Der Bundesfinanzhof verhandelte am 17. Januar 2023, ob die Ergänzungsabgabe rechtmäßig ist. Die wichtigsten acht Punkte im Überblick Von Stefan Rullkötter

1. Der Hintergrund:
Seit 2021 ist der Solidaritätszuschlag (Soli) für rund 90 Prozent der Bürger, die ihn davor alle auf ihre Lohn- oder Einkommensteuer zahlten, abgeschafft. 3,5 Prozent der Steuerpflichtigen müssen die Ergänzungsabgabe als „Topverdiener“ aber weiter  in voller Höhe (5,5 Prozent der Einkommensteuer) entrichten – und 6, 5 Prozent als „Gutverdiener“ abgestuft in einer „Gleitzone“. Auf Kapitaleinkünfte werden grundsätzlich weiterhin 5,5 Prozent der Abgeltungsteuer (25 %) als Ergänzungsabgabe erhoben.

2. Das Musterverfahren:
In dem Revisionsverfahren (Az. IX R 15/20) geht es um die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags ab dem Jahr 2020. Die Entscheidung des Gerichts wird voraussichtlich in einem gesonderten Termin am 30. Januar 2023 verkündet werden.

3. Die Kläger:
Die Kläger sind  zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehepartner, Margarete und Andreas Berberich aus Augsburg. Das beklagte Finanzamt setzte die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag ab 2020 in Höhe von vierteljährlich 453 EUR, später 340 EUR, fest. Die Kläger beantragten (erfolglos) die Herabsetzung der Vorauszahlungen auf 0 EUR. Zur Begründung beriefen sie sich auf das Auslaufen der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019. Da der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden dürfe, verbiete dieser Ausnahmecharakter eine immerwährende Erhebung. Den gegen die Ablehnung gerichteten Einspruch wies das Finanzamt unter Hinweis auf seine Bindung an die Steuergesetze zurück.

4. Die Entscheidung in erster Instanz:

Das Finanzgericht hat der dagegen gerichteten Klage nur teilweise stattgegeben. Es hat den Vorauszahlungsbescheid dahingehend geändert, dass die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag ab 1.1.2021 –in Übereinstimmung mit den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen– auf vierteljährlich 19 EUR herabgesetzt werden. Im Übrigen hat es die Klage unter Hinweis auf seine fehlende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1995 für Veranlagungszeiträume ab 2020 abgewiesen.
Das Finanzamt hat zwischenzeitlich die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag ab 1.1.2021 an das Finanzgerichtsurteil angepasst. Zudem hat es den Jahresbescheid für 2020 erlassen und den Solidaritätszuschlag auf 2.078,56 EUR festgesetzt.

5. Die rechtlichen Argumentationen:
Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe gemäß  Artikel 106 Abs. 1 Nr. 6 d Grundgesetz. Die Kläger sind der Ansicht, dass der – unbefristet erhobene – Solidaritätszuschlag mit dem Auslaufen des sog. Solidarpakts II am 31.12.2019 sowie der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs seine Rechtfertigung verloren habe. Daher verstoße die Erhebung des (verfassungsgemäß) eingeführten Solidaritätszuschlags nunmehr gegen das Grundgesetz.
Demgegenüber begründet der Gesetzgeber die Fortführung des Soli damit, dass es weiter eine besondere Finanzlast in Folge der Wiedervereinigung gibt, etwa bei der Rentenversicherung oder am Arbeitsmarkt. Das Aufkommen aus der Ergänzungsabgabe lag 2020, also im Jahr  vor der Änderung, bei rund 19 Milliarden Euro. Im Folgejahr sank es auf rund elf Milliarden Euro.

6. Die mögliche Vorlage nach Karlsruhe:
Darüber hinaus halten die Kläger die ab 2021 erfolgende Rückführung des Solidaritätszuschlags für verfassungswidrig. In dem Umstand, dass seit dem Veranlagungszeitraum 2021 nur noch rund 10% der Steuerpflichtigen den Solidaritätszuschlag zahlen müssen, sehen sie vor allem einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes).Der Bundesfinanzhof wird sich aus dem Grund  damit auseinandersetzen müssen, ob er – wie von den Klägern angeregt – eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholt. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht setzt voraus, dass die obersten Finanzrichter das Solidaritätszuschlagsgesetz  von 1995 für verfassungswidrig halten.

7. Die Rolle des Bundesfinanzministeriums:
Das Bundesministerium der Finanzen war  dem Rechtsstreit beigetreten und  sollte durch einen Vertreter der Behörde ursprünglich den Solidaritätszuschlag vor dem BFH verteidigen. Doch eine Woche vor der mündlichen Verhandlung macht es einen  Rückzieher. Es ist bekannt, dass sich Finanzminister Christian Lindner , vor allem in seinem zweiten Amt als FDP-Chef, für eine Abschaffung des Soli einsetzt.  
 
8. Die Experten-Einschätzung: Sind Klagen gegen den Soli-Zuschlag vor Finanz- und Verfassungsgerichten aussichtsreich?
Anton Götzenberger, Steuerberater und Fachbuchautor (“Optimale Vermögensübertragung", nwb Verlag, 7. Auflage 2023):

"Dass der Solizuschlag immer noch erhoben werden darf, halte ich für sehr bedenklich. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 13. April 2017 (2 BvL 6/11) zum Kernbrennstoffsteuer-Gesetz entschieden, dass Bürger darauf vertrauen dürfen, ,,nur in dem durch die Finanzverfassung vorgegeben Rahmen besteuert zu werden". Der Präsident des Bundesrechnungshofs ist in seinem Gutachten über den Abbau des Solidaritätszuschlags (Gz I 2-90 08 04 vom 4.6.2019 in Ziffer 7 (Zusammenfassung) zu dem Schluss gekommen dass der Grund für die Einführung des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe  mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II zum Ende des Jahres 2019 weggefallen ist. Dennoch glaube ich, dass angesichts leerer Staatskassen die Gesetze so "hingedreht" werden dürften, dass der Soli-Zuschlag auch für Kapitaleinkünfte verfassungskonform wird."

Und Vorsicht bei Auslandsdividenden: Diese Steuerfallen lauern.