Der jüngste Anstieg der Energiepreise wird zwangsläufig auch zu einem weiteren Anstieg der Inflation führen. Allerdings gehen Zentralbanken weltweit gelassen mit der Situation um. Sie verweisen darauf, dass die gegenwärtigen Spitzen bei den Inflationsraten nur vorübergehender Natur seien. Für die Geldmarktpolitik ist aktuell die Überwindung des Einbruchs bei der Beschäftigung und der Konjunktur infolge der Corona-Pandemie ausschlaggebender als die Höhe der Inflation. Daher sollten die hohen Energiekosten vorerst kaum einen Einfluss auf die Zinsentscheidungen der Zentralbanken haben. Auch für die Entwicklung der Renditen langfristiger Anleihen sind die Inflation und die Entwicklung der Zentralbankzinsen nur ein Faktor von vielen. Ein Anstieg der Langfristzinsen etwa bei zehnjährigen US-Treasuries oder Bundesanleihen wird dank der Anleihekaufprogramme der Zentralbanken aktuell noch begrenzt.

Generell gilt, dass Konsumenten und Unternehmen, deren Produktion stark auf den Einsatz von Energie beruht, zumindest einen temporären Schutz gegen den Anstieg der Energiepreise besitzen, da sie längerfristige Verträge eingegangen sind beziehungsweise Sicherungsgeschäfte abgeschlossen haben. Entscheidend für sie wird die Dauer der hochpreisigen Energiekosten sein, denn irgendwann läuft auch der langlebigste Vertrag aus. Es gibt aber deutliche länderspezifische Unterschiede. In Italien, Griechenland und Frankreich erhalten die Konsumenten bereits staatliche Unterstützungsleistungen. Spanien schrieb den Preis der national aus Wasserkraft und Kernkraft gewonnenen Energie fest, setzte Energiesteuern aus und beschnitt so den Anstieg der Energiepreise durch staatliche Regulierungen.

Besonders dramatisch ist die aktuelle Situation in Großbritannien. Das Beispiel des britischen Energieversorgers Green zeigt, wieso es beim Investieren auf die gründliche Analyse der einzelnen Unternehmen ankommt. Green hat aufgrund der geltenden Regularien kapituliert, die vorgeben, dass Kundenverträge nicht an aktuelle Marktsituationen angepasst werden können. Die Kosten für den Gaseinkauf liegen deutlich über dem Preis, den die Firma von ihren Endkunden verlangen darf. Auch wenn Green weder mit Aktien noch mit Anleihen am Kapitalmarkt vertreten ist, so zeigt dieses doch eindringlich, dass eine fundamentale Einzelfallanalyse sowie das Verständnis der wichtigsten Preismechanismen gerade bei kleineren Unternehmen besonders wichtig sind. Mindestens sechs weitere Energieversorger im Vereinigten Königreich haben allein im September aufgegeben, da die Anbieter nicht auch die Erzeuger der Energie sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Anleihen, die von Unternehmen aus der Energiebranche begeben werden, derzeit selten ein attraktives Investment darstellen. Die Besitzer von Strom- oder Gasnetzen beispielsweise zahlen aktuell keine attraktiven Risikoprämien. Investoren halten die Firmen zu Recht für risikoarm, da ihr Geschäftsmodell kaum von Änderungen der Energiepreise abhängig ist und sie außerdem meistens noch teilweise im Staatsbesitz sind. Das wesentliche Risiko ist der potenzielle Ausfall eines oder mehrerer Kunden.

Klarer Gewinner der aktuellen Energiekrise sind die Gas- und Ölexplorationsunternehmen sowie die reinen Stromerzeuger, inklusive die aus Nachhaltigkeitsgründen zu Recht gescholtenen Erzeuger von Kohlestrom, wenn sie über eigene Kohlevorkommen verfügen. In Deutschland gilt dieses nur für die Produzenten von Braunkohlestrom, Steinkohle wird schon länger nicht mehr abgebaut, sondern importiert. Aktuell liegt die Priorität der Verbraucher und energiekonsumierenden Unternehmen sicherlich bei der Versorgungssicherheit und weniger bei der Nachhaltigkeit. Das zeigt sich auch daran, dass Kohlestrom in Deutschland die erneuerbaren Energien als wichtigsten Träger im ersten Halbjahr 2021 wieder abgelöst hat.

 


Volker Schmidt

Schmidt hat ein Diplom in Wirtschaftsmathematik sowie einen Doktortitel in Mathematik von der Universität Trier. Er begann seine berufliche Laufbahn 1997 als OTC-Derivatehändler in Luxemburg. 2017 wurde er Teil des Portfoliomanagementteams von Ethenea. Die Kapitalverwaltungsgesellschaft Ethenea Independent Investors mit Sitz in Luxemburg ist auf das aktive Management von Multi-Asset-Fonds spezialisiert.