Mastercard und Visa attackieren die bewährte deutsche Girokarte mit ihren Debitcards. Das bringt Nachteile für Verbraucher und Chancen für Anleger. Von Gregor Dolak und Simone Gröneweg

Deutschland à la carte — an Gleis 14/15 am Münchner Hauptbahnhof beginnt die bargeldfreie Zone. Morgens 9 Uhr, Eurocity nach Rimini, ICE nach Köln. „Nur Kartenzahlung, No cash“, annonciert die Proviantbude „Sandwich, Snacks & Co“ in Großbuchstaben über dem Tresen. Verdutzte Barzahler. Vor Gleis 12 stehen Passagiere bei der Salatkette „Dean & David“ an. Falafel-Tahini-Salat zu 9,95 Euro. Auch dort akzeptierte die Verkäuferin bis vor Kurzem nur Plastikgeld. Kontaktloses Bezahlen sei hygienischer, vermeide Schlangen, schütze vor Überfällen, argumentierte das Unternehmen.

Die neue Welt

Inzwischen hat das Management einen Rückzieher gemacht. Kunden dürfen wieder in Scheinen bezahlen. Ohnehin zücken viele die Karte oder das Smartphone, auch bei den umliegenden Verkaufsständen. Seit Corona hat sich das Zahlungsverhalten grundlegend geändert. Einkäufe mit Bargeld, per Lastschrift oder auf Rechnung gehen zurück. Laut Bundesbank wickelten die Deutschen in Supermärkten, Kaufhäusern, Modeläden 2021 mehr als 30 Prozent aller Transaktionen per Giro- oder Kreditkarte ab. Das entspricht bereits 40 Prozent des gesamten Handelsumsatzes.

Allein für 5,9 Milliarden Bezahlvorgänge steht dabei die Girokarte. Und ihr stehen Veränderungen bevor, die vielen Nutzern noch gar nicht bewusst sind: Ab Sommer 2023 läuft das Maestro-System aus, das die Girokarte vieler Bankkunden im In- und Ausland bedient. Der US-Finanzkonzern Mastercard, der Maestro bislang betreibt, bietet es nicht länger an.

Etliche Banken verfrachten die Giro- card, die Kunden zum Abheben am Automaten oder Bezahlen meist kostenlos zum Girokonto bekamen, aufs Abstellgleis und setzen verstärkt Debitkarten ein. Die ING bietet zum Girokonto nun kostenlos eine Visa-Debitkarte an, für die Girokarte müssen Kunden 99 Cent pro Monat zahlen. Die DKB preist ebenfalls auf ihrer Internetseite die kostenlose Visa-Debit- karte an. Kunden können die Girokarte für 99 Cent monatlich dazubuchen.

Dahinter steckt ein Angriff der Giganten. „Die US-Anbieter drängen mit ihren Debitkarten nach Deutschland“, erklärt Stephanie Heise von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Deutsche Bankkunden sollen auf die Debitkarte von Mastercard oder Visa umsatteln.

Die gewaltigen Umsätze von mehr als 200 Milliarden Euro im Handel, die bislang über die Girokarte laufen, locken die beiden Konzerne. „Sie versuchen, mit der Abschaffung bestehender Kartenlösungen und Werbezuschüssen über die Banken stärker in den Markt zu kommen“, beobachtet Thomas Wollmann vom Beratungsunternehmen Investors Marketing. 

Verbraucherschützerin Heise fällt auf, „dass viele Konsumenten die Unterschiede zwischen den Karten gar nicht kennen“. Er liege im Wesentlichen darin, dass es sich beim Girocard-System um ein deutsches Bezahlsystem handelt. Die Karten werden von der Euro Kartensysteme GmbH ausgegeben, einem Gemeinschaftsunternehmen der Banken und Sparkassen. Die Debitkarten der US-Anbieter gehören zu den Kreditkarten. Mit dem Unterschied, dass zu zahlende Beträge wie bei der Girokarte direkt nach dem Einkauf vom Konto abgebucht werden, statt gebündelt einmal im Monat.

Nachteil beim Internet-Shopping

Die Geldhäuser schwenken um, da die Girokarte durchaus Nachteile birgt. „Im Internet kann man damit nicht bezahlen, nur wenn man das Lastschriftverfahren anwendet“, erklärt Expertin Heise. So verwundert es nicht, dass der Kauf auf Rechnung beim Online-Shopping in Deutschland nach wie vor die beliebteste Zahlungsart darstellt. Im Ausland kann man mit der Girokarte eigentlich auch nicht bezahlen. Zur Zahlungsabwicklung in an- deren Ländern ist das deutsche Girocard-System auf eine Kooperation mit Master- card oder Visa angewiesen. Aus diesem Grund prangen die Logos für Maestro oder für Visas V Pay auf den Karten.

Die neuen Debitkarten werden den Nutzern zunächst kostenlos angeboten. Dass jedoch durch die Hintertür für die Kunden nichts günstiger wird, zeichnet sich bereits ab (siehe Kasten nächste Seite). Denn bei Geschäften via Debitkarten müssen Verkäufer künftig höhere Margen entrichten als bislang bei Girocard-Bezahlung. „Steigende Kosten, die möglicherweise an die Kunden weitergereicht werden“, erklärt Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland (HDE).

Deutsche Banken setzen dem Angriffsversuch der US-Kartengiganten bislang wenig entgegen. Ein eigenständiges Kartensystem aufzubauen, wäre teuer. Manche Institute erweitern ihre Girocards lieber um Debitfunktionen. „Co-Badge“ nennt sich das Verfahren: Die Sparkassen bieten bereits eine Kombination mit Debit Mastercard (DMC) an. „Die tauschen das nach und nach aus, die Kunden merken das in der Regel gar nicht so“, sagt Berater Wollmann. Mit den neuen Karten kann man nicht nur weltweit zahlen, sondern auch online. Alternativ bieten manche Sparkassen ihrer Kundschaft eine Sparkassen-Card mit Girocard und dem Zahl- verfahren Visa (Debit) an.

Welche Variante ausgegeben wird, entscheidet jedes Institut im Verbund selbstständig. Für die Kundschaft wird es wohl teurer. „Die Kombikarten werden etwas kosten“, prognostiziert Wollmann.

Das Ende der Unabhängigkeit

Wenn sich die hiesigen Banken nicht doch noch zum Gegenangriff entschließen, könnte Mastercard und Visa mittelfristig ein enormer Sieg gelingen: auf einem der letzten verbliebenen Märkte in Europa das national etablierte Bezahlsystem zu knacken und durch eigene Produkte zu ersetzen. In Frankreich, den Niederlanden oder Österreich existieren mit der Carte Bancaire oder der Bankomat-Karte zwar noch ähnliche Angebote, aber auch die benötigen teils die Unterstützung der Plastikgeldkonzerne.

Diffuse Hoffnungen des deutschen Handels fußen noch auf der Einführung des digitalen Euro durch die Europäische Zentralbank, der ein von US-Firmen unabhängiges Bezahlsystem etablieren könnte. Aber solange die Großen aus den Staaten den Konflikt sukzessive zu ihren Gunsten entscheiden, bleibt deutschen Girocard-Nutzern berechtigter Ärger über die Entwicklung. Oder die Möglichkeit, davon zu profitieren: über den Kauf von Aktien der beiden Angreifer.

Die Börsenkurse von Mastercard und Visa legen seit Jahren zu. Plus 54 Prozent binnen drei Jahren bei Mastercard, plus 70 Prozent bei Visa. Die Profitabilität der beiden wächst seit Jahren, ebenso die Höhe der Dividende, die beide ausschütten. Wenn sie sich mit ihrer Marktmacht nun auch in Deutschland durchsetzen, bringt das womöglich Milliarden an zusätzlichem Umsatz. Und weiteres Wachstumspotenzial für ihre Wertpapiere.

Beim Kartentausch: Worauf Girokarten-Nutzer achten sollten

1. Wer akzeptiert meine Karte künftig?

Der seit Corona laufende Trend zum kontaktlosen Bezahlen könnte mit den Debitkarten einen empfindlichen Dämpfer bekommen. „Kleine Läden, die Terminals für Girokarten haben, akzeptieren oft keine Kreditkarten. Und in diese Kategorie fallen die Debitkarten nun mal“, sagt Kontenexpertin Ania Scholz-Orfanidis von der FMH Finanzberatung. Mal eben drei Brötchen beim Bäcker kaufen, mit Karte bezahlen — das könnte ohne Giro- karte künftig schwierig werden.

2. Kann ich noch Bargeld ziehen?

Viele Banken schließen Filialen, damit verschwinden auch immer mehr Geldautomaten. Viele Konsumenten heben Bargeld nun an der Supermarktkasse ab. Wer sich für eine Debitkarte entscheidet, sollte überprüfen, ob es diesen Service für ihn künftig gibt. „Das halten die Banken unterschiedlich, bei einigen Instituten geht das nicht“, sagt Scholz-Orfanidis.

3. Kostenlos – und dennoch Mehrkosten?

Banken bieten die neuen Debitkarten für ihre Girokontonutzer kostenlos an. Aber durch die Hintertür könnten diese mittelfristig mit höheren Preisen konfrontiert sein. Wenn der Bäcker sein Brötchen via Girokarte verkauft, bezahlt er 0,2 Prozent der Verkaufssumme als Gebühr an den Kartenemittenten. Bei Debitkarten fallen laut Handelsverband HDE bis zu vierfach höhere Kosten an. Das bleibt dem Bäcker: Er schlägt die Kosten auf den Brötchenpreis, er akzeptiert geringeren Gewinn — oder künftig keine Kartenzahlung mehr.

4. Kann die Debitkarte wirklich alles?

Banken preisen die Debitkarte als Alleskönner an. Aber eine echte Kreditkarte ist sie nicht. „Darum kann man mit ihr nicht bei jedem Mietwagenanbieter buchen“, so Verbraucherschützerin Heise. Falls doch, wird oft die Kautionssumme auf dem Konto quasi eingefroren. Bedeutet: Auf dem Konto muss ausreichend Cash liegen.

Dieser Artikel erschien zuerst in BÖRSE ONLINE 36/2022. Werfen Sie hier einen Blick ins Heft.