Die Märkte sind immer für eine Überraschung gut. Das ist keine Börsenfloskel, sondern, wie man in diesem Jahr besonders deutlich sieht, schlicht Realität. Obwohl die Corona-Infektionszahlen auf dem ganzen Globus weiter steigen, sind die Börsen stabil. Da ist nichts unter Druck. Auch saisonal ist das bemerkenswert, schließlich war der August an den Aktienmärkten traditionell immer eher ein Verlustmonat. Nicht so im laufenden Jahr. Das Sommerloch fällt anscheinend aus.

Allerdings gibt es trotz der allgemein stabilen Lage doch starke regionale Unterschiede. Überdurchschnittlich hat in den zurückliegenden Wochen und Monaten vor allem die US-Börse abgeschnitten. Allen voran die Technologieaktien, die an der Nasdaq notieren. Dahinter folgt dann schon China. Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zum einen sind es genau die beiden Länder, die sich schon seit dem Amtsantritt des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump in den Haaren liegen. Und zum andern geht es um jene Nation, die derzeit am stärksten von der Pandemie betroffen ist, sowie um jenes Land, wo der ganze Schlamassel seinen Anfang nahm. Ein Treppenwitz der Geschichte, wenn man so will.

Insgesamt scheint es, als hätten sich die weltweiten Kapitalmärkte zunächst einmal in einer Art "neuer Normalität" eingerichtet. Denn auch die Anleihemärkte in Europa und den USA befinden sich - nun auch schon seit Monaten - in einer stabilen Seitwärtsbewegung. Ähnliches gilt für Volatilitätsindizes. Einzig Gold als Krisenwährung fällt aus dem Rahmen. Hier gab es zuletzt gar ein Allzeithoch.

Politische Gratwanderung


Man hat es sich also gemütlich gemacht in der neuen Normalität. Anscheinend wartet man die weitere Entwicklung einfach ab. Und die sieht so aus, dass sich sowohl die USA als auch Europa in einer Phase des aktiven Risikomanagements befinden: geprägt vom Ausgleich zwischen Lockerungen der Shutdowns und der Vermeidung einer größeren zweiten Infektionswelle. Eine Gratwanderung.

Ein Spiegelbild dieser Entwicklung ist der Einbruch des Welthandels um knapp 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. "Allerdings konnte schon seit Mitte 2018 keine Steigerung des Welthandelsvolumens verzeichnet werden", ergänzt Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel.

Alles relativ also. Und aufgeschoben. Dazu passt denn auch, dass sich die USA mittlerweile im Wahlkampfmodus befinden. Auch da kommt keiner so recht aus der Deckung, sieht man einmal von dem einen oder andern Dekret Trumps ab. Davon abgesehen konnten sich Republikaner und Demokraten noch immer nicht auf ein neues Konjunkturpaket und damit auf die Fortsetzung der wöchentlichen Zahlungen an Arbeitslose einigen.

Eine Frage der Steuerpolitik


Umfragen zufolge liegt Herausforderer Joe Biden weiterhin vor Trump, wenngleich der Vorsprung zuletzt etwas geschmolzen ist. Wer letztlich die Wahlen gewinnt, hängt besonders vom weiteren Verlauf der wirtschaftlichen Erholung in den USA ab. Und da werden trotz all der Warterei die anstehenden Konjunktur­daten Aufschluss geben. Sollte die Erholung weiterhin dynamisch und ohne Rückschläge verlaufen, käme dies wohl dem Amtsinhaber zugute. Der steht zudem für Steuersenkungen und für die Unterstützung traditioneller Sektoren, während ­Biden für Steuererhöhungen, aber auch für Investitionen in das Gesundheitssystem steht. Was besser ankommt, wird man im November sehen.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com