Inflation oder Rezession – immer mehr Beobachter glauben, dass die EZB-Währungshüter auf ihrer Sitzung am morgigen Donnerstag der Inflationsbekämpfung den Vorrang geben und nicht nur eine historische Zinsanhebung von 0,75 Prozentpunkte beschließen könnten – sondern im Oktober nochmal nachlegen. Von Wolfgang Ehrensberger

Dabei hatte die EZB ihren Kurswechsel bereits im vergangenen Monat mit der ersten Zinsanhebung seit mehr als einem Jahrzehnt eingeleitet. Doch die Situation hat sich seitdem weiter zugespitzt, die Inflationsraten sind in Deutschland (7,9 Prozent) und in Europa (9,1 Prozent) weiter gestiegen. Experten halten zweistellige Raten im Herbst für kaum noch abwendbar. Gleichzeitig belasten die Folgen des Ukraine-Kriegs die Konjunktur. In Deutschland könnte es im dritten und vierten Quartal zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung kommen – eine Rezession scheint ebenso unausweichlich.

„Es wird immer klarer, dass die EZB eine Rezession nicht mehr als bloßen Nebeneffekt der notwendigen geldpolitischen Straffung sehen könnte, sondern als die einzige Lösung, um das Ziel zu erreichen“, bringt es AXA-Chefvolkswirt Gilles Moec auf den Punkt.

So setzte der deutsche Leitindex DAX seinen Erholungskurs am Mittwoch nicht fort, sondern ging um 0,7 Prozent zurück. Beobachter gehen inzwischen nicht nur von einem historischen Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten im September aus, sondern rechnen mit weiteren 0,5 Prozent im Folgemonat. Im aktuellen Umfeld würden sie der Konjunktur damit einen weiteren Dämpfer versetzen, und die Aktienkurse weiter ins Rutschen bringen.

Eine Rezession gilt unter Experten ohnehin als kaum noch abwendbar. Darauf deuten auch die jüngsten Produktionsszahlen der deutschen Industrie hin. Materialengpässe und hohe Energiepreise haben im Juli zu einem Rückgang von 0,3 Prozent geführt, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. „Die Industrie ist schwach ins dritte Quartal gestartet", räumte das Bundeswirtschaftsministerium ein und erwartet keine rasche Besserung. "Die gedrosselten Gaslieferungen aus Russland und die hohe Unsicherheit durch den Krieg trüben die Aussichten für den Rest des Jahres weiter ein."