Droht bei Immobilien in Deutschland ein Crash? Über die aktuelle Lage am Immobilienmarkt und zu den Perspektiven für Investoren haben wir mit Alexander Schlichting, Vorstandsvorsitzender der Project Beteiligungen AG, gesprochen. Von Stefan Rullkötter

BÖRSE ONLINE: In vielen Medien ist  derzeit von einer Immobilienkrise die Rede. Teilen Sie diese Einschätzung? 

Alexander Schlichting: Bei den aktuellen Rahmendaten halten wir einen „Immobiliencrash“ für nicht realistisch. Für eine seriöse Betrachtung muss man sich die Teilmärkte genau anschauen.

Wie begründen Sie das konkret?

Wenn wie beispielsweise in München binnen eines Jahres die Angebotspreise für Bestandswohnungen um durchschnittlich 8 Prozent von 9535 Euro im April 2022 auf derzeit 8778 Euro fallen, hat das nicht im Ansatz etwas mit einem Crash zu tun, sondern mit einer Marktpreisanpassung an das neue Nachfrage- und Zinsniveau. Das Portal Immowelt sieht den Abwärtstrend bei Bestandswohnungen übrigens bereits gestoppt. Demnach sinken die Angebotspreise nur noch in 4 von 14 untersuchten Großstädten und das u.a. in Frankfurt und Stuttgart auf einem geringen Niveau von -1 bis -2 Prozent gegenüber dem vorherigen Quartal.

Drehen die Immobilienpreise teilweise schon wieder in eine andere Richtung?

In Berlin sind die Kaufpreise im Quartalsvergleich sogar schon wieder um zwei Prozent gestiegen. Mit sinkender Nachfrage nach Wohnungen zum Kauf haben zeitgleich die Mieten angezogen, weil Wohnungsinteressenten aufgrund des im Vergleich jetzt höheren Bauzinsniveaus in Höhe von rund vier Prozent zunehmend von einem Kauf Abstand genommen haben.

Ist das Crash-Szenario also bereits abgewendet?

Insgesamt erwarten wir keine stark sinkenden Kaufpreise in Deutschland, wenn Mietwohnungen wie bisher weiterhin gefragt sind. Denn die Neubau- und Bestandswohnungen von heute können die Mietwohnungen von morgen sein.

Die deutschen Metropolregionen gelten bei Wohnimmobilien weiter als sicherer Hafen für Investoren. Zu Recht?

Die Nachfrage nach Mietwohnungen befindet sich vor allem in den Metropolregionen nach wie vor auf einem hohen Niveau. Das stabilisiert den Markt. Dabei ist nicht abzusehen, dass sich der Mietwohnungsbedarf mittelfristig ändert. Im Gegenteil: Die Lage spitzt sich weiterhin zu. Denn bis 2025 fehlen Wohnungen für 1,4 Millionen Menschen. Das hat der Zentrale Immobilien Ausschuss kürzlich auf Basis des Frühjahresgutachtens der Immobilienweisen festgestellt. Metropolregionen bieten weiterhin gute Wertschöpfungsperspektiven mit Immobilienentwicklungen in der Nutzungsklasse Wohnen.

Wie wirkt sich das in der Pandemiezeit etablierte Homeoffice langfristig auf den Büroimmobilienmarkt aus?

Immer mehr Unternehmen in Deutschland setzen im „Fight for Talents“ auf flexible Arbeitsmodelle wie Homeoffice, Coworking-Spaces oder Remote- Arbeit. Das wirkt sich natürlich dämpfend auf den Bedarf nach Büroflächen aus. Hier gilt es innovative Konzepte anzubieten. Nach einer aktuellen KPMG- Studie haben bislang rund 40 Prozent der DAX-Unternehmen ihre Büroflächen zurückgefahren oder planen die Reduzierung.

Der EZB-Leitzins ist mittlerweile auf einem hohen Satz angekommen. Was bedeutet das für potenzielle Käufer, die Fremdkapital benötigen?

Im Jahr 2011 lagen die Bauzinsen wie heute auch bei rund vier Prozent. Damals wurde das Niveau als normal empfunden, weil wir davor fünf Prozent und mehr hatten. Nicht zu vergessen ist die Hochzinsphase mit Spitzenwerten von bis zu elf Prozent zwischen 1990 und 1993 sowie die gemäßigte Zinsphase zwischen sechs und acht Prozent von 1993 bis 1999. Es ist also keine Frage des Zinsniveaus, sondern abhängig von den individuellen Vermögensverhältnissen des einzelnen Kaufinteressenten, ob und auf welchem Niveau man eine Finanzierung in Erwägung ziehen sollte.

Mit welcher Entwicklung der Baugeldzinsen rechnen Sie im Jahresverlauf?

Die Inflation bleibt EU-weit mit derzeit rund sieben Prozent weiter auf einem hohen Niveau. Daher ist es möglich, dass die EZB den derzeitigen Leitzins von 3,5 Prozent weiter anhebt. Da dieser mittelbar das Bauzinsniveau befeuert, dürften Immobiliendarlehen somit noch teurer werden. Dabei sind Spitzen in den Bereich von fünf Prozent möglich. Insgesamt gehen wir nach aktuellem Stand von einer anhaltend volatilen Bauzinsentwicklung aus, die auf Jahressicht im Bereich zwischen drei und fünf Prozent liegen kann.

Was unterscheidet Betongold-Beteiligungen von Immobilienaktien?

Insgesamt sind sie weniger von kurzfristigen Schwankungen betroffen als beispielsweise volatile Aktienkurse, die sehr kurzfristig auf kleinste Marktstörungen reagieren. Immobilienbeteiligungen ermöglichen auch mehr Diversifikation über verschiedene Investitionsstandorte und Nutzungsklassen, wodurch flexibler auf Marktveränderungen reagiert werden kann. Dadurch können mit Immobilienbeteiligungen langfristig stabilere Renditen erzielt werden, die das Vermögen der Investoren zu einem gewissen Teil gegen die massive Inflation absichern.

Sind Festgeldanlagen und Anleihen wegen der stark gestiegenen Zinsen Konkurrenz für Immobilien-AIFs?

Gerade in wirtschaftlich unruhigen Zeiten tendieren Anleger dazu, ihr Geld möglichst flexibel anzulegen, um bei Bedarf schnellen Zugriff auf Liquidität zu erhalten. Allerdings gibt es einige Vorteile von Immobilien-AIF, die sie im Vergleich zu anderen Anlageklassen attraktiver machen können: Zum Beispiel bieten sie eine potenziell höhere Rendite als Festgeld- und Anleiheanlagen, da sie auf längerfristige Kapitalzuwächse ausgerichtet sind. Darüber hinaus bieten sie auch eine gewisse Diversifikation, da sie nicht unbedingt mit anderen Anlageklassen korrelieren.

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Foto: PROJECT Beteiligungen AG

Zur Person:

Alexander Schlichting (47) kam nach Karrierestationen bei Finanzdienstleistern und Venture-Capital-Firmen 2007 als Manager zur Project-Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Bamberg. Der gelernte Finanzkaufmann verantwortet seit 2012 beim Bauträger und Projektentwickler den Publikumsvertrieb. Im Jahr 2020 wurde er zum Vorstandsvorsitzenden der Project Beteiligungen AG ernannt.

Zum Unternehmen:

Die Project-Gruppe mit Hauptsitz in Bamberg ist bei Immobilienbeteiligungen und -entwicklungen einer der fünf größten Unternehmensverbünde in Deutschland. Der mit Wohnungsverkäufen erzielte Umsatz für 2022 belief sich auf 115 Millionen Euro. Weitere 49 Millionen Euro kamen über den gewerblichen Globalverkauf hinzu. Mit den Publikums-AIFs wurde vergangenes Jahr 46 Millionen Euro Eigenkapital eingeworben. Das Unternehmen konzentriert sich bei der Objektauswahl auf deutsche Großstädte, ist aber auch im benachbarten Ausland engagiert. Der Investmentfokus liegt hier auf der österreichischen Hauptstadt Wien.

Die XL-Version des Interviews lesen Sie in der Wochenzeitung €uro am Sonntag, hier als digitale Ausgabe erhältlich Darin erläutert Alexander Schlichting auch die Strategie der Project Gruppe für das Segment Alternative Investmentfonds