & Co., füllt die Orders intern und verdient am Spread – in Mikrosekunden. Und genau hier liegt der Knackpunkt: Kunden handeln „kostenlos“, doch der wahre Preis ist Unsichtbarkeit. Wer füllt den Auftrag? Zu welchem Kurs? Zu wessen Vorteil?

Trade Republic bewegt sich nun in diese Richtung. Mit dem Wechsel eines Top-Traders von Lang & Schwarz und Plänen für ein eigenes Market-Making-System droht dem Berliner Broker die Transformation vom Preisbrecher zum Preissteller. Und genau das ist gefährlich: Wenn derselbe Anbieter sowohl die Orders empfängt als auch die Kurse stellt, entsteht ein Intransparenzrisiko – vergleichbar mit Citadels US-Modell.

Interner Umbau – Zeichen der Umstellung

Der Einstieg von Carsten Lütke-Bornefeld, dem früheren Head of Trading bei Lang & Schwarz, als „Assistent der Geschäftsführung“ bei Trade Republic, wird von Branchenkennern als klares Signal gewertet: Trade Republic holt sich Know-how für den Aufbau einer eigenen Market-Making-Einheit ins Haus. Das Ziel: den Handel von der LS Exchange zu lösen und selbst ins Zentrum der Handelsarchitektur zu rücken.

Parallel dazu wird der Aufbau eines eigenen Handelsplatzes diskutiert – ähnlich wie Scalable mit der EIX. Noch ist nichts bestätigt, aber intern verdichten sich die Hinweise, dass Trade Republic den vollständigen Kontrollmodus anstrebt: Broker, Kurssteller, Handelsplatz – alles unter einem Dach. Für Anleger heißt das: maximale Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter.

Aktuell bietet Trade Republic noch ein attraktives Gesamtpaket: kostenlose Trades, moderne App, attraktive Zinsen. Doch was passiert, wenn sich das Geschäftsmodell ändert? Wenn Gebühren eingeführt, Spreads breiter oder Kurse undurchsichtiger werden? Die Zielgruppe – jung, digital, preissensibel – ist nicht loyal, sondern mobil. Schon jetzt haben viele Kund:innen mehrere Broker gleichzeitig – sie wechseln bei jeder noch so kleinen Gebührenerhöhung.

Die Gefahr: Sobald der Preisvorteil schmilzt, wandern die Kunden in Scharen ab – zu Anbietern mit klarer Struktur, besserer Transparenz oder echtem Handelsplatz.

Scalable als Lichtblick?

Während Trade Republic zunehmend auf Schattenstrukturen und eigene Margenoptimierung setzt, geht der Rivale Scalable Capital einen transparenteren Weg. Mit der Gründung der European Investor Exchange (EIX) und der Rolle als offizieller Handelsplatzbetreiber will Scalable die volle Kontrolle – aber mit klaren Regeln und ohne Tricksereien im Spread-Geschäft. Statt versteckter Margen bietet Scalable strukturierte Integration, klare Gebühren und Plattformstabilität.

Mit dem Launch der eigenen Börse EIX (European Investor Exchange) gemeinsam mit der Börse Hannover hat man sich frühzeitig aus der Umklammerung externer Kurssteller gelöst. Das Fintech übernimmt jetzt fast die gesamte Wertschöpfungskette – vom Depot über die Handelsabwicklung bis zur Verwahrung. Kundenorders laufen über die eigene Plattform, die Margen bleiben im Haus. Das schafft Skaleneffekte, minimiert Abhängigkeiten und – ganz wichtig – macht das Modell PFOF-resistent.

USA: SEC und Rule 611 – Ein Pulverfass explodiert

Und nun steht seit Kurzem auch in den USA das Geschäftsmodell der Gratisbroker unter Beschuss. Die SEC plant, unter Vorsitz von Paul S. Atkins, eine radikale Überarbeitung der Rule 611 („Trade-Through Rule“). Bislang zwingt sie Broker, Aufträge zum besten nominalen Kurs weiterzuleiten – ignoriert aber Gebühren und Rabatte, was zu schlechteren Nettopreisen für Anleger führen kann. Ein Skandal mit System.

Studien zeigen: In 62 % der Fälle führen Brokerorders zu schlechteren Preisen als möglich – weil Börsen mit hohen Rückvergütungen bevorzugt werden. Kritiker wie Joe Saluzzi fordern seit Jahren eine Korrektur: „Die Reg NMS hat den Markt zerrissen. Hochfrequenzhandel dominiert, die sichtbare Liquidität ist kollabiert.“ Die SEC will nun gegensteuern – und könnte damit die Geschäftsgrundlage von PFOF auch in den USA aushebeln.

Robinhoods radikale Antwort: Token statt Aktie

Während Europa Verbote plant und Broker improvisieren, rollt Robinhood von hinten das Feld auf – mit tokenisierten Aktien auf der Ethereum-Variante Arbitrum. Aktien als ERC-20-Token, 24×5 handelbar, direkt ins Wallet lieferbar, fractional, gebührenfrei. Kein CCP, kein CSD, keine Bank dazwischen. Das ist kein Spielzeug – das ist das Endspiel.

Robinhood baut auf das, was Trade Republic nie schaffen wird: echte Infrastruktur-Kontrolle auf Blockchain-Ebene. Die Token-Strategie hebelt zentrale Abwickler aus, senkt Kosten radikal – und erschließt neue Märkte wie DeFi-Staking, synthetische Derivate und Lending. Wenn PFOF fällt, wird Robinhood nicht nervös. Sie sind schon in der Post-PFOF-Welt angekommen.

Was bedeutet das für Anleger?

Wer heute bei Trade Republic handelt, muss sich fragen: Will ich, dass mein Broker auch mein Kurssteller ist? Will ich in einem Markt handeln, den mein Anbieter selbst betreibt – mit Margen, die ich weder sehe noch verhandeln kann? Der Wandel vom Neobroker zur Bank, vom Vermittler zum Market Maker, vom Kundenversorger zum Kurskontrolleur mag betriebswirtschaftlich logisch erscheinen – ist aber für Anleger ein Drahtseilakt. Wer die Kurse stellt, kontrolliert den Preis – und damit den Erfolg oder Misserfolg jeder Order.

Bei Scalable gibt es zumindest einen strukturellen Schutzmechanismus – durch Börsenlizenz und institutionelle Standards. Die EIX wird reguliert, die Kurse überwacht, die Margen sind nachvollziehbar. Wer langfristig handeln will, braucht Vertrauen in den Preis – nicht nur eine App mit hübschem Design.

Too many, too fragile: Warum zehn Neobroker zu viel sind

Branchenexperte Christopher Schmitz von EY bringt es auf den Punkt: „Deutschland braucht keine zehn Neobroker.“ Die Szene ist überlaufen, viele Anbieter kämpfen um ein und dieselbe Zielgruppe – junge, digitalaffine, preissensitive Anleger:innen. Wer es in diesem Umfeld nicht schafft, ein differenziertes Angebot mit stabilen Erträgen aufzubauen, wird verschwinden. Private-Equity-Fonds und große Plattformen stehen bereit, um bei erster Schwäche zuzuschlagen.

Erste Beispiele gibt es längst:

Finanzen.net wurde Ende 2023 von Inflexion übernommen, einem Private-Equity-Haus mit klarer Digitalstrategie. Ziel: die Verzahnung von Content, Plattform und Brokerage. Andere Kandidaten wie JustTRADE oder Smartbroker gelten in der Branche als Übernahmekandidaten – zu klein, zu wenig Umsatzdiversifikation, zu abhängig von Marktphasen.

Der Marktkrieg beginnt – doch der Kunde zahlt

Auf dem Papier wirkt Trade Republic zu groß, um zu scheitern. Acht Millionen Kunden, volle Banklizenz, hoher Markenwert. Aber: Das Unternehmen verbrennt noch immer Kapital, muss sein Geschäftsmodell neu erfinden – und steckt gleichzeitig in Rechtsstreitigkeiten und strukturellen Umbauten.

Das Endspiel um PFOF wird nicht mit Marketing gewonnen, sondern mit Transparenz. Wer den neuen Margenkrieg gewinnen will, braucht Vertrauen. Und das wächst nicht durch Schattenhandel und Spread-Taktiken. Trade Republics Marschrichtung erinnert gefährlich an die Citadelisierung des Finanzmarktes. Scalable hingegen zeigt, dass Vertikalisierung auch ohne Intransparenz möglich ist.

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