Die Märkte haben erneut frische Höchststände erreicht. Obwohl die wirtschaftlichen Aussichten nach wie vor ungewiss sind. Wie lange kann das gut gehen, fragt man sich da als Anleger. Schließlich besteht durchaus die Gefahr, dass die Wirtschaft in den nächsten Monaten an Dynamik verliert. Dann wäre noch mehr fiskalische Unterstützung erforderlich. Nur, wie soll diese aussehen angesichts der hohen Verschuldung der meisten Staaten? Beispiel USA: Hier wurde die Vereinbarung über weitere fiskalische Anreize wegen der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen schlicht auf Eis gelegt. Republikaner und Demokraten können sich nicht auf Maßnahmen einigen.

Da passt es gut ins Bild, dass Jerome Powell, der Chef der US-Notenbank Fed, gerade klargemacht hat, was in Sachen Leitzinsen künftig zu erwarten ist: Eine baldige Straffung der Geldpolitik wird es ganz einfach nicht geben. Die Fed will sogar zulassen, dass das Inflationsziel von zwei Prozent überschritten werden kann, ohne dass sie in Aktion tritt. Diese neue - oder besser: aktualisierte - geldpolitische Ausrichtung dürfte bedeuten, "dass es vor dem Jahr 2023 oder sogar bis 2025 zu keinem Anstieg der Zinsen kommt", sagt Mark Dowding, Anlagechef beim Geldverwalter Blue Bay Asset Management.

Harter Tobak


Powells Statement war deutlicher als erwartet: "Die Märkte werden einige Zeit brauchen, um das neue Inflationsziel zu verdauen", sagte der Fed-Chef. "Und auch wenn die Fed eine höhere Inflation begrüßen würde: Werden wir sie auch erreichen?" Noch immer bestünden große disinflationäre Einflüsse, selbst wenn der Grad der Globalisierung sinke.

Harter Tobak von Powell, verpackt in einer Rede anlässlich des alljährlichen Treffens der Notenbanker, das - statt wie gewohnt in Jackson Hole - nur virtuell stattfand. "Ich bin neugierig, wie die Fed die neuen Möglichkeiten einsetzen wird", meint dazu Jack McIntyre, Portfoliomanager beim Geldverwalter Brandywine Global. "Die Bank von Japan war nicht sehr erfolgreich darin, als sie 2016 ein durchschnittliches Inflationsziel anstrebte. Auch ist die Frage, was die Fed unternehmen wird, wenn die Inflation wirklich zwei Prozent erreicht. Stehen dann zusätzliche Anreize zur Debatte?" McIntyre glaubt jedenfalls, dass es noch lange keine Zinserhöhungen geben wird. "Derzeit würde ich bis zum Ruhestand nicht davon ausgehen, aber das wird man sehen."

Doch trotz der Aussichten auf dauerhaft niedrigste Zinsen, bleibt die Frage, ob das denn reichen wird? Experte Dowding beispielsweise sieht die Gefahr, dass die fiskalische Unterstützung seitens der Politik zu früh zurückgenommen wird. "Sollte dies dann zu einem erneuten Konjunkturabsturz führen, sitzen die Zentralbanken in der Patsche." Es sei nicht absehbar, mit welchen Maßnahmen sie dann noch reagieren könnten.

Große Wohlstandskluft


Ohnehin sieht Dowding das übermäßige Vertrauen in die Geldpolitik skeptisch. "Man übersieht die Gefahr sozialer Spannungen, da sich die Wohlstandskluft zwischen dem kleinen Prozentsatz der Vermögensbesitzer und dem Rest der Bevölkerung, der mit höherer Arbeitslosigkeit und schrumpfenden Einkommen konfrontiert ist, vergrößert." Es bleibt also weiterhin spannend. Schwächere Wirtschaftsdaten könnten die Geldpolitik zu neuen und größeren Maßnahmen anspornen. Der Veröffentlichung neuer Zahlen zu Löhnen und Gehältern in den USA kommt dabei wie immer besondere Bedeutung zu.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com