Die deutsche Bevölkerung altert - und schrumpft: Bis 2060 dürfte die Einwohnerzahl um rund fünf Millionen Personen auf 78,2 Millionen sinken. Kommen heute noch 31 Menschen im Rentenalter auf 100 Menschen im Erwerbstätigen­alter, werden es 2060 mehr als 50 sein. Den stärksten Schub erfährt der Altersstrukturwandel bereits in rund zehn Jahren, wenn die sogenannten Babyboomer - die geburtenstarken Jahrgänge - in Rente gehen. Daraus ergeben sich enorme wirtschaftlich-gesellschaftliche Herausforderungen wie ein steigender Fachkräftemangel, ein sinkendes Rentenniveau sowie höherer Druck auf den bereits heute knappen Wohnraum in den Ballungszentren.

In einer jüngst vorgestellten Studie der DZ Bank beleuchten die Experten unseres Hauses die Brisanz des Altersstrukturwandels. Im Fokus stehen Lösungsansätze wie eine verpflichtende Altersvorsorge und Initiativen für bedarfsgerechten Wohnungsbau sowie die Effekte der Automatisierung der Arbeit. Hier haben wir die wichtigsten Themen, auf die sich Sparer, aber auch Politik und Wirtschaft einstellen müssen, noch einmal zusammengefasst.

Bisherige Reformschritte, wie die Riester-Rente oder die Rente mit 67, greifen angesichts der rasant alternden Gesellschaft zu kurz. Stattdessen braucht Deutschland strukturelle Konzepte, um die Folgen der Überalterung abzufedern. Wir müssen die steigenden Lasten für Unternehmen und Bürger entschlossen anpacken und dürfen sie nicht einfach auf die nachfolgenden Generationen schieben.

Digitalisierung ist keine Lösung für den Fachkräftemangel


Trotz des späteren Renteneintritts stehen künftig immer mehr Menschen im Rentenalter immer weniger Erwerbstätigen gegenüber. Die Arbeitslosenquote liegt aktuell niedrig bei fünf Prozent, doch die Zahl offener Stellen belief sich im ersten Quartal dieses Jahres auf fast 1,4 Millionen. Besonders mittelständische Unternehmen sorgen sich wegen fehlenden Personals. In unserer jüngsten Mittelstandsumfrage nannten mehr als 80 Prozent der befragten Unternehmen den Fachkräftemangel als Pro­blem. Hoher Bedarf herrscht besonders im Transportbereich, dem Baugewerbe oder der Pflege - wiederum Branchen, die für die Bewältigung der demografischen Herausforderungen essenziell sind.

Die Digitalisierung und Automatisierung wecken die Hoffnung, den Fachkräftemangel zu lindern, denn neue Technologien können Arbeit produktiver gestalten. Längst werden Fertigungsschritte in Fabriken durch Roboter getätigt, die künftig noch "intelligenter" werden und mehr Tätigkeiten übernehmen sollen. Gerade in Berufen, in denen Personalmangel herrscht, dürfte sich die Entwicklung neuer Automatisierungstechnologien lohnen. Diese stoßen jedoch auch an Grenzen.

Personalmangel wird sich durch Technik allein nicht lösen lassen. Vielmehr wird sich die Arbeitskräftenachfrage mit den neuen technischen Möglichkeiten verändern: Standardisierte Arbeiten können künftig automatisiert erfolgen. Die völlige Automatisierung von Berufen wird aber die Ausnahme bleiben. Vor allem in der Pflege und in sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) dürfte sich der bestehende Mangel sogar verschärfen.

Die großen Herausforderungen kommen erst 2035 auf uns zu


Unseren Untersuchungen zufolge versuchen Unternehmen, Fachkräfte zu werben und zu halten, indem sie ­ihnen höhere Flexibilität, familienfreundliche Bedingungen und Bildungsmöglichkeiten anbieten. Auch das von der Bundesregierung beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein erster Schritt in die richtige ­Richtung, um das Angebot an Arbeitskräften auszuweiten.

Bis zum Jahr 2025 steigt die Zahl der Personen über 67 Jahre um 7,5 Prozent. Doch die Herausforderungen treten erst danach auf - im Jahr 2035 wird die Gruppe der über 67-Jährigen um ganze 29,7 Prozent gewachsen sein. Die jüngste Rentenreform, deren Ziele auf 2025 ausgerichtet sind, greift angesichts dieses sprunghaften Anstiegs mit dem Renteneintritt der Babyboomer zu kurz. Konzepte wie die Mütterrente oder die bedingungslose Grundrente schaffen nur Anspruch auf Rentenleistungen, klären aber nicht die Frage, wer dafür zahlen soll und kann.

Mit der wachsenden Altersvorsorgelücke bei vielen Bürgern ergeben sich ähnliche Probleme wie einst bei der Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland. Angesichts der sich zuspitzenden Lage erscheint daher eine Pflicht zur (privaten) Vorsorge sinnvoll - ab bestimmten Einkommensgrenzen und bei maßvoll angesetztem Vorsorgeniveau.

Die Bürger dürfen nicht gezwungen werden, für eine Luxusrente zu sparen. Ziel sollte sein, einen würdigen Lebensstandard im Alter zu sichern. Idealerweise beginnen die Bürger möglichst früh mit einer kapitalgedeckten Altersvorsorge und achten dabei auf eine ausgewogene Portfoliostruktur der Anlagemittel.

Auswirkungen auch auf den Wohnungsbau


Expertenschätzungen zufolge werden jährlich rund 400.000 neue Wohnungen in Deutschland benötigt. 2018 wurden jedoch nur 286.000 fertiggestellt. Man könnte annehmen, die sinkende Bevölkerungszahl - 2060 leben wohl etwa fünf Millionen Menschen weniger in Deutschland als heute - sollte diese Wohnungsknappheit auf lange Sicht ­lindern. Das Gegenteil ist allerdings wahrscheinlich: In einer alternden Gesellschaft verändern sich auch die Wohnbedürfnisse. Die Zahl der kleinen (Senioren-)Haushalte steigt ebenso wie der Pro-Kopf-Flächenbedarf. Zudem ­erhöht die Urbanisierung den Druck in Ballungsräumen.

Die Mietpreisbremse oder der Mietendeckel lösen das Problem des fehlenden Wohnraums nicht, sondern schrecken Investoren eher ab und verursachen ­Investitions- und Sanierungsstau. Stattdessen gilt es, den Bau neuer Wohnungen anzukurbeln, indem Bauvorschriften entrümpelt, öffentlicher Baugrund zur Verfügung gestellt und Baugebiete nachverdichtet werden.

Kurzvita

Stefan Bielmeier
Chefvolkswirt der DZ BANK
Der studierte Volkswirt begann 1996 seine ­Karriere bei der ­Deutschen Bank. 2010 trat Bielmeier in die DZ Bank ein und ist ­verantwortlich für den Bereich Research und Volkswirtschaft. Er ist zudem Vorstandsvor­sitzender DVFA. Die DZ Bank gehört mehrheitlich den rund 850 deutschen Genossenschaftsbanken. Als ­Zentralbank und Spitzeninstitut hat sie den Auftrag, die Geschäfte der eigenständigen Genossenschaftsbanken zu unterstützen.