Der europäische Gas-Notfallplan zur Vorbereitung auf einen möglichen Stopp russischer Erdgaslieferungen ist an diesem Dienstag in Kraft getreten. Der Plan sieht vor, dass alle EU-Länder ihren Gasverbrauch von Anfang August bis März 2023 freiwillig um 15 Prozent senken, verglichen mit dem Durchschnittsverbrauch der vergangenen fünf Jahre in diesem Zeitraum.

Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine hat Russland seine Lieferungen an die EU bereits drastisch reduziert. Das fehlende Gas muss nun anderweitig beschafft werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte in der vergangenen Woche bei einem öffentlichen Auftritt gesagt, Katar habe kein gutes Angebot gemacht. Die deutschen Firmen, mit denen er im März das Emirat besucht habe, hätten sich entschieden, woanders Gas zu kaufen.

Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Carina Konrad sagte, oberstes Ziel der Koalition sei eine bezahlbare Energieversorgung über den Winter hinweg. Es brauche Alternativen zu wegfallenden und zunehmend unsicheren Gaslieferungen aus Russland. "Bundeskanzler Scholz sollte sich nun persönlich und auf höchster Ebene für LNG-Lieferungen aus dem Nahen Osten einsetzen, denn die Verunsicherung der Bevölkerung und der Industrie wächst aufgrund der drohenden Verschärfung des Gasmangels weiter", so Konrad.

10 Milliarden Kubikmeter weniger Gas-Verbrauch


Insgesamt müssen in den kommenden Monaten nach Zahlen der EU-Kommission 45 Milliarden Kubikmeter Gas gespart werden. Allein Deutschland müsste etwa 10 Milliarden Kubikmeter Gas weniger verbrauchen, um das 15-Prozent-Ziel zu erreichen. Um Gas zu sparen, produziert seit Ende Juli ein zuletzt in Reserve gehaltenes Steinkohle-Kraftwerk wieder Strom. Weitere sollen nach Vorstellungen der Bundesregierung folgen, ebenso Braunkohle-Kraftwerke.

Falls nicht genug gespart wird und es weitreichende Versorgungsengpässe gibt, kann im nächsten Schritt ein EU-weiter Alarm mit verbindlichen Einsparzielen ausgelöst werden. Die Hürde dafür ist allerdings hoch: Nötig wäre die Zustimmung von mindestens 15 EU-Ländern, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen.

Verschiedene Maßnahmen zum Energiesparen


Eine staatliche Kampagne soll Menschen und Unternehmen zum Energiesparen motivieren. Für die Verbraucher bedeutet das Sparen unter anderem: Kürzer warm duschen, weniger Beleuchtung, mehr schwitzen im Büro. An Maßnahmen geplant sind auch Einsparungen in öffentlichen Gebäuden, in denen nur sporadisch genutzte Bereiche wie Flure oder Foyers nicht mehr beheizt werden sollen.

Für Erdgas-Heizungen in Wohngebäuden soll eine verpflichtende Überprüfung kommen, um zum Beispiel die Temperatur beim Vorlauf oder nachts zu senken. Für Unternehmen soll die Möglichkeit, ungenutzte Gasmengen in Auktionen zu verkaufen, Anreize zum Energiesparen bieten.

Gaspreis hat sich verzehnfacht


Der Gaspreis reagiert am Dienstag nachgebend. Der für Deutschland maßgebliche Gas-Future TTF ist von seinem Zwischenhoch Ende Juli bei 228 Euro pro Kubikmeter Gas wieder auf etwa 193 Euro gefallen. Dennoch ist das immer noch fast das Zehnfache der bis Frühjahr 2021 geltenden Gaspreise (siehe 2-Jahres-Chart). Damals waren Kubikmeter-Preise von etwa 20 Euro normal.

Nach Einschätzung des Deutschen Mieterbunds werden wegen der horrend gestiegenen Gaspreise Millionen Haushalte ihre Heizkosten nicht zahlen können. Laut Verbandspräsident Lukas Siebenkotten seien vor allem Menschen betroffen, die knapp oberhalb staatlicher Hilfsleistungen liegen. "Wir sprechen hier über Millionen", warnte Siebenkotten im "Tagesspiegel".

Russland, das Ende Februar in die Ukraine einmarschiert war, hat seine Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 stark gedrosselt. Auch deshalb steigen die Preise stark.

Mieterbund fordert Wohngeld-Reform


Um das abzufedern, seien eine Reform des Wohngelds und ein besserer Kündigungsschutz angezeigt, sagte der Mieterschützer. "Man müsste die Einkommensgrenzen für Menschen, die Wohngeld beanspruchen können, deutlich erhöhen." Die Grenze sehe er erst bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 5.000 Euro pro Haushalt.

Zudem müssten eine jährliche Heizkosten-Pauschale und eine Klima-Komponente ins Wohngeld eingebaut werden. Damit könnten etwa Mietsteigerungen im Anschluss an eine energetische Sanierung aufgefangen werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte kürzlich eine Reform des Wohngelds als Entlastungsmaßnahme der Regierung angekündigt.

Gas-Notlage in Deutschland kann vermieden werden


Die Bundesnetzagentur hält es unter bestimmten Bedingungen für möglich, dass eine Gasnotlage im kommenden Winter vermieden werden kann. Sollte die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 bis Juni 2023 weiterhin nur zu 20 Prozent der Maximalkapazität ausgelastet sein, sei dann neben einer Verbrauchsreduktion um 20 Prozent auch eine Reduktion der Transitmengen in Nachbarländer wie zum Beispiel Frankreich, Österreich und Tschechien um 20 Prozent nötig. mmr mit dpa