Seit 2019 können Anleger Verluste in bestimmten Situationen nur begrenzt mit Gewinnen verrechnen - es kommt zu einer asymmetrischen Besteuerung. Die gesetzliche Neuregelung hat viel Kritik erfahren, der Bundesrat hat auch die Abschaffung gefordert. Zudem werden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Die Verlustverrechnungsgrenze wurde zwar mittlerweile von 10 000 auf 20 000 Euro angehoben, doch ist aktuell zu befürchten, dass auch Produkte wie Optionsscheine steuerlich den Termingeschäften zugeordnet werden. Es geht um die Frage, wo Hebelprodukte - konkret Optionsscheine und Knock-out-Produkte - steuerlich einsortiert werden. Wir sind der Auffassung, dass sie steuerlich als sonstige Kapitalforderungen zu klassifizieren sind. Hebelprodukte werden auch im Wertpapierhandelsgesetz nicht den Termingeschäften zugeordnet. Relevant ist hier die Erfüllungsweise der zugrunde liegenden Geschäfte. Termingeschäfte werden zu einem - meist späteren - vereinbarten Termin ausgeführt. Optionsscheine hingegen werden Zug um Zug erfüllt. Ein Unterschied, der dafür spricht, diese Gattungen auch steuerlich unterschiedlich zu behandeln.

Betroffen dürften von einer Neuregelung mehrere Hunderttausend Anleger sein, das jährliche Umsatzvolumen von Hebelprodukten hat einen deutlich zweistelligen Milliardenumfang. Laut einer Studie der WHU - Otto Beisheim School of Management wollen mehr als zwei Drittel der Anleger hohe Verluste vermeiden und Hebelprodukte wie Optionsscheine entweder als Versicherungsinstrumente nutzen oder die Produkte als längerfristige Anlage einsetzen. Sie profitieren vom Hebel der Produkte und sichern sich gegen das finanzielle Risiko ab. Wie hoch der finanzielle Nachteil für diese Anleger im Fall einer begrenzten Verlustverrechnung bei Hebelprodukten wäre, lässt sich schwer abschätzen. Fälle, in denen wirtschaftlich ein Verlust gemacht wird und zusätzlich Steuern zu entrichten sind, sind denkbar und realistisch. Sehr häufig wird sich der Gewinn verringern.

Beispiel: Ein konservativer Anleger hat im Jahr 2021 A-Aktien für 20 000 Euro im Depot und will sich gegen Kursverluste absichern. Hierfür erwirbt er einen Optionsschein für 1500 Euro. Damit verfügt er über das Recht, die A-Aktien unter bestimmten Bedingungen zu einem vorher festgelegten Preis zu verkaufen. Der Wert der A-Aktien im Depot steigt auf 23 000 Euro, der Anleger veräußert sie dafür und den Optionsschein für 500 Euro. Nach der alten Besteuerung durfte der Anleger die Bruttogewinne (hier 3000 Euro) aus seinem Aktiendepot mit den Bruttoverlusten (hier 1000 Euro) aus dem Optionsscheingeschäft verrechnen. Es verblieb ein Gewinn von 2000 ?Euro. Dieser Gewinn wurde mit 25 ?Prozent Kapitalertragsteuer besteuert, es resultierte eine Steuerbelastung von 500 Euro zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer. Der Nettogewinn des Anlegers nach Steuern betrug 1500 Euro. Der neu eingeführte Verlustverrechnungskreis für Termingeschäfte würde - mit der befürchteten Ausweitung - den Anleger daran hindern, seine Bruttogewinne aus dem Aktiendepot mit den Bruttoverlusten aus der Veräußerung seines Optionsscheins zu verrechnen. Er müsste die Gewinne aus seinem Aktienportfolio voll mit 25 Prozent Kapitalertragsteuer versteuern, gegebenenfalls zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, während die erlittenen Verluste nicht steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Die Verluste könnten allerdings vorgetragen und mit etwaigen zukünftigen Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden. Die Steuerbelastung im Jahr 2021 beliefe sich auf 750 Euro, der Nettogewinn des Anlegers nur noch auf 1250 Euro.

Die begrenzte steuerliche Verlustverrechnung droht immer mehr zum Hemmschuh für aktive und auf Sicherheit bedachte Anleger zu werden. Für die Politik ist es an der Zeit, umzusteuern und zu einer engen, sachlich begründeten und klaren Abgrenzung von Termingeschäften im Steuerrecht zu kommen.

 


Über Henning Bergmann

Der promovierte Jurist Bergmann ist seit dem 1. März 2019 geschäftsführender Vorstand beim Deutschen Derivate Verband (DDV). Vor seinem Wechsel zum DDV im Jahr 2017 war er über neun Jahre als Leiter Kapitalmarktrecht beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) tätig. Der Deutsche Derivate Verband ist die Branchenvertretung der 15 führenden Emittenten derivativer Wertpapiere in Deutschland.