Das Ende des Immobilienbooms setzt alle Marktteilnehmer  unter Druck. Thomas Veith, Immobilienchef beim Beratungskonzern PwC,  über akute Risiken und aktuelle Chancen Von Stefan Rullkötter

Boerse-online.de: Herr Veith, wie ist es derzeit um die deutsche Immobilienwirtschaft bestellt?
Thomas Veith:
Die Krisenfaktoren in der Betongold-Branche sind unübersehbar. Und wie immer hängt alles mit allem irgendwie zusammen. Ursachen und Wirkungen haben sich in einem unheilvollen Amalgam verhakt.

Seit wann zeichnet sich ein Abwärtstrend bei Immobilien ab?
Nach einer insgesamt positiven Entwicklung auf dem deutschen Immobilieninvestmentmarkt im vergangenen Jahrzehnt hat sich der im Sommer 2021 einsetzende Abwärtstrend im ersten Halbjahr 2022 fortgeschrieben. Es ist ein hohes Maß an komplexen Ursachen- und Wirkzusammenhängen, das diesen signifikanten Abwärtstrend und die generelle Verunsicherung unter den Immobilieninvestoren in Deutschland ausgelöst hat.

Welche Faktoren waren für die negative Entwicklung entscheidend?
Es lassen sich in dem Rahmen sechs wesentliche Punkte identifizieren: politische Einflüsse durch Regulierungen, eine lahmende Nachfrage, die Entwicklung der Energiepreise, ein eklatanter Fachkräftemangel, Inflation, die Entwicklung der Lohnkosten und Materialkosten sowie deren Verfügbarkeit.

Kann es eine rasche Wende geben?
Eine Trendumkehr ist hier kurzfristig nicht zu erwarten, aktuell muss von einer Fortsetzung der Abwärtsentwicklung ausgegangen werden.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Kreditvergabe?
Diese pessimistische Einschätzung wird gestützt durch das lahmende Baukreditgeschäft. Um es auf einen simplen Nenner zu bringen: Das Geschäft mit der Baufinanzierung läuft nicht mehr. Nach Jahren des starken Wachstums steht nun eine Flaute im Neugeschäft bevor. Dafür sorgt die allgemeine Unsicherheit. Besonders diejenigen Investoren, die Wohnimmobilien als Geldanlage erwer- ben, sind vorsichtig geworden.

An welchen Fakten lässt sich dieser Einbruch festmachen?
Noch im März 2022 hatte das Neugeschäft mit gut 32 Milliarden Euro einen neuen Rekord erreicht, seitdem ist es fast jeden Monat gesunken und lag im Juli sowie August jeweils unter dem Vorjahresniveau. Es ist sogar denkbar, dass das Neugeschäft für eine kurze Zeit vollständig zum Erliegen kommen wird. Der Trend wird bestätigt durch Rückgänge des Neugeschäfts in den Monaten August und September 2022.

Haben Sie dafür eine Erklärung?
Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Bei einem derart drastischen Zinsanstieg, wie wir ihn im laufen- den Jahr erlebt haben, gibt es erst einmal eine Schockstarre seitens der potenziellen Immobilienkäufer, die mit den höheren Zinsbelastungen so nicht kalkuliert haben. Viele Projekte werden im Planungsstadium storniert.

Droht zahlreichen Projektentwicklungen nur wegen der exorbitant gestiegenen Kreditzinsen das Aus?
Die Unterbrechung der Lieferketten und gleichzeitig ins Astronomische gesteigerte Baukosten bremsen das Engagement institutioneller und privater Investoren gleichermaßen aus, besonders die Projektentwickler haben derzeit das Nachsehen. Unsere Marktuntersuchung für August 2022 kam zu dem Ergebnis, dass insbesondere seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 eine Zunahme der Preise für zahlreiche Bauprodukte und Dienstleistungen festzustellen ist. Bereits durch die Corona-Pandemie und in deren Folge unterbrochene Lieferketten waren dynamische Preisentwicklungen in den letzten zwei Jahren wahrzunehmen, die auch weiterhin Auswirkungen auf die aktuellen Entwicklungen der Baubranche haben. In den nächsten zwei Jahren ist ein deutlicher Anstieg der Baupreise zu erwarten.

Haben Sie dafür konkrete Zahlen?
Für die Entwicklung des Bauvolumens wurde zu Beginn des Jahres 2022 eine Preiserhöhung von insgsamt rund 14 Prozent für die nächsten zwei Jahre prognostiziert. Demgegenüber wurde bereits im zweiten Jahresquartal 2022 ein Anstieg von rund 19 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal bei Nichtwohngebäuden festgestellt. Die Baupreise für Wohngebäude sind im gleichen Zeitraum um fast 18 Prozent gestiegen.

Ist das Ende des Booms bereits voll in den Börsenkursen der deutschen Immobilienkonzerne eingepreist?
Sie haben Kursabschläge von teils mehr als 50 Prozent zu verkraften. Der Übertreibung am Markt folgt hier die Untertreibung, dem durch Fantasie begründeten Aufschwung der angstbasierte Abschwung. Dass die Wahrheit in der Mitte liegt, gilt sicherlich auch für die Kurse der börsennotierten Immobilienunternehmen. Sie werden sich nach ihrer dramatischen Abwärtsbewegung über kurz oder lang auch wieder erholen. Die Begründung dafür ist einfach: Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf und vier Wände um sich herum. Das gilt in Anbetracht der wieder zunehmenden Migrationsbewegungen auch in Deutschland mehr denn je.

Zur Person:
Thomas Veith  ist seit 2007 Partner bei PwC in Frankfurt am Main, leitet den Bereich Real Assets in Deutschland und ist seit Juli 2022 gleichzeitig Global Leader Real Estate. Der Volkswirt und Buchautor („ESG and Real Estate“) hat mehr als 25 Jahre Erfahrung im grenzüberschreitenden Immo­biliengeschäft. Veith verant­wortete bei einer Privatbank den Ausbau einer Fonds­ plattform mit Investitionen in Deutschland und den USA, ehe er 2000 zu PwC wechselte. Als Berater betreut er Investoren, Projektentwickler und die  Öf­fentliche Hand im gesamten Lebenszyklus von Immobilien und deren Infrastruktur.

Zum Unternehmen:
PricewaterhouseCoopers Inter­national ist mit 284 000 Be­schäftigten die weltweit füh­rende Wirtschaftsprüfungs­ und Beratungsgesellschaft. Die deutsche Tochter Pricewater­houseCoopers GmbH Wirt­schaftsprüfungsgesellschaft (PwC) wurde 1924 gegründet, hat rund 12 000 Mitarbeitende und erzielte zuletzt einen Jahresumsatz von 2,35 Milliarden Euro. Im Bereich Immobilien steht die Beratung bei strategi­schen Ausrichtungen, Transak­tionen sowie Transformations­projekten im Vordergrund, in den vergangenen Jahren ver­stärkt mit dem Fokus ESG. 

Die XL-Version des Interviews lesen Sie in der Wochenzeitung €uro am Sonntag Nr. 44, hier als digitale Ausgabe erhältlich