FIRE verspricht finanzielle Freiheit vor dem Rentenalter. Disziplin, hohe Sparquoten und clevere Investments sind der Schlüssel zur Unabhängigkeit. Start einer neuen Serie von Nils Jacobsen.

Die Idee, frühzeitig finanziell frei zu werden und den eigenen Lebensunterhalt nicht mehr durch Arbeit bestreiten zu müssen, fasziniert seit Jahren immer mehr Menschen weltweit. Was einst als Nischenbewegung in den USA begann, ist längst zu einem globalen Phänomen geworden – auch im deutschsprachigen Raum. 

Die sogenannte FIRE-Journey – FIRE steht für "Financial Independence, Retire Early" – verspricht ein Leben, in dem Zeit wichtiger ist als Geld, Selbstbestimmung Vorrang vor Abhängigkeiten hat und Konsum nicht länger als Maßstab für Erfolg gilt. Doch was steckt hinter diesem Ansatz, wie realistisch ist er – und welche Summen gelten als Zielmarke, um tatsächlich „finanzielle Freiheit“ zu erlangen?

Ursprung der FIRE-Bewegung

Die Wurzeln von FIRE reichen zurück in die 1990er-Jahre, als der US-Autor Vicki Robin mit ihrem Buch "Your Money or Your Life" erstmals das Konzept propagierte, Geld wie eine Ressource zu behandeln, die nicht verschwendet werden darf. 

Wirklich populär wurde die Bewegung aber um 2010, als Blogger wie Mr. Money Mustache und Plattformen wie Reddit die Idee in einer Community von jungen Berufstätigen weitertrugen. Der Grundgedanke: Wer einen großen Teil seines Einkommens spart und sinnvoll investiert, kann Jahre oder sogar Jahrzehnte vor dem regulären Renteneintrittsalter aus dem Hamsterrad aussteigen.

So funktioniert die FIRE-Strategie

Das Prinzip ist einfach, aber diszipliniert:

• Hohe Sparquote: Mindestens 30, oft 50 Prozent oder mehr des Nettoeinkommens werden zur Seite gelegt.

• Investieren statt sparen: Das Kapital fließt in renditestarke Anlagen wie breit gestreute ETFs, Aktien oder auch in Immobilien.

• Frugaler Lebensstil: Wer seine Ausgaben reduziert, erreicht sein Ziel schneller – und braucht im Ruhestand weniger Kapital.

• Entnahmephase: Sobald ein ausreichendes Vermögen aufgebaut ist, finanzieren die Kapitalerträge den Lebensunterhalt.

Die magische 4-Prozent-Regel

Besonders verbreitet ist die sogenannte 4-Prozent-Regel, die auf der bekannten Trinity-Studie aus den USA basiert. Sie gilt als Faustformel für die nachhaltige Entnahme aus einem Depot und ist Angesicht der historischen (Vorsteuer-)Renditen von 8 Prozent und mehr im S&P 500, MSCI World oder Dax durchaus konservativ kalkuliert.   

Die Grundannahme: Wer im Ruhestand jährlich höchstens vier Prozent seines angesparten Vermögens entnimmt, dessen Kapital reicht – bei durchschnittlicher Marktentwicklung – für mindestens 30 Jahre, oft auch länger. Diese Regel setzt allerdings auf ein breit diversifiziertes Portfolio, das vor allem aus Aktien und Anleihen besteht.  Bei einem Depot von 1 Million Euro wären so 40.000 Euro pro Jahr als „sichere“ Entnahmesumme kalkulierbar.

Wie viel Geld ist genug?

Die „magische Zahl“ hängt stark vom eigenen Lebensstil ab. Ein minimalistischer FIRE-Anhänger, der mit 2.000 Euro pro Monat auskommt, benötigt bei einer Entnahmerate von 4 Prozent  etwa 600.000 Euro Kapital. Wer hingegen einen komfortablen Lebensstil mit Monatsbudget von 5.000 Euro anstrebt, muss mehr als 1,5 Millionen Euro ansparen.

In Deutschland gilt laut aktuellen Erhebungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ein Nettovermögen ab rund 777.000 Euro bereits als Zugehörigkeit zum obersten Zehntel der Haushalte. Viele FIRE-Anhänger setzen sich daher in etwa diese Marke zwischen 500.000 und einer Millionen als Zwischenziel auf dem Weg in die Unabhängigkeit.

Herausforderungen auf dem Weg

Die Theorie klingt einfach, die Praxis ist oft komplex. Hohe Lebenshaltungskosten, steigende Mieten oder auch steuerliche Belastungen in Deutschland erschweren den Vermögensaufbau. Hinzu kommt das Risiko von Marktschwankungen, die gerade in den ersten Jahren der Entnahmephase zur Gefahr werden können. 

Wer zu Beginn eines Bärenmarkts von seinem Portfolio leben muss, setzt sein Konzept der „ewigen Rente“ schnell aufs Spiel.

Daher kombinieren viele FIRE-Anhänger den klassischen Ansatz mit flexiblen Strategien wie einem Nebenjob, projektbasierten Einkünften oder der Anpassung der Ausgaben in schwachen Marktphasen.

Mehr als nur Geld: Ein neues Lebenskonzept

Die FIRE-Journey ist für viele nicht nur ein Finanzplan, sondern ein radikales Umdenken in Bezug auf Konsum, Arbeit und Lebensqualität. Es geht um die Erkenntnis, dass Zeit die wertvollste Ressource ist – und dass finanzielle Freiheit nicht zwingend bedeutet, nie wieder zu arbeiten, sondern frei entscheiden zu können, wann, wie und mit wem man arbeitet. Dieser Perspektivwechsel macht FIRE auch für Menschen attraktiv, die nicht zwangsläufig mit 40 in den Ruhestand wollen, aber eine „Option zur Freiheit“ suchen.

FIRE ist kein kurzfristiger Trend, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels hin zu mehr Selbstbestimmung. Wer konsequent spart, diszipliniert investiert und seine Ausgaben im Griff hat, kann in möglicherweise schon in 15-20 Jahren ein Vermögen aufbauen, das finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht. Doch so klar die Formeln auch erscheinen – der Weg bleibt individuell. Und das vielleicht wichtigste Ziel dieser Reise ist nicht die Zahl auf dem Depot, sondern die Freiheit, das eigene Leben nach den eigenen Regeln zu gestalten.

Mehr über die FIRE-Journey lesen Sie an dieser Stelle an den kommenden Wochenenden.

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