Wenn Millionen von Konsumenten ihr Verhalten ändern müssen, zieht dies einschneidende Veränderungen nach sich. Das zeigt sich gerade in der Corona-Krise. Langweilerprodukte wie Haarschneider oder Webcams wurden über Nacht populär und zum Kassenschlager. Ihre Preise gingen durch die Decke. Andere Güter waren dagegen wegen Betriebsschließungen plötzlich im Überfluss vorhanden und verloren an Wert.

Im Unterschied zum Konsumenten lassen Preiskapriolen die Notenbanken weitgehend kalt. Nach einer gewissen Zeit normalisiert sich die Lage meist. Die Preisänderungen heben sich gegenseitig auf, die Preise steigen nur einmalig oder sie kehren von ihren Extremwerten zum langfristigen Mittel zurück, sobald Angebot und Nachfrage wieder ins alte Gleichgewicht geraten. Für die Steuerung der Geldpolitik sind solche Preissprünge daher kaum entscheidend.

Die Gretchenfrage ist, ob sich die Preise in der Corona-Krise auch so verhalten. Dieses Mal dürfte es anders sein: Das Virus durchkreuzt die Kalkulation vieler Unternehmen. In Restaurants, Läden oder Transportmitteln müssen aus Gesundheitsgründen nun Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden. Dadurch fallen neue Kosten an. Gleichzeitig sinkt der Umsatz, etwa weil we­niger Gäste ins Lokal passen. Ein vor Corona-Zeiten lukrativer Betrieb rechnet sich da womöglich nicht mehr.

In Summe ist das ein schwerer Schlag für die Wirtschaft - wir befinden uns in einer schlimmen Rezession. Mit Sicherheit verteuern sich auch einige Produkte und Dienstleistungen, weil sonst Fixkosten nicht mehr gedeckt sind. Sollte im Flugzeug nach Mallorca künftig nur noch jeder zweite Sitz besetzt sein, müssten die Ticketpreise steigen. Allerdings ist keine lang anhaltende Produktknappheit zu erwarten. Anders als in einem Krieg sind keine Produktionskapazitäten dauerhaft zerstört worden. Dies spricht gegen in der Breite steigende Preise.

Die Inflation wird auch aus anderen Gründen schwach bleiben. Nicht zuletzt wegen des Ölpreises, der von einem ­anhaltenden Angebotsüberschuss gedrückt wird. Und Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz tragen dazu bei, dass eher mehr Geld gespart als ausgegeben wird. Optimal ist das nicht. Das Geld wandert meist auf das Sparbuch, das keine Erträge erwirtschaftet, während die Aktienmärkte wieder steigen. In der Eurozone sind die Inflationserwartungen daher nun auf den niedrigsten Stand seit Einführung des Euro gerutscht - zu Recht. Darum hat die Europäische Zentralbank jetzt überhaupt keinen Grund, in irgendeiner Weise an Zinsanhebungen zu denken. Die Zinsen werden niedrig bleiben. In den USA fallen sie in Richtung europäische Niveaus.

Bleibt der Konsum schwach, fallen die Preise zu stark


Die niedrigen Zinsen sollen inmitten der Pandemie auch Mut machen, wieder nach vorn zu blicken. Viele Staaten haben sich für Hilfspakete für ihre Wirtschaft enorm verschuldet. Wenn dadurch die Konjunktur schneller wieder anspringt und die Steuereinnahmen zu sprudeln beginnen, geht auch die Rechnung der Notenbanken auf: Dank der niedrigen Zinsen lassen sich Schulden besser zurückzahlen. Gleiches gilt für Unternehmen. Erholen sich deren Gewinne, steigt bei niedrigen Zinsen auch der Eigenkapitalanteil wieder schneller. Ein Geschäft, das sich in der Krise weiter verschulden musste, hat dann rascher wieder Geld für neue Investitionen. Ein positiver Kreislauf setzt ein, ­vorausgesetzt, die Corona-Pandemie bleibt kontrollierbar.

Genauso wichtig für einen Erholungskreislauf ist, dass der darbende Konsum bald wieder in Schwung kommt. Die niedrigen Zinsen helfen dabei. Geld- und Fiskalpolitik müssen nur darauf achten, dass es keine Übertreibungen gibt und plötzlich insgesamt entweder zu viel Nachfrage oder zu viel Angebot in der Wirtschaft vorhanden ist. Sonst ändert sich die Inflation zu stark in die eine oder andere Richtung. Das wäre nicht gut.

Wenn der Konsum weiter sehr schwach bleibt, fallen die Preise zu stark. Für alle Schuldner wäre das schlecht: Sie könnten ihre Schulden weniger gut zurückzahlen, da ihre reale Schuldenlast steigen würde. Umgekehrt wäre eine ausufernde Inflation etwa wegen eines zu knappen Angebots auch nicht gut. Dann müssten die Zinsen angehoben werden, was die Kosten für die Schuldenfinanzierung nach oben treibt und hoch verschuldete Staaten in Bedrängnis bringt. Die Bewältigung der Corona-Pandemie bleibt also eine Gratwanderung und verlangt Flexibilität.

Kurzvita

Jörg Zeuner
Chefvolkswirt und Leiter Research & ­Investment Strategy, Union Investment
Zeuner studierte Wirtschaftswissenschaften in Glasgow und promovierte an der Universität Würzburg. Er sammelte internationale Berufs­erfahrung bei der Deutsch-Koreanischen Industrie- und Handelskammer, bei der KfW sowie bei der Weltbank.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit einem verwalteten Vermögen von rund 350 Milliarden Euro einer der größten deutschen Vermögensverwalter.