Dunkle Wolken nicht nur über der Wall Street: Rezessions- und Inflationsgespenster sind zurück, prominente Anlageexperten schlagen Alarm. Was an den Crash-Szenarien dran ist.

Die Botschaft war kurz, kna­ckig und an Eindeutigkeit nicht zu überbieten: „Sell“, legte Michael Burry seiner Fangemeinde via Twitter ans Herz: „Verkauft“. Eine letzte Warnung, ehe er seinen Account, den er unterdemNamen„CassandraB.C.“ führte, bei dem Kurznachrichtendienst löschte.

Das war Anfang des Monats. In der ver­gangenen Woche bestätigte sich dann, wovor Hedgefondsmanager Burry schon seit Wochen und Monaten gewarnt hatte. Die Konjunktur in den USA ist keineswegs über den Berg, das Rezessionsgespenst ist zurück. Und das bei gleichzeitig stark steigenden Preisen und Lohnkosten. Ein toxischer Cocktail für die Unterneh­mensgewinne, die für den Aktienmarkt die Richtung vorgeben. Die Inflationsrate sank im Januar in den Vereinigten Staaten zwar zum siebten Mal in Folge, jedoch nur leicht von 6,5 auf 6,4 Prozent. 

Ökonomen hatten mit einem stärkeren Rückgang ge­rechnet. Auch der Anstieg der Erzeuger­ preise um sechs Prozent war deutlich hö­her als erwartet. Dow Jones, Nasdaq und S&P 500 knickten unmittelbar nach der Veröffentlichung der Daten ein. Dass mit einer Arbeitslosenquote von nur 3,4 Pro­zent faktisch noch Vollbeschäftigung herrscht, ist für die Wall Street ebenfalls ein schlechtes Zeichen.

Das mutet paradox an, denn damit soll­ten Rezessionsszenarien eigentlich vom Tisch sein. Doch solange die Wirtschaft nicht abkühlt, gibt es keinen Grund für die Notenbank, den Zinserhöhungszyklus zu beenden. Das Bekämpfen der Inflation hat Vorrang, und zwar so lange, bis die Zins­erhöhungen die Konjunktur tatsächlich abwürgen und die Rezession unabwend­ bar ist. Genau dieses Zusammenspiel von Belastungsfaktoren meint Michael Burry mit seiner eindringlichen Warnung. Der Gründer des Hedgefonds Scion Asset Mananagement erlangte Kultstatus, als er den Zusammenbruch des US-Immobilien­marktes vorhersagte, der zur Finanzkrise 2008 führte. Der Film „The Big Short“ aus dem Jahr 2015 beschreibt, wie der Inves­tor durch seine Wetten auf fallende Kurse zu einer Art Orakel der Wall Street wurde. Insofern wäre es fahrlässig, seine War­nungen zu ignorieren. Zumal er mit seiner Meinung keineswegs allein dasteht.

Drastische Wortwahl

Auch Michael Hartnett, Strategiechef der Bank of America, warnt in drastischen Worten vor einem Börsencrash. Er geht in der zweiten Jahreshälfte von wieder zu­nehmendem Inflationsdruck und damit von weiteren Zinserhöhungen aus — Gift für den seiner Meinung nach gnadenlos überbewerteten US-Aktienmarkt. Folge werde die durch die jahrelang praktizierte Politik des billigen Geldes „immer wieder aufgeschobene Apokalypse“ sein.

Selbst Nobelpreisträger stimmen in den Chor der Crash-Propheten mit ein. Nouriel Roubini, ebenfalls einer, der vor dem Platzen der Immobilienblase 2008 gewarnt hatte, sieht die „Mutter aller Kri­sen“ heraufziehen. Der Krieg in der Ukrai­ne, die Spannungen zwischen den USA und China und andere geopolitische Ge­fahren würden brutal unterschätzt. Robert J. Shiller bereiten die hohen Be­wertungen Sorgen. Er meidet zwar das Wort Crash, geht jedoch davon aus, dass allein das Narrativ einer drohenden Wirt­schaftskrise die US-Konsumlaune in den kommenden Monaten bremsen wird: „Die Situation fühlt sich ein wenig an wie 1929.“

Damals kollabierte die Wall Street, was eine Depression auslöste, die sich über die gesamten 1930er­Jahre erstreckte.

Nassim Nicholas Taleb, Autor des Buchs „Der schwarze Schwan“, setzt noch einen drauf. Er sieht die weltweit hohe Verschul­dung als Hauptproblem an und spricht von „der größten Zeitbombe der Finanz­geschichte“. Die Nullzinspolitik habe zu gewaltigen Blasen geführt, ob bei Immobi­lien oder anderen Sachwerten wie Luxus­uhren oder Oldtimern. Und erst recht bei Kryptowährungen wie dem Bitcoin, die er „bösartige Tumore“ nennt.

Was ist dran an den düsteren Prophezei­ungen? Zumindest bei Burry und Taleb, der ebenfalls einen Hedgefonds (Universa Investment) berät, könnten die Horrorsze­narien auch dem Eigennutz dienen: von Publicity über erhoffte Mittelzuflüsse bis zur selbsterfüllenden Prophezeiung, weil sie selbst auf fallende Kurse wetten. Zu­mal Amerikaner das Stilmittel der Über­treibung nicht erst seit Donald Trump für sich entdeckt haben.

Doch auch bekanntermaßen besonne­ne Experten hierzulande wollen keine Entwarnung geben — im Gegenteil. Frank Fischer, Manager des Frankfurter Aktien­fonds für Stiftungen und alles andere als ein Dauerpessimist, sieht ebenfalls das Problem zu hoher Bewertungen am US­ Markt. Die wegen der Zinserhöhungen gestiegenen Kapitalkosten der Unterneh­men seien in den bisher veröffentlichten Zahlen noch gar nicht sichtbar, warnt der Experte. Und auch das „Inflationsmons­ter“ sei keineswegs endgültig bekämpft. Fischer warnt deshalb davor, den starken Januar als Indikator für ein gutes Börsen­jahr 2023 zu missdeuten. Die Januar-­Rally war seiner Beobachtung nach nur Folge eines sogenannten „Short Squeeze“. Zu viele Investoren hätten nach dem Jahres­wechsel auf weiter fallende Kurse gesetzt, Fondsmanager Berge von Liquidität ange­häuft, die sie nun abgebaut hätten.

Das trieb die Kurse zuvor stark gefalle­ner Börsenlieblinge wie Tesla oder Nvidia wieder nach oben, was offenbar bei Pri­vatanlegern die Hoffnung weckte, die im Jahr 2020 begonnene Rally der Tech­-Akti­en könne sich nach einem Jahr Pause fort­ setzen. Die Risikopositionen der US-Bür­ger haben im Januar sogar ein neues Re­kordniveau erreicht. Für Jens Ehrhardt, den Grandseigneur unter Deutschlands Vermögensverwal­tern, ist es ein klares Alarmsignal, wenn die Stimmung so schnell so stark steigt. Das Hauptproblem sieht er jedoch im mo­netären Umfeld. Noch nie in der Geschich­te seien Aktien in einer Phase gestiegen, in der die Notenbanken dem Markt Geld entziehen. Im Interview im neuen Heft erklärt Ehrhardt seinen Standpunkt ausführlich. Die Redaktion ist zwar traditionell skep­tisch, was Crash­Vorhersagen angeht, doch eine 20-Prozent­Korrektur ist gerade im aktuell wackeligen Marktumfeld nicht auszuschließen. Warum, lesen Sie in der neuen Ausgabe von BÖRSE ONLINE.

Zur neuen Ausgabe

Weitere Themen im Heft:

Triple-Comeback 
Der Finanzkonzern steht so gut da wie lange nicht mehr. Der Aufwärtstrend hält an, die Aktie wird folgen (S. 24) 

Kursziel erhöht
Der Hersteller von Getränkeabfüllanlagen ist gut im Geschäft und will in Zukunft weiter wachsen. Eine Aktie mit Potenzial (S. 26) 

Ein weiterer Kurssprung ist drin
Branchenübergreifende Einsatzmöglichkeiten der Produkte und die Rückkehr vieler Kunden auf den Wachstumspfad sorgen für eine starke Geschäftsentwicklung (S. 28) 

Mit Vollgas zu dreistelligen Kursen
Der Automobilzulieferer nimmt an der Börse Fahrt auf und erreichte jüngst ein Rekordhoch. Mittelfristig sind dreistellige Kurse drin. Eine attraktive Aktie für Anleger mit Mut und Ausdauer (S. 30) 

China treibt den Kurs
Der Kosmetikkonzern wächst und ist profitabel wie nie. Die Wiederöffnung Chinas dürfte dem Konzern in die Karten spielen (S. 44)

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