Der Ölpreisverfall hat sein Gutes und ist für jeden spürbar: An den europäischen Tankstellen fallen die Preise, das entlastet die Geldbeutel der Menschen. In erdölimportierenden Ländern ist die konjunkturstützende Wirkung ebenfalls höchst willkommen. Leider dürften die Öl- und Benzintanks aber in Zeiten wie diesen wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht allzu oft aufgefüllt werden. Der Effekt verpufft momentan eher.

In einem anderen Bereich wirkt der Einbruch des Ölpreises dafür umso mehr. Er führt zu einer Kräfteverlagerung in der Energiebranche. Der Preiskrieg im Ölmarkt, den Saudi-Arabien angezettelt hat, und der gleichzeitige Kollaps der Nachfrage angesichts der Corona-Pandemie bilden ein giftiges Gemisch für die Bilanzen hoch verschuldeter Energieunternehmen. Das trifft vor allem die US-amerikanische Fracking-Industrie ins Mark. Solange der Preis für ein Fass Öl unter 40 US-Dollar bleibt, wird der Druck auf die US-Schieferöl- und Schiefergashersteller anhalten. Ihnen geht das Geld aus. Das Ziel von US-Präsident Donald Trump, eine ökologisch fragwürdige Branche zu unterstützen und damit die strategische Unabhängigkeit der USA vom globalen Ölmarkt zu verringern, hat einen empfindlichen Dämpfer erlitten.

Nun steht eine harte Konsolidierungsrunde bevor. Sollte sich dies noch verhindern lassen, müsste sich der Ölpreis drastisch und schnell erholen oder die Regierung in Washington ein Schuldenmoratorium für Ölförderer gewähren. Denn die Fracking-Industrie in den Vereinigten Staaten war schon vor dem jüngsten Preiskampf und vor der Corona-Pandemie fragil. Viele Unternehmen konnten ihre finanziell riskanten und ökologisch fragwürdigen Geschäftsmodelle nur aufgrund des Niedrigzins­umfelds überhaupt finanzieren. Nun droht, dass ihre Kreditgeber bald auf hohen Ausfällen sitzen bleiben.

Für die gesamte Ölbranche könnte es derzeit kaum schlimmer kommen. Was für die Fracking-Unternehmen enorme Konsequenzen haben dürfte, trifft auch den Rest der Branche - aber in etwas abgeschwächtem Ausmaß. Energiekonzerne mit geringerer Verschuldung oder sehr niedrigen Produktionskosten stehen klar besser da. Der saudische Ölriese Saudi Aramco verfügt zum Beispiel über eine gute Ausgangslage. Die Erdölförderkosten sind in Saudi-Arabien sehr gering - das Öl sprudelt praktisch aus dem Wüstensand. Das Ziel, in den vergangenen Jahren verlorene Marktanteile zurückzugewinnen, kann der Konzern darum wohl als Einziger in der Branche über einen Preiskampf wagen. Das ist auch politisch gewollt.

Europas Ölmultis sind besser als die Konkurrenz aufgestellt


Vergleichsweise gut stehen die europäischen Ölmultis da. Sie sitzen auf hohen Barbeständen, die aber auch betriebsnotwendig sind. Zudem gehen sie mit einer überdurchschnittlich hohen Kreditwürdigkeit in die aktuelle Krise. Anders als viele ihrer Wettbewerber aus anderen Regionen der Welt haben sie früher erkannt, dass die reine Ausrichtung auf fossile Brennstoffe nicht mehr zukunftsfähig ist. Deshalb wollen einige von ihnen ihr Geschäftsmodell stark umbauen, um bis 2050 treibhausgasneutral zu wirtschaften. Dazu soll viel Geld in erneuerbare Energien oder umweltfreundlichere Treibstoffe investiert werden.

Mit der Corona-Krise rückt dieses Vorhaben zwar vorerst in den Hintergrund. Zunächst wird es auch in Europas Energiebranche um Bilanzreparatur gehen, aber es wird nach Corona wieder eine höhere Ölnachfrage geben - und wohl auch mehr Interesse für umweltfreundliche Energien. Hier haben die Ölkonzerne eine wichtige Aufgabe. Für Anleihe-Investoren eröffnen sich darum trotz dieser Krise auch Chancen. Die europäischen Ölkonzerne werden kaum als Zombie-Unternehmen enden, wie es der massive Abverkauf von Ölanleihen nahelegt. Mittel- bis langfristig ist eine Erholung wahrscheinlich.

Anleger können zudem im Energiesektor erstmals auch Unternehmen begleiten, die den Plan verfolgen, sich klimaverträglicher aufzustellen. Die Skepsis, ob diese Versprechungen erfüllt werden, mag zwar berechtigt sein. Gerade deshalb sollten Investoren diesen Prozess aber aktiv begleiten und überwachen. Für die US-Fracking-Industrie wird es dann richtig schwer, wenn der Finanzsektor umdenkt und mehr Gewicht auf Klimaverträglichkeit legt.

Kurzvita

Christian Kopf
Leiter Portfoliomanagement Renten, Union Investment
Kopf leitet seit 2017 das Rentenfondsmanagement von Union Investment. Er ist eines von sechs Mitgliedern des Union Investment Committee (UIC). Das UIC formuliert auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment und setzt damit die Leitplanken für die taktische Steuerung der Fonds durch die einzelnen Portfoliomanager. Union Investment ist die Investmentgesellschaft der DZ Bank und Teil der genossenschaftlichen FinanzGruppe.