Jetzt geht’s richtig los mit dem US-Wahlkampf. Parallel zum Erscheinen dieser BÖRSE ONLINE-Ausgabe findet der viertägige Nominierungsparteitag der Demokraten statt. Die Reihen hinter dem Kandidatenduo Joe Biden und Vize Kamala Harris scheinen geschlossen, sodass größere Störfeuer ausbleiben dürften. Ob der Parteitag und hier vor allem Joe Bidens Rede der Börse einen Schub geben, bleibt abzuwarten. Bei Redaktionsschlus hing der breite Markt - gemessen am S & P 500 - knapp unter dem Allzeithoch. Gelingt nun also ein nachhaltiger Anstieg?

Fakt ist, dass störende News von den Börsen zuletzt schön ignoriert wurden. So ist die Liquidität saisonal bedingt gering. Hinzu kommen die schwindenden Aussichten auf eine schnelle Einigung für ein zweites Fiskalpaket in den USA. Vermutlich wird es vor September dazu keinen Beschluss geben - und selbst wenn, dürfte das zweite Paket kaum die immense Größenordnung des ersten erreichen. Auch was Covid-19 angeht, ist die Lage weiterhin angespannt. Und schließlich sind da die aktuell wieder heftigeren Handelsstreitigkeiten. Doch auch die Verschiebung des "Phase One Review" durch China und die USA, der ursprünglich für das vergangene Wochenende vorgesehen war, blieb an den Märkten ohne größere Auswirkungen. Stattdessen werden offensichtlich die wieder etwas positiveren Konjunkturdaten stärker gewichtet.

Neue Instrumente


Zudem stellt sich die Frage, ob der Renditeanstieg der US-Staatsanleihen weitergeht, was eigentlich ein Warnsignal für die Aktienmärkte darstellt. Klarheit erhofft man sich vom Protokoll zur jüngsten Zinssitzung der Notenbank Fed, das ebenfalls parallel zum Erscheinen dieses Hefts veröffentlicht wird. Hier dürfte es höchstwahrscheinlich Hinweise geben, wie stark die Fed künftig auf eine Steuerung der Staatsanleiherenditen setzen will. "Yield Curve Control" heißt entsprechend das neueste Buzzword unter Börsianern. Und es scheint, dass dieses Mittel zum Zweck wohl bald in den Instrumentenkasten der Fed aufgenommen wird. Damit will das Zinsgremium die Renditen der Treasuries im Zaum halten. Andere Notenbanken wie etwa die Bank of Japan machen so etwas schon länger.

Es bleibt letztlich dabei: Die vermeintliche Kluft zwischen Wall Street und Main Street, also zwischen Hochfinanz und Otto Normalverbraucher, bleibt bestehen. "Die Wall Street steht in diesem Zusammenhang symbolisch für die vermeintlich zu hoch gestiegenen Aktienindizes, während die Main Street mit den ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen hat", erklärt Christian Schmitt, Fondsmanager bei Ethenea. Aus Sicht der Wall Street wird die globale Geldmenge durch die Ankaufprogramme der Notenbanken unaufhaltsam aufgebläht. "Die Folge ist eine Preisinflation aller Finanzanlagen, da sich immer mehr Geld auf immer weniger erwerbbare Assets konzentriert", so der Fondsmanager.

Historische Exzesse


Die Main Street verkörpere alle Probleme der Realwirtschaft: Einem schon seit Jahren schwachen Wirtschaftswachstum setzt der jüngste ökonomische Schock stark zu. Und nachhaltige Besserung sei auf absehbare Zeit kaum zu erwarten. "Man ist schnell geneigt, solche Auswüchse als Übertreibung abzutun", so Schmitt, "doch in der Breite sind wir tatsächlich noch weit von der Größenordnung historischer Exzesse der Finanzmärkte entfernt. Wie weit uns die Entwicklung dieses Mal tragen wird, ist aber nicht seriös abzuschätzen."

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com