Das Kursplus der zurückliegenden Wochen basiert vor allem auf einem, dem Faktor Hoffnung: dass sich die Weltwirtschaft erholt, weil die Pandemie überwunden wird, und dass Regierungen und Notenbanken auch weiterhin die Konjunktur mit viel Liquidität stützen. Ein schlüssiges Narrativ. Allerdings muss diese Hoffnung sich irgendwann erfüllen. Sonst stürzen die Kurse wieder ab, weil die Realität den Erwartungen nicht standhält. Das Problem dabei ist die Frage nach dem Zeitpunkt: Wann hat sich der Faktor Hoffnung abgenutzt? Wann muss die Realität liefern? Jetzt, noch im alten Jahr? Oder später, sobald die Impfstoffe ausgeliefert werden?

Optimistische Börsianer dürften davon ausgehen, dass Dezember der falsche Zeitpunkt für eine Trendwende an den Märkten sein dürfte. Traditionell sind wir jetzt in der Phase der oft beschworenen und beschriebenen Jahresendrally. In der Vergangenheit ging es Richtung Jahresende meist nach oben. Das hat auch durchaus plausible Gründe. Zum einen kommt der Faktor Window-Dressing zum Jahresultimo ins Spiel, wenn die Großinvestoren ihre Portfolios anpassen. Auch der dreifache Hexensabbat kurz vor Weihnachten wird gern angeführt, also der Verfallstermin für Futures und Optionen, zu dem die Big Player ihre Terminkontrakte schließen. Und tatsächlich: Beide Ereignisse waren in der Vergangenheit meist Auslöser für steigende Kurse.

Bye-bye, Katastrophenjahr?


Die Ironie daran: Wenn es tatsächlich wieder so kommt und es eine Jahresendrally zu feiern gibt, dann wird aus dem vermeintlichen Katastrophenjahr für Aktionäre tatsächlich ein weiteres Jahr mit Gewinnen. Die meisten der wichtigen Indizes dürften 2020 mit einem Plus abschließen - trotz des Crashs im Frühling. Doch noch ist es nicht so weit. Denn es gibt immer wieder Nachrichten, die dem Faktor Hoffnung in die Quere kommen. Aktuell und auch in der näheren Zukunft. So werden gerade eher schwache Verkaufszahlen für den Black Friday vermeldet. Das ist jener Tag, den zahlreiche Verbraucher der vielen Schnäppchen wegen sehr gern für die ersten Weihnachtskäufe nutzen.

Dass die Verkäufe dieses Mal mau waren, kann man als Warnsignal deuten. Denn in der Vergangenheit waren schleppende Umsätze am Black Friday meist gleichzeitig ein schlechtes Omen für das Weihnachtsgeschäft insgesamt - mit entsprechend schwacher Entwicklung an den Börsen. Allerdings sollte man bedenken, dass wegen Corona der sonst übliche Ansturm auf die Einkaufsmalls sowie die Shops in den Innenstädten mehr oder weniger ausgefallen ist. Wichtiger als der Schnäppchenjägerfreitag dürften daher dieses Mal die Onlineumsätze der kompletten Cyber Week sein. Doch hier gilt es abzuwarten, noch gibt es keine konkreten Zahlen zur Entwicklung.

Festhängende Indizes?


Als Anleger ist man also dieses Jahr etwas im Dilemma. Setzt sich die Hoffnungsrally fort und mündet in eine Jahresendrally? Oder wird sie durch schwache Konsumzahlen und weniger gute Daten von den Arbeitsmärkten doch noch ausgebremst? Die Unsicherheit sieht man auch daran, dass die Indizes an wichtigen Marken festhängen, der Dow Jones etwa an den so schön runden 30 000 Punkten.

Man ist unentschlossen. Letztlich sollte man als vorsichtiger Investor also auf beide Szenarien vorbereitet sein: Den Risikofaktor sollte man nicht ausblenden und dann auch die Reißleine ziehen, wenn es mit dem optimistischen Fahrplan nicht klappen sollte.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com