Ukraine-Krieg, Chinas Covid-Politik, Energiekrise, Inflation, steigende Zinsen: Bei Rohstoffen ging es 2022 turbulent zu, Energieaktien liefen sehr gut. Armin Sabeur, Vorstandsmitglied und Portfoliomanager bei der auf Rohstoffinvestments spezialisierten Fondsboutique Optinova, über die weiteren Aussichten und warum er konventionelle Energieunternehmen als Gewinner sieht. Von Julia Pfanner

Armin Sabeur: Seit 2012 ist er Vorstand und Portfoliomanager bei Optinova. Zuvor betreute er als Senior Family Officer Kunden bei SC StarConsult und der Dresdner Bank. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der GoetheUniversität in Frankfurt am Main. 

BÖRSE ONLINE: Herr Sabeur, die Rohstoffpreise sind 2022 stark gestiegen, in den vergangenen Monaten aber deutlich zurückgekommen. Sind die aktuellen Preisniveaus gerechtfertigt?

Armin Sabeur: Meiner Meinung nach nicht. Die Unternehmen, die Rohstoffe fördern, haben zuletzt fast keine Investitionen getätigt. Viele Mitarbeiter wurden nach Hause geschickt, es wurde gespart. In China gibt es nach der Null-Covid-Politik gerade eine 180-Grad-Wende. Wenn sich das Land jetzt öffnet und seine Fabriken wieder hochfährt, trifft eine hohe Nachfrage auf ein sehr knappes Angebot, was für hohe Rohstoffpreise spricht — bei klassischen Industriemetallen wie Nickel und Aluminium zum Beispiel. Möglich, dass die Zentralbanken die Inflation doch nicht so konsequent bekämpfen wie erwartet. Das kann dazu führen, dass auch die Preise für Edelmetalle wieder steigen, insbesondere für Gold, aber auch für Palladium und Platin, die vor allem für die Fahrzeugindustrie relevant sind.

Was bedeutet das für die Aktien der Förderer? 

Sie müssen erst einmal ihren enormen Investitionsbedarf erfüllen. Deshalb schlagen sich steigende Metallpreise erst ein paar Monate später positiv in den Bilanzen nieder. Für Investoren bieten die aktuellen günstigen Bewertungen, gerade bei Metallförderunternehmen, gute Einstiegsmöglichkeiten, um von späteren Preiserhöhungen zu profitieren.

Es gibt Experten, die den Beginn eines Superzyklus, also eines langfristigen Aufwärtstrends der Rohstoffpreise, sehen. Teilen Sie die Meinung?

Ich bin kein Freund von Superlativen, von Superzyklen, großen Crashs oder großen Haussen. Ich versuche, Dinge recht nüchtern zu analysieren. Durch Covid und den Ukraine-Krieg hat sich sehr viel Investitionsbedarf angestaut. Man möchte die Wirtschaft von konventioneller zu erneuerbarer Energie umbauen, nicht nur in Deutschland, auch in Nordamerika und Asien. Das sind Faktoren, die für eine langfristige Hausse bei den Rohstoffpreisen sprechen. Aber es können immer Faktoren dazukommen. Stellen Sie sich vor, Russland greift Moldau an oder der Konflikt zwischen China und Taiwan eskaliert, dann bricht dieses Szenario zusammen.

Müssen wir uns weiter auf hohe Energiepreise einstellen?

Ja. Dem kann man nur entgegenwirken, indem man die Energiewende vorantreibt und Energie spart.

Welchen Einfluss hat die Energiewende?

Der Verbrauch an Kupfer, zum Beispiel, um Windkraftturbinen oder die Nord-Süd-Trasse zu bauen, ist riesig. Das ist das Paradoxon an der Energiewende: Um sie zu ermöglichen, müssen wir erst mal sehr viele Metalle fördern und verarbeiten. Natürlich kann man viel recyceln, etwa bei Kupfer. Trotzdem muss viel aus der Erde geholt werden. Die Energiewende wird gerade bei den Industriemetallpreisen eine sehr große Rolle spielen.

Wenn nun eine Rezession kommt, was macht das mit den Preisen?

Da Rohstoffe am Anfang der Wertschöpfungskette stehen, ziehen ihre Preise als Erstes an. Wir könnten also negatives Wachstum haben und trotzdem in eine Phase kommen, die für den Anfang einer Hausse bei den Rohstoffpreisen spricht. Wenn die Rezession aber ein, zwei Jahre dauert, verschiebt sich dieses Szenario auf das dritte und vierte Quartal 2023, vielleicht sogar auf Anfang 2024. Durch ihre Position am Anfang der Wertschöpfungskette bieten Rohstoffunternehmen übrigens auch am Ende einer Rezession gute Investitionschancen.

Welche Rolle spielen die höheren Zinsen?

Eine kosmetische, meines Erachtens. In der Eurozone liegen die Zinsen zwischen zwei und drei Prozent, in den USA zwischen vier und fünf Prozent. Wir haben aber Inflationsraten von neun bis zehn Prozent, also immer noch deutlich negative Realzinsen. Da sehe ich jetzt keine große Gefahr. Natürlich führen höhere Zinsen zu höheren Kapitalkosten für die Investitionen, die die Unternehmen jetzt tätigen müssen. Aber wenn die Nachfrage da ist, führt kein Weg an diesen Investitionen vorbei.

Rohstoff- und Energieaktien werden gern auch als Inflationsschutz bezeichnet.

Diese Unternehmen geben Preiserhöhungen als Erstes weiter, und viel leichter. Wenn Sie zum Bäcker gehen oder ein Handy kaufen und es teurer geworden ist, schimpfen Sie erst mal nicht auf die Rohstoffunternehmen, sondern auf den Bäcker oder den Handyhersteller. Allgemein sind Aktien ein Inflationsschutz, weil Gewinne im Gegensatz zu Anleihen und Cash nach oben nicht gedeckelt sind und sofort an Anleger weitergegeben werden. Meiner Meinung nach sind Value-Aktien — und hier besonders Energie- und Rohstofftitel — der beste Inflationsschutz.

Was, wenn die Inflation zurückgeht?

Das hat negative Auswirkungen. Wenn die Inflation jetzt auf das Niveau zwischen null und zwei Prozent zurückgehen würde, was die EZB anstrebt, hat das erst mal eine dämpfende Wirkung auf die Rohstoffpreise. Nicht aber für die Unternehmen selbst, denn dann würden auch die Zinsen und die Kapitalkosten sinken. Unternehmen, die ihre Hausaufgaben gemacht haben, hätten dann höhere Margen.

„Ich sehe dieses Jahr weiterhin die konventionellen Energieunternehmen als Gewinner.“

Welche sind die aussichtsreichsten Rohstoff- und Energieinvestments dieses Jahr?

Ich denke, der Trend bei den Rohstoffaktien wird ähnlich sein wie 2022. Die konventionellen Energieträger sind sehr gut gelaufen, die erneuerbaren unterdurchschnittlich. Vor allem, weil die Inflation für diese Firmen eine viel größere Rolle spielt: Wer Solar- oder Windanlagen baut, ist von Inflation stärker betroffen als jemand, der Gas und Öl aus dem Boden holt. Deswegen sehe ich weiterhin die konventionellen Energieunternehmen als Gewinner.

Welche Rolle spielt das Thema ESG?

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Wenn es um die Wurst geht, guckt man erst mal, dass man ein warmes Zuhause hat und die Kinder satt sind. Die Primärenergieversorgung in Deutschland kommt immer noch zu über 75 Prozent aus dem konventionellen Bereich. Nur 25 Prozent sind Erneuerbare. Gut möglich, dass sich das Verhältnis bis 2045 umkehrt. Aber dass wir völlig auf konventionelle Energie verzichten, kann ich mir nicht vorstellen. Wir brauchen einfach sehr viel Energie und es gibt sogenannte Dunkelflauten. Speicher erfordern Investitionen in Billionenhöhe, davon sind wir weit weg. Man kann Deutschland und die Welt nicht in den nächsten 20 Jahren voll auf erneuerbare Energie umstellen. Man muss kluge Lösungen finden, damit die konventionellen Energieträger umweltfreundlicher werden und man peu à peu auf ein realistisches Niveau an Erneuerbaren kommt.

Welchen Einfluss haben Strom- und Gaspreisdeckel oder die Abschöpfung von Übergewinnen?

Einen geringen. Eingriffe dieser Art haben kurzfristig Erfolg, wie jetzt, aber am Ende des Tages bezahlen das in diesem Fall die Steuerzahler. Es hat, aktuell zumindest, mit Sicherheit Einfluss bei den Versorgeraktien, aber bei den Energieförderunternehmen glaube ich eher weniger. Bei den Versorgern sitzen viele Stadtwerke mit drin, da kann der Staat einfach einen Preis bestimmen. Das hat natürlich Einfluss auf den Gewinn des Unternehmens.

Wie sieht es in der Agrarindustrie aus?

Die Aussichten halte ich für gut, aber bei Weitem nicht so gut wie für den Energie- oder Metallbereich. Diese Unternehmen können die Inflation nicht so schnell weitergeben. Ausnahmen sind einige ganz am Anfang der Wertschöpfungskette: Ein Traktorenhersteller wie Deere etwa kann einfach teurere Traktoren verkaufen. Wenn aber ein Unternehmen wie Danone oder Nestlé die Preise für Joghurt und Babynahrung erhöht, landet das schnell in der Presse. Aber solange die Menschheit wächst, wird der Sektor weiterhin gut laufen, denn die Nachfrage trifft auf ein knappes Angebot, wir haben nur eine Erde. Als Anleger sehen wir die Chancen darin, dass wir Nahrungsangebot und -herstellung optimieren, um mehr Menschen ernähren zu können. Langfristig sehe ich hier viel Wachstumspotenzial.

Optinova bietet drei Rohstofffonds an, den Metals & Materials, Food Farming & Water und Conventional & Clean Energy. Wie investieren Sie?

Wir investieren langfristig und binden uns emotional an keine Position. Wir legen regelbasiert an. Wir suchen Aktien, je nach Fonds 30 bis 45, nach Kennzahlen wie Kurs-Gewinn- und Kurs-Umsatz-Verhältnis oder Dividende aus und gewichten nach Tätigkeitsbereichen wie konventionelle oder erneuerbare Energien sowie nach der 50-, 100-, und 200-Tage- linie. Wir investieren auch in ETFs und ETCs, nur der Food Farming & Water Fonds ist ein reiner Aktienfonds. Die Positionen überprüfen wir alle drei Monate.