Rund 705 Milliarden US-Dollar - so lautet die Summe der gesamten globalen Nettozuflüsse in den ersten sieben Monaten des Jahres 2021 in passive Exchange Traded Funds (ETFs). Somit konnte erstmals die Schallmauer eines investierten Gesamtvolumens in ETFs von neun Billionen US-Dollar übertroffen werden. Auch wenn diese Summe gegenüber den 40,7 Billionen US-Dollar an globalen Vermögenswerten in aktiv gemanagten Fonds noch deutlich geringer ausfällt, nimmt die Bedeutung passiver Produkte doch immer stärker zu. Die Gründe hierfür sind einfach und beruhen auf dem klassischen Anlegerverhalten. Probleme langfristig orientierter Investoren hingegen bleiben nach wie vor ungelöst.

Denn viel zu häufig werden passive Produkte mit passivem Investieren verwechselt. Den Beweis hierfür tritt jährlich das unabhängige DALBAR-Institut an, welches sich auf Anlegerverhalten spezialisiert hat. Demnach halten Anleger ihre Aktienfonds - aktiv wie passiv - im Durchschnitt nur rund 4,5 Jahre. Das macht diese zu den meistgehandelten Produkten. Schwer vorstellbar, dass irgendein Investor diesen Zeitraum als langfristig empfindet. Das Ergebnis ist laut DALBAR eine um circa 40 Prozent schlechtere Rendite im Vergleich zur Performance des Markts über einen Zeitraum von 25 Jahren. Diese Zahlen verdeutlichen, wie schwierig es für Anleger ist, die langfristig angebotene Rendite des Aktienmarkts auch tatsächlich ins eigene Portfolio zu transferieren. Durch aktive Investmententscheidungen ist es letzten Endes also nicht von großer Bedeutung, ob passive oder aktive Produkte im Portfolio eingesetzt werden.

Investitionstrends am Aktienmarkt wiederholen sich regelmäßig. Anleger kaufen häufig vor allem dann, wenn die Aktienmärkte über eine längere Zeit gestiegen sind und verkaufen tendenziell in der Nähe des Tiefpunkts. Sie kehren somit die eigentliche Anlageintention um. Selten entdecken Investoren früh im Zyklus den Aktienmarkt für sich. Wer spät im Zyklus auf den ETF-Zug aufspringt, kauft vor allem die Segmente des Markts, die in der expansiven Phase bereits besonders gut gelaufen sind. Im März 2000 - am Ende der Technologieblase - repräsentierten die 30 größten US-Unternehmen 49 Prozent des US-Markts. Folglich bestand die Hälfte des Markts zu diesem Zeitpunkt aus Technologiewerten. Elf der 50 größten Unternehmen waren Neuemissionen in Form von IPOs. Wer zu diesem Zeitpunkt "den Markt" kaufte, investierte besonders eng. Infolgedessen stürzte der Technologiesektor bis ins Jahr 2002 um 82 Prozent ab.

Ein ähnlicher Trend entsteht auch heute. Mittlerweile machen die drei größten Unternehmen im globalen MSCI World Index um die zehn Prozent aus. Doch beschränkt sich das ETF-Volumen nicht mehr nur auf passive Abbildungen des Markts, inzwischen liegen sogar Nachbildungen eigener Indizes, Themen oder Sektoren im Trend. Auch aktive ETFs, die Anleger angeblich vor größeren Abstürzen oder der Inflation schützen sollen, erlangen eine immer größere Bedeutung. Unter dem Deckmantel der passiven Investments wird zu einer höheren Kostenquote ein enges Konstrukt verkauft - häufig mit noch stärkerem Fokus auf die derzeitig "heißen Bereiche" des Markts. Die Risiken hingegen werden oft einfach ausgeblendet. ETFs bergen somit die gleichen Investitionsfallen aus Ineffizienzen und potenziellen Überkonzentrationen auf einzelne Bereiche des Markts wie aktive Fonds. Dass so nicht die Lösung aussehen kann, wird schnell klar.

Spät im Zyklus passiv zu investieren, fühlt sich zunächst hervorragend an. Günstige Kosten, steigende Märkte - einfach fabelhaft! Doch zu diesem Zeitpunkt kaufen Investoren vor allem die besonders stark gestiegenen Werte. Wer spezialisierte, aktive ETFs in Erwägung zieht, steigert durch eine tendenziell geringere Investitionsbreite seine Risiken noch weiter. Das Problem eines mangelhaften Anlegerverhaltens ist somit nicht gelöst.

Thomas Grüner

Grüner ist Gründer und Vice Chairman von Grüner Fisher Investments sowie Autor des Buches "Die acht größten Fallen für Geldanleger und wie man sie vermeidet". Das Unternehmen ist eine deutsche Tochtergesellschaft von Fisher Investments in den USA, einem der größten unabhängigen Vermögensverwalter der Welt. Fisher Investments und seine Tochtergesellschaften verwalten ein Vermögen von 143 Milliarden Euro.

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