Millennials & Gen Z suchen Selbstbestimmung: Von Lean bis Coast FIRE zeigt die Bewegung neue Wege zu Freiheit und Sicherheit. Teil zwei der FIRE-Serie von Nils Jacobsen.

Die Idee der finanziellen Unabhängigkeit, kurz FIRE (Financial Independence, Retire Early), ist keine Modeerscheinung der Gegenwart, sondern wurzelt in den 1990er-Jahren. Doch während die Grundlagen bereits damals gelegt wurden, ist es die junge Generation der Millennials und Gen Z, die das Konzept zu einer globalen Bewegung gemacht hat. 

Zwischen Minimalismus, Konsumkritik und dem Drang nach Selbstbestimmung wird FIRE für sie zum Lebensmodell – mit unterschiedlichen Ausprägungen, die von radikalem Verzicht bis hin zu komfortabler finanzieller Freiheit reichen.

Von „Your Money or Your Life“ zu Mr. Money Mustache

Als die US-Autorin Vicki Robin 1992 ihr Buch Your Money or Your Life veröffentlichte, war das Konzept revolutionär: Geld nicht länger als Statussymbol zu begreifen, sondern als Ausdruck von Lebensenergie. Jeder Dollar, der ausgegeben wird, repräsentiert Lebenszeit – eine Erkenntnis, die bis heute das Fundament von FIRE bildet.

In den 2000er-Jahren griffen Blogger die Idee auf und machten sie massentauglich. Besonders der Kanadier Peter Adeney, besser bekannt als Mr. Money Mustache, prägte den Diskurs. Mit seinem Blog erreichte er Millionen Leser und zeigte, wie sich durch eine Kombination aus Sparsamkeit, hoher Investitionsquote und einem bewussten Lebensstil finanzielle Freiheit schon mit 30 oder 40 Jahren erreichen lässt.

Lean FIRE, Fat FIRE, Barista FIRE – unterschiedliche Wege

Heute ist FIRE längst keine monolithische Bewegung mehr, sondern hat sich in verschiedene Strömungen ausdifferenziert:

• Lean FIRE: Hier steht radikaler Minimalismus im Vordergrund. Anhänger versuchen, mit sehr niedrigen Lebenshaltungskosten auszukommen – teils unter 20.000 Euro pro Jahr. Ziel ist es, so schnell wie möglich unabhängig zu werden, auch wenn dies bedeutet, auf Komfort und Luxus zu verzichten.

• Fat FIRE: Der Gegenentwurf. Wer „Fat FIRE“ anstrebt, möchte die finanzielle Freiheit genießen, ohne Abstriche beim Lebensstil zu machen. Das erfordert ein deutlich höheres Vermögen – oft im Millionenbereich –, verspricht aber ein komfortables Leben nach dem Ausstieg.

• Barista FIRE: Eine Mischform, die den Spagat zwischen Sicherheit und Freiheit wagt. Hier geht es darum, genug Kapital aufzubauen, um den Großteil der Lebenshaltungskosten durch Kapitalerträge zu decken, aber weiterhin in Teilzeit zu arbeiten. Der „Barista-Job“ dient dabei als Symbol – nicht als Zwang, sondern als Option für soziale Kontakte, Struktur und zusätzliches Einkommen.

• Coast FIRE: Vor allem bei Millennials und Gen Z beliebt. Die Idee: Wer in jungen Jahren aggressiv spart und investiert, erreicht schon früh ein Kapitalniveau, das – ohne weitere Einzahlungen – dank Rendite bis zur Rente „von allein“ anwächst. Danach genügt ein normales Arbeitseinkommen, um laufende Kosten zu decken. Die steigende Rendite des Portfolios besorgt den Vermögensaufbau über die Jahre  dann praktisch per Autopilot.

Diese Varianten zeigen: FIRE ist keine starre Formel, sondern ein flexibles Konzept, das individuell angepasst werden kann.

Warum FIRE Millennials und Gen Z fasziniert

Die Popularität von FIRE bei jüngeren Generationen hat auch gesellschaftliche Ursachen. Millennials sind geprägt von der Finanzkrise 2008, stagnierenden Reallöhnen und einer Arbeitswelt, in der klassische Karrieren immer seltener ein Garant für Sicherheit sind. Gen Z wiederum wächst in einer Ära auf, in der Selbstverwirklichung, Flexibilität und Sinnsuche wichtiger erscheinen als der Traum vom Reihenhaus und dem „Nine-to-Five“-Job bis 67.

FIRE verspricht hier eine radikale Antwort: Wer früh spart, klug investiert und den Konsum hinterfragt, kann das Hamsterrad verlassen – und die wertvollste Ressource gewinnen: Zeit. Dieses Narrativ spricht besonders jene an, die das Gefühl haben, dass traditionelle Sicherheiten wie gesetzliche Renten oder klassische Karriereleitern nicht mehr funktionieren.

Hinzu kommt der Einfluss der sozialen Medien. Auf Plattformen wie YouTube, TikTok oder Instagram teilen junge FIRE-Enthusiasten ihre Depots, Spartricks und Erfolgsgeschichten – und machen so sichtbar, dass finanzielle Unabhängigkeit kein fernes Ideal, sondern greifbare Realität sein kann.

Mehr als nur Geld: Ein Generationenprojekt

Am Ende ist FIRE für Millennials und Gen Z mehr als eine Finanzstrategie – es ist ein Gegenentwurf zu einem Lebensmodell, das von permanenter Arbeit, steigenden Fixkosten und Konsumdruck geprägt ist. Ob Lean, Fat oder Barista: Die Bewegung lebt von der Idee, dass Freiheit nicht an das Renteneintrittsalter gebunden sein muss.

Die Psychologie hinter FIRE ist damit ebenso wichtig wie die Mathematik. Es geht um Selbstbestimmung, um die Umdeutung von Erfolg und um das Gefühl, in unsicheren Zeiten ein Stück Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen. Genau deshalb wird FIRE gerade für die jungen Generationen zu einer so starken, fast kulturellen Bewegung.

Mehr über die FIRE-Journey lesen Sie an dieser Stelle immer am Sonntag. In der Serie ist bisher erschienen: 

1.) FIRE: Der Traum von der finanziellen Unabhängigkeit – das steckt hinter dem Investment-Megatrend

Nächte Woche: Der Weg zu FIRE – Sparen mit und ohne Askese

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