Der Optimismus an den Börsen ist ungebrochen. Auch wenn die Märkte zuletzt etwas schwächelten. Neue Rekorde beim DAX sowie Allzeithochs in den USA gab es in den zurückliegenden Monaten schließlich zuhauf. Zudem läuft die Rally seit inzwischen fast einem Jahr ohne einen einzigen größeren Rücksetzer ab. Das ist schon bemerkenswert und Indiz für einen starken Bullenmarkt. Und schließlich kann mit der Bundestagswahl nun auch ein Unsicherheitsfaktor endlich abgehakt werden.

Dennoch sollte man sich als Anleger immer wieder fragen, wie viel Potenzial die globalen Aktienmärkte nach einem derart kräftigen Anstieg seit dem Corona-Tief im März des vergangenen Jahres noch haben. Die insgesamt hohen Bewertungen an den Börsen mahnen dabei zur Vorsicht.

Allerdings sind diese angesichts der weltweiten Niedrigzinspolitik und des damit verbundenen relativen Anlagenotstands durchaus nachvollziehbar. Außerdem gibt es teils signifikante Unterschiede, was die Branchen und die Regionen angeht. Während in den USA die Börsenschwergewichte Technologie und Pharma die höchsten Bewertungen aufweisen, fallen die in Europa dominierenden Sektoren, wie etwa die Finanzbranche und andere klassische Industrien der Old Economy, sowohl aktuell als auch in der historischen Relation durch ein moderateres Bewertungsniveau auf.

Sind die Börsen überteuert?


Gleichzeitig lässt sich die höhere Bewertung in den USA zu einem gewissen Maß auch damit rechtfertigen, dass insgesamt die Profitabilität und die Wachstumsraten der amerikanischen Unternehmen im globalen Vergleich stärker sind.

Außerdem ist der Faktor Bewertung zu einem Teil verzerrt. Um das starke Gewicht der Tech- und Gesundheitsaktien in den USA zu relativieren, hat daher die österreichische Raiffeisenbank in einer Analyse die Indexbewertungen gleichgewichtet berechnet - und nicht wie sonst üblich auf Basis der Kapitalisierung der Sektoren. Mit einem interessanten Ergebnis: Der US-Aktienmarkt weist demnach ein Kurs-Gewinn-Verhältnis in Höhe von 29 auf, wohingegen das europäische Pendant bei 20 handelt. Also deutlich günstiger als auf Basis der Sektorenkapitalisierung berechnet: "Während der historische Abschlag auf Basis des Medians etwa 23 Prozent entspricht, liegt der europäische Aktienmarkt aktuell sogar mit einem Abschlag von 33 Prozent noch deutlicher unter den US-Werten", heißt es in der Studie.

Das Argument, die Unterbewertung Europas sei in der Sektorkomposition zu finden, könne damit widerlegt werden. Europa-Aktien hätten demnach also im Vergleich zu den USA noch deutlich Spielraum nach oben, was das Kurs-Gewinn-Verhältnis angeht.

Läuft da was heiß?


Alles gut also? Auf mittlere Sicht vermutlich ja. Gerade auch mit Hinblick auf den Rest des Jahres. Die traditionell starken Börsenmonate November und Dezember stehen schließlich noch an. Dennoch ist auch klar, dass auf längere Sicht "die aktuelle wirtschaftspolitische Steuerung im Kontext und Nachgang der Covid-19-Krise durchaus das Risiko eines Heißlaufens birgt", so die Raiffeisenbank. Oder anders formuliert: Eine Blasenbildung ist möglich, und damit ist auch die Gefahr eines Boom-Bust-Zyklus in der Realwirtschaft und am Kapitalmarkt vorhanden. "Dies gilt vor allem für die USA und erhöht das Risiko, dass wir im langfristigen Prognosehorizont einen echten Bärenmarkt sehen könnten", schlussfolgert die Raiffeisenbank.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com