Nach dem heftigen Corona-Einbruch im Frühjahr des vergangenen Jahres haben sich die führenden Aktienmärkte kräftig erholt. Doch in den vergangenen Wochen kam es erneut zu Turbulenzen an den Weltbörsen. So verlor etwa der Nasdaq-100-Index in der Spitze mehr als acht Prozent. Schwergewichte wie Apple, Amazon oder Facebook erlitten zeitweise sogar prozentual zweistellige Verluste gegenüber ihren Hochs.

Für diese Schwäche gibt es mehrere Gründe. Eine Rolle spielen etwa Probleme in den globalen Lieferketten. Großen Einfluss hat aber auch das Geschehen an den Anleihemärkten. So ist die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen inzwischen auf 1,61 Prozent gestiegen, während sie Anfang August noch bei 1,16 Prozent lag.

Zinserhöhung früher als erwartet?

Die Analysten der Schweizer Privatbank Julius Bär haben beobachtet, dass Anleger nun verstärkt die Bewertungen überdenken und ihre Portfolios neu positionieren. Zumal die US-Notenbank Fed ihre restriktiven Signale verstärkt hat und der Markt nun früher als zunächst erwartet mit einer Zinswende rechnet. In einem derartigen Umfeld geraten traditionell Wachstumswerte unter Druck, da höhere Zinsen den Barwert künftiger Cashflows senken, wie die Schweizer Banker erklären. Niedrig bewertete Value-Titel hingegen profitieren typischerweise von einer solchen Konstellation. Das Zusammenspiel fällt aktuell sogar stärker aus als üblich. Denn die extrem expansive Geldpolitik der Vorjahre hat die Bewertung von Qualitäts- und Wachstumsaktien in die Höhe getrieben, während Value-Aktien immer niedriger bewertet wurden.

Starke Wechselwirkung

Insgesamt sind dadurch laut der französischen Bank Société Générale die Aktienbewertungen im Vergleich zu den Fundamentaldaten zu hoch. Dadurch gefährde ein Anstieg der Anleiherenditen die aktuelle Börsen-Hausse. Wie die Analysten des Geldinstituts vorrechnen, sind 55 Prozent der Marktkapitalisierung des S & P 500 positiv mit steigenden Anleiherenditen korreliert und 45 Prozent negativ. Folge: Bei schnell steigenden Anleiherenditen könnte der wichtigste US-Aktienindex deutlich fallen, weil fast die Hälfte der enthaltenen Werte unter Druck gerät.

Das Problem ist, dass die negativ mit den Anleiherenditen korrelierten Aktien einen erheblichen Bewertungsaufschlag gegenüber den positiv korrelierten Papieren aufweisen. Einen solchen Aufschlag habe es vor den quantitativen geldpolitischen Lockerungen nicht gegeben, so die Société Générale. Die hohen Bewertungen seien Folge der niedrigen Anleiherenditen gewesen, was die teuren Qualitätsaktien in eine starke Abhängigkeit zum Zinsumfeld manövriert habe. In der Vergangenheit habe es keinen derartigen Zusammenhang gegeben. In früheren Jahrzehnten bedeuteten steigende Anleiherenditen meist auch steigende Aktienkurse - es gab eine positive Korrelation. Das hat sich ins Gegenteil verkehrt. Inzwischen reagieren vor allem die Schwergewichte der US-Börse aus dem Techsektor äußerst empfindlich auf steigende Anleiherenditen. Im September kam es daher bereits zu einer erheblichen Branchenrotation.

Wo liegt die Schmerzgrenze?

Viele Marktteilnehmer fragen sich nun, wo die Schwelle liegt, deren Überschreiten größere Kursverwerfungen auslösen könnte. Beim Antwortversuch verweist das Researchhaus NN Investment Partners darauf, dass das globale Kurs-Gewinn-Verhältnis von Aktien derzeit wegen des starken Gewinnwachstums und der jüngsten Kursverluste unter dem Niveau vom Jahresanfang liegt. Das biete einen gewissen Puffer gegen einen Zinsanstieg.

Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen könne demnach bis Ende 2022 auf 2,1 bis 2,2 Prozent steigen, bevor die relative Aktienbewertung in die Gefahrenzone gerate. Der Ökonomenkonsens sieht aktuell die zehnjährigen US-Staatsanleiherenditen zum Jahresende bei 1,59 Prozent und Ende 2022 bei 1,99 Prozent. Insofern wäre alles noch im grünen Bereich.

Deutschland sollte profitieren

Zumindest für den DAX müssen Zinserhöhungen in den USA nicht zwangsläufig negative Konsequenzen haben, selbst wenn Turbulenzen an der Wall Street auch die europäischen Märkte gelegentlich durchschütteln könnten. Denn nach Berechnungen der Schweizer Großbank UBS war Deutschland auf Basis der MSCI-Indizes in den vergangenen 20 Jahren in Europa das am stärksten positiv mit US-Staatsanleihen korrelierte Land. Danach folgten Schweden und Frankreich. Besonders negativ war die Korrelation in Portugal, Dänemark und der Schweiz. Ein Erklärungsansatz: Steigende Zinsen in den USA stärken den Dollar, was den exportlastigen Volkswirtschaften tendenziell zugutekommt.

Auf Branchenebene fällt im weltweiten Vergleich die negative Korrelation bei Lebensmitteln und Getränken am stärksten aus, gefolgt von Gesundheitswesen und Versorgern. Positiv ist die Korrelation bei Banken und Versicherungen sowie bei Industriegütern und Dienstleistern.

Bei Einzelaktien aus dem DAX sind nach UBS-Erkenntnissen vor allem Deutsche Bank, BMW und BASF positiv korreliert. Mit diesen drei Werten im Depot sollte sich ein heißer Börsenherbst einigermaßen unbeschadet überstehen lassen, selbst wenn Nachrichten von der US-Zinsfront die Investorengemeinde verunsichern sollten.