Entgeltpunkte für die gesetzliche Rente gibt’s derzeit mit Rabatt. Wer ihn nutzen will, sollte sich beeilen. Denn der Discount bei der Altersvorsorge gilt nur für freiwillige Einzahlungen in diesem Jahr. Ab 2023 wird es viel teurer. Ein Grund ist die hohe Inflation. Von Gisela Haberer

Am Anfang steht die Arbeit — vor allem beim Thema Rente. Nur wer jahrelang gearbeitet hat, kann Rente beziehen.

Und wer in die gesetzliche Rente inves­tieren will, muss erst einmal seine Haus­aufgaben machen und ein paar Grund­begriffe pauken. Beispiel gefällig? Was etwa ist die „Währung“ der gesetzlichen Rentenversicherung? Richtig, es sind die Entgeltpunkte, auch Rentenpunkte genannt. Jeder von Arbeitnehmern ein­gezahlte Beitrag wird in diesen Entgelt­punkten gutgeschrieben. Wie viel ein Beitrag dabei letztlich „wert“ ist und wie viel er an Rente bringt, bestimmt sich aus dem Verhältnis zwischen dem persönlichen Lohn und dem durch­schnittlichen Arbeitsentgelt aller Versi­cherten. Das Prinzip: Wer in einem Kalenderjahr exakt so viel verdient hat wie der Durchschnitt, erhält genau einen Entgeltpunkt.

Rente: Freiwillige Zahlungen

Natürlich lässt sich erst im Rückblick ermitteln, wie hoch der Durchschnitts­lohn in einem Jahr gewesen ist. Und erst in der Folge wird dann der Wert der ge­zahlten Beiträge in einem bestimmten Jahr ermittelt. Eine Ausnahme gilt aller­dings für freiwillige Einzahlungen von Pflichtmitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung. Für diese ist näm­lich der sogenannte „vorläufige Durch­schnittslohn“ maßgeblich. Dessen Höhe schätzt die Bundesregierung jeweils für das Folgejahr. Wegen Corona wird für das Jahr 2022 mit einem geringeren Durchschnittslohn als für 2021 gerech­net. Das ist eine absolute Ausnahme, denn normalerweise steigt der zur Ren­tenberechnung maßgebliche Durch­schnittslohn von Jahr zu Jahr an. Und das seit Jahrzehnten.

Die positive Folge des gesunkenen Durchschnittslohns: Derzeit kostet ein Rentenpunkt weniger als im Jahr 2021, es gibt ihn wegen Corona sozusagen im Sonderangebot. Und genau das macht freiwillige Beiträge lohnender: Im Jahr 2021 mussten noch rund 7726 Euro ein­gezahlt werden, um einen Rentenpunkt zu erhalten. 2022 sind es nur gut 7235 Euro — also 491 Euro weniger. „So güns­tig wie im Jahr 2022 war das Verhältnis zwischen eingezahltem Beitrag und daraus fälliger späterer Rente seit Jahr­zehnten nicht mehr“, sagt Finanz­mathematiker Werner Siepe, Spezialist für Altersvorsorge.

Inflation trifft Rentenpunkte

Der Spareffekt bleibt aber wohl ein­malig. So hat die Bundesregierung just vor ein paar Tagen, am 12. Oktober, das vorläufige Durchschnittsentgelt für das Jahr 2023 gegenüber dem aktuellen Wert um 10,9 Prozent erhöht. Auch die Entgeltpunkte werden sich also ab 2023 um diesen Wert erhöhen. Und es ist bereits absehbar, dass es dabei in den Folgejahren nicht bleiben wird. Denn Löhne und Gehälter dürften 2023 kräftig steigen, die vorläufigen Durch­schnittslöhne damit ebenfalls.

Der Grund liegt auf der Hand. Wegen der hohen Inflation, die derzeit prak­tisch alles verteuert, schrauben die Ge­werkschaften ihre Lohnforderungen deutlich in die Höhe. Die ersten sind schon vorgeprescht: So fordern Verdi und die Deutsche Beamtenbund­ Tarifunion für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen ein Lohnplus von 10,5 Prozent. Und die IG Metall will acht Prozent mehr Lohn.

Einige Hürden bei der Altersvorsorge

Diese Forderungen werden sich si­cher nicht komplett durchsetzen lassen. Aber kräftige Lohnsteigerungen sind im kommenden Jahr sehr wahrscheinlich. Das wird dazu führen, dass der Durch­schnittslohn 2024 nochmals deutlich höher ausfallen dürfte als 2023. Das heißt aber auch: „Schnäppchenpreise“ für Entgeltpunkte wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben.

Doch zurück zu den freiwilligen Ein­zahlungen, denn dabei gibt es einiges zu beachten. Pflichtversicherte dürfen nur unter bestimmten Umständen freiwillig in die Rentenkasse einzahlen: als Teilrentner, als Frührentner und als Erwerbstätige ab dem 50. Lebensjahr. Diese drei Gruppen können vom Rentenschnäppchen profitieren (siehe auch Kästen).

Früher in Rente

Ältere Erwerbstätige können es sich durch freiwillige Beiträge selbst ermöglichen, früher in Rente zu gehen, ohne Abschläge hinnehmen zu müssen. Grundsätzlich gehen für jeden Monat, in dem vor dem regulären Eintrittsalter Rente bezogen wird, 0,3 Prozent ab. Ein Jahr vorzeitige Rente bedeutet also um 3,6 Prozent geringere Rentenzahlung, und das lebenslang. Mit freiwilligen Beiträgen lassen sich diese Abschläge ganz oder teilweise ausgleichen.

Wer solche freiwilligen Ausgleichszahlungen leistet, muss sich dennoch nicht gleich auf ein Ende des Erwerbslebens festlegen. Wird später wirklich vorzeitig Rente bezogen, gleichen die freiwillig geleisteten Rentenbeiträge Abzüge ganz oder teilweise aus.

Wer dann aber doch bis zum regulären Renteneintritt arbeitet, hat durch seine freiwilligen Zahlungen seine gesetzliche Rente erhöht, ebenfalls lebenslang. Wird sogar länger gearbeitet, erhöht sich die Altersrente für jeden Monat über den regulären Renteneintritt hinaus zusätzlich um 0,5 Prozent, pro Jahr länger arbeiten also um sechs Prozent. Da die Altersrente durch die freiwilligen Beiträge insgesamt höher ausfällt, steigert dies auch deren prozentuale Erhöhung.

Wie viel insgesamt freiwillig eingezahlt werden muss, um Abschläge für einen vorzeitigen Rentenbeginn auszugleichen, errechnet der zuständige Rentenversicherungsträger. Auf Antrag erhalten Rentenversicherte drei wichtige Auskünfte: Erstens, wie hoch ihre Altersrente zu ihrem beabsichtigten vorzeitigen Rentenbeginn voraussichtlich wäre. Zweitens, um wie viel niedriger sie gegenüber ihrer regulären Altersrente ausfiele. Und drittens, wie viel sie voraussichtlich einzahlen müssten, um die Abschläge auszugleichen.

Frist nicht verpassen

Eine weitere gute Nachricht: Ausgleichszahlungen für 2022 können noch bis zum 31. März 2023 geleistet werden. Ist diese Frist jedoch verstrichen, ist keine nachträgliche Einzahlung mehr möglich. Pflichtversicherte über 50 Jahre, die sich überlegen, freiwillig einzuzahlen, sollten daher möglichst rasch ihren Antrag auf Auskunft für Ausgleichszahlungen stellen.

Denn das Ergebnis lässt einige Wochen auf sich warten. Und dann sollte noch Zeit zum Rechnen sein: Wie viel kann und will man wirklich freiwillig einzahlen? Wie viel Geld ist verfügbar? Die Formulare für den Antrag, der grundsätzlich jährlich gestellt werden kann, tragen die Nummern: V0210 und V0300. Diese stehen im Internet unter www.deutsche-rentenversicherung.de zum Download bereit.

Altersvorsorge bald voll absetzbar

Übrigens bringt die freiwillige Zahlung auch Steuervorteile, denn als Sonderausgaben ist diese absetzbar, für 2022 liegt der Anteil bei 94 Prozent. Bundesfinanzminister Christian Lindner kündigte an, dass die Beiträge schon ab nächstem Jahr in voller Höhe steuerlich absetzbar sein sollen. Entsprechend steht es nun im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2022. Der bisher gültige Stufenplan sah dies erst ab 2025 vor. Die volle Absetzbarkeit gilt auch für freiwillige Einzahlungen.

Zugleich ist aber auch die 100-prozentige steuerliche Anerkennung — wie bisher - nur bis zu einem zulässigen Höchstbetrag möglich. Dieser wird jährlich ermittelt. 2022 liegt er bei 25 639 Euro. Wird dieser Höchstbetrag durch die regulären selbst geleisteten Rentenbeiträge nicht ausgeschöpft, kann der verbliebene Anteil des Sonderausgabenabzugs für freiwillige Einzahlungen genutzt werden. Um dies optimal auszuschöpfen, kann es sinnvoll sein, die Ausgleichszahlung nicht auf einmal, sondern in Teilen zu leisten. Im Zweifel helfen der Lohnsteuerhilfeverein oder ein Steuerberater, die individuell optimale Lösung zu finden.

Wann lohnt sich eine freiwillige Einzahlung in die Rente wirklich?

Der Erwerb zusätzlicher Rentenpunkte ist auch eine Investition. In Zeiten zwar steigender, aber immer noch niedriger Zinsen sind Einzahlungen in die gesetzliche Rente vergleichsweise attraktiv. „Für Sonderzahlungen gilt aktuell die Regel: gesetzliche Rente schlägt Betriebsrente und Privatrente“, sagt der Finanzmathematiker Werner Siepe. Denn dabei ist das Verhältnis von Einzahlungen zu Auszahlungen am attraktivsten.

Interessierte sollten auch bedenken, dass Einzahlungen in Rentenversicherungen grundsätzlich Wetten auf ein langes Leben sind. Pro Entgeltpunkt gibt es aktuell im Westen eine monatliche gesetzliche Rente von 36,02 Euro, im Osten sind es 35,52 Euro. Die freiwillige Ausgleichszahlung von 7235 Euro für 2022 finanziert im Westen für 200 Monate Rentenzahlungen von 36,02 Euro, umgerechnet also fast 17 Jahre lang. Nur wer länger Rente bezieht, bekommt letztlich mehr, als er eingezahlt hat. Das ist allerdings statistisch recht häufig der Fall: Im Durchschnitt beziehen Männer heute 18,5 Jahre lang Rente, Frauen 22 Jahre. Zusätzlicher Vorteil der gesetzlichen Rente: Sie versorgt auch Hinterbliebene.

Einzahlungen sind überdies auch Wetten auf die Politik. In so gut wie jeder Legislaturperiode wird an den Stellschrauben zum Rentenbezug gedreht — allerdings nicht immer zum Nachteil von Rentner und Rentnerinnen. Jedenfalls lassen sich immer mehr gesetzliche Versicherte auf diese Wetten ein. Heute leisten gut 26 Mal so viele Menschen freiwillige Ausgleichszahlungen wie noch vor zehn Jahren.

Dieser Artikel erschien zuerst in Euro am Sonntag 43/2022. Hier erhalten Sie einen Einblick ins Heft.