Die EU-Taxonomie schafft europaweit ein gemeinsames Verständnis für Nachhaltigkeit. "Grüne" Investments und der Finanzplatz Europa werden hiervon profitieren. Von Gastautor Nicolas Mackel

Die Ziele sind ambitioniert. Bis 2050 will die Europäische Union klimaneutral sein. Rund eine Billion Euro will sie hierzu in den nächsten zehn Jahren in die Umgestaltung der Wirtschaft investieren. Investoren und der Kapitalmarkt tragen die Nachhaltigkeitsziele mit. Mehr als neun von zehn institutionellen Investoren in Europa geben an, dass Nachhaltigkeit ein wichtiger oder sehr wichtiger Gesichtspunkt in ihrem Investmentprozess ist, ergab eine Befragung von Blackrock. Ähnlich ist das Bild bei Privatanlegern: 75 Prozent interessieren sich für eine nachhaltige Geldanlage. Infolge der hohen Nachfrage ist das Segment in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen, hat sein Potenzial aber weiterhin nicht ausgeschöpft. Eine Schwierigkeit ist, dass es einen bunten Strauß unterschiedlicher Nachhaltigkeitskonzepte gibt. Hierdurch fällt es Anlegern schwer zu erkennen, was nachhaltige Investments auszeichnet und welche ökologischen Ziele diese mit welcher Wirkung unterstützen. Um das Vertrauen weiterer Anlegergruppen zu gewinnen, braucht es daher verlässliche, einheitliche Kriterien.

Die gute Nachricht ist: Europa macht große Fortschritte im Hinblick auf allgemein verbindliche Nachhaltigkeitskriterien. Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr ein gemeinsames Klassifikationssystem, die sogenannte Taxonomie, verabschiedet. Sie schafft weltweit das erste solche Regelsystem und setzt damit Anreize für private Investitionen in nachhaltiges Wachstum und eine klimaneutrale Wirtschaft. Entsprechend den Nachhaltigkeitszielen der EU umfasst die Taxonomie sechs Aspekte: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung sowie Schutz von Ökosystemen und Biodiversität. Als nachhaltig entsprechend der EU-Taxonomie gelten nur Wirtschaftstätigkeiten, die einen wesentlichen Beitrag zu einem der Ziele leisten, mit denen soziale Mindeststandards eingehalten werden und die zugleich keinen der fünf anderen Nachhaltigkeitsaspekte beeinträchtigen.

Kriterien dafür, wie diese konkret auszugestalten sind, werden von Experten erarbeitet und treten ab diesem Jahr schrittweise in Kraft. Für Klimaschutz und Klimawandelanpassung haben die Experten bereits branchenspezifische technische Grenzwerte definiert. Sie reichen von Kennzahlen zur Aufforstung in der Forstwirtschaft bis zum Energieverbrauch in der Immobilienwirtschaft. Für Unternehmen gelten bereits für den Berichtszeitraum 2021 zusätzliche Pflichten zur Offenlegung. Die konkrete Ausgestaltung der anderen Nachhaltigkeitsziele soll bis zum Jahresende abgeschlossen und ab Ende 2022 angewandt werden.

Mit den einheitlichen Kriterien gewinnen Anleger und professionelle Investoren Klarheit, welche Fonds und Anlagemöglichkeiten tatsächlich nachhaltig sind und welche Wirkung diese auf die Nachhaltigkeitsziele haben. Auf Unternehmensseite bedeutet dies: Wer einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen leistet, kann von einem breiteren Angebot an Finanzierungsmöglichkeiten und günstigeren Konditionen profitieren und damit Wettbewerbsvorteile erzielen. Beispielsweise lassen sich über Green Bonds gezielt Investitionen in Nachhaltigkeit refinanzieren. Im vergangenen Jahr wurden bereits mehr als 400 nachhaltige Wertpapiere mit einem Volumen von insgesamt 186 Milliarden Euro an der Luxembourg Green Exchange (LGX) neu notiert, die 2016 als weltweit erste Plattform ausschließlich für nachhaltige Finanzprodukte an den Start gegangen ist.

Europa behält damit auch gegenüber den USA, die unter ihrem neuen Präsidenten wieder klimafreundlicher werden, die Nase vorn und baut seine führende Position im globalen Wettbewerb um nachhaltige Investments weiter aus. Das dynamische Wachstum des Segments am Finanzplatz Luxemburg zeigt: Nachhaltige Investments haben großes Potenzial.

 


Über Nicolas Mackel

Bevor Mackel CEO von Luxembourg for Finance (LFF) wurde, war er als Diplomat für das Großherzogtum unter anderem mehrere Jahre in Brüssel, Washington und Shanghai tätig. Er studierte Rechtswissenschaften an der Sorbonne und dem College of Europe. LFF ist für die Entwicklung des Finanzzentrums Luxemburg zuständig, das als einer der weltweit führenden Standorte für Green Finance gilt.