Bei der Fußball-Europameisterschaft spielten die Mannschaften gegeneinander. Fair sollte es zugehen, aber am Ende kann eben nur einer gewinnen. Geht es um die Zukunft des Finanzplatzes Europa, können und sollten dagegen alle gewinnen. Das funktioniert nur mit dem richtigen Zusammenspiel. Natürlich stehen Frankfurt, Paris, Luxemburg, Amsterdam und andere Finanzzentren in der EU im Wettbewerb. Das ist gut und richtig so. Konkurrenz belebt das Geschäft und sorgt dafür, dass jeder die eigenen Stärken weiterentwickelt.

Denn so pflegen wir im Finanzsektor das, was Europa insgesamt ausmacht: die Vielfalt. Dass diese ein echter Vorteil ist, hat sich im Zusammenhang mit dem Brexit gezeigt. Finanzunternehmen haben im Zuge des EU-Austritts Großbritanniens Aktivitäten oder ganze Geschäftsbereiche von London auf den Kontinent verlagert. Dabei haben sie sich für den Standort mit dem besten Ökosystem entschieden. Sie haben nach diversen Kriterien verglichen und bewertet: die Regulierung, die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal, die vorhandene Infrastruktur, die Möglichkeit zu Zusammenarbeit und Austausch mit anderen Unternehmen und vieles mehr.

Als Konsequenz verteilen sich die Brexit-Ansiedlungen auf viele Standorte. Frankfurt und Paris bekamen einen Großteil der Banking-Aktivitäten, Luxemburg und Dublin waren die bevorzugte Wahl für Vermögensverwalter, Amsterdam punktete bei den Anbietern von Marktliquidität und Handelsplattformen. All diese Finanzplätze liegen in unterschiedlichen Ländern und unterliegen jeweils anderen Steuersystemen und -sätzen. Das zeigt: Der Steueraspekt ist bei Ansiedlungsentscheidungen weit weniger wichtig, als in der öffentlichen Debatte oft behauptet wird.

Dank ihrer jeweiligen Spezialisierung entwickeln sich die Finanzzentren beständig weiter, ergänzen sich gegenseitig und sind im EU-Binnenmarkt nahtlos miteinander verbunden. So lässt sich ihre Spezialisierung mit möglichst geringen Reibungsverlusten zusammenbringen. Europa sollte diese Vielfalt pflegen und nutzen. Denn sie hilft der Finanzbranche, die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen sie steht. Sei es die eigene Transformation angesichts der Digitalisierung. Aber noch mehr hilft sie ihr, den erforderlichen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemiefolgen und zum Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit zu leisten. Denn um beides zu finanzieren, braucht es einen starken Finanzsektor.

Es wird dem Klima beispielsweise nicht helfen, wenn sich ein einzelner Finanzplatz als besonders "grün" positioniert und Marktanteile gewinnt, ohne dass sich der Sektor als Ganzes nachhaltig ausrichtet. Es geht darum, einen Markt im Volumen von vier Billionen Euro zu transformieren. Da ist ausreichend Platz für viele starke Akteure. Um den Finanzplatz Europa noch leistungsfähiger zu machen und damit sich die EU-Unternehmen im globalen Wettbewerb behaupten können, sollte die EU ihre Arbeit an der Vertiefung des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen durch die verschiedenen Aspekte der Bankenunion, der Kapitalmarktunion, des Green Deal und des digitalen Binnenmarkts intensivieren.

Auch das Verhältnis Europas zu anderen Regionen der Welt ist entscheidend: Internationale Zusammenarbeit ermöglicht, im freien und fairen Wettbewerb die beste Lösung zu finden. Die EU-Finanzzentren sollten deshalb weiterhin mit ihren Kollegen in London und der Schweiz zusammenarbeiten, ebenso wie mit jenen in Singapur, New York und anderen globalen Finanzplätzen. Der Wettbewerb der Finanzplätze ist kein Nullsummenspiel, bei dem der eine nur auf Kosten des anderen gewinnen kann. Vielmehr ist er eine Chance, sich gegenseitig anzutreiben, voneinander zu lernen und Potenziale zu realisieren.

Über Nicolas Mackel


Bevor Mackel CEO von Luxembourg for Finance (LFF) wurde, war er als Diplomat für das Großherzogtum unter anderem mehrere Jahre in Brüssel, Washington und Shanghai tätig. Er studierte Rechtswissenschaften an der Sorbonne und am College of Europe. LFF ist für die Entwicklung des Finanzzentrums Luxemburg zuständig, das als einer der weltweit führenden Standorte für Green Finance gilt.