Betongold-Investments in 1a-Lagen galten bei Investoren bisher als sicherer Hafen. Immobilienexperte Marcus Lütgering erklärt im Interview, wie sich die überlagernden Krisen auf Preise und Bewertungen auswirken Von Stefan Rullkötter

Boerse-online.de: Eine Rezession in Deutschland scheint unabwendbar. Welche Folgen hat das für Büroimmobilien-Investments?
Marcus Lütgering: Das führt dazu, dass der Markt weiter auseinander driftet und sich Angebot und Nachfrage immer seltener treffen. Selbst wenn Verkäufer bereit sind, auf Preise einzugehen, die das derzeitige Zinsniveau hergeben, möchten die Käufer mögliche weitere Zinserhöhungen schon jetzt berücksichtigt haben.

Gilt das auch für Objekte in 1a-Lagen?
Interessant ist, dass die wirklichen Top-Produkte im kleinen Kreis der Kenner noch auf Anfangsrenditen von unter drei Prozent  gehandelt werden. Zu 99 Prozent jedoch driftet der Markt derzeit weiter auseinander. Alles steht unter der Annahme, dass die Zinsen bis Jahresende weiter steigen, in 2023 aber fallen werden. Das macht es unheimlich schwierig.

Welche Immobilien-Investments sind von der Zinsentwicklung besonders hart getroffen?
Wer in den vergangenen drei Jahren auf Anfangsrenditen von 2,5 bis drei  Prozent gekauft und die Zinsen nicht festgeschrieben hat, hat ein massives Problem, weil er seine Kapitalverpflichtungen nicht mehr aus dem Cash Flow bedienen kann. Einige Anleger werden deswegen verkaufen müssen. Das ist bitter, weil die Investments nicht schlecht waren und durch inflationsbedingte Mietsteigerungen auf drei bis fünf Jahre sicher wieder auf die ursprünglichen CapValues kommen.

Hat das auch Konsequenzen für die Bewertung von Immobilien?
Das  ist derzeit das andere große Thema. Ich bin langfristig optimistisch, dass wir in 2024 wieder annähernd bei den Renditen von 2021 ankommen werden. Es wird aber in 2022 und 2023 sicher Transaktionen geben, die Anlass geben, Werte zu korrigieren. Dies führt dazu, dass die Verhältnisse des Kreditbetrags zum Verkehrswert einer Immobilie (LTVs) aus dem Ruder geraten könnten. Eine Folge wäre, dass Eigenkapital nachgeschossen werden muss. Alternativ wäre nur der Verkauf eine Option.

Setzt diese Entwicklung die Marktmechanismen außer Kraft?
Wir haben einen derzeit nicht effizienten Markt, der aus meiner Sicht überreagiert. Hintergrund: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Renditen 2023/24 wieder fallen, ist deutlich höher, als dass sie steigen. Wer mit Eigenkapital gut ausgestattet ist und eine solide Finanzierung im Gepäck mitbringt, hat  gute Chancen, die Unsicherheit auszunutzen. Das gilt für alle Investoren-Klassen - von der börsennotierten AG über Investmentmanager bis hin zum vermögenden Privatinvestor.

Mit welchen Implikationen für  Kaufinteressenten?
Wir steuern im direkten Kurs auf einen attraktiven Käufermarkt mit enormem Wertsteigerungspotential zu. Wer bereits investiert hat und es sich leisten kann, profitiert natürlich je nach Qualität seines Objekts auch von diesem Wertsteigerungspotential.

Was folgt daraus für  die Standort- und Objektwahl?
Erstklassiger Standort und erstklassige Objekte sind immer eine gute Wahl. Nutzer bevorzugen auch in schwierigen Zeiten bestens ausgestattete Flächen an bevorzugtem Standort am besten noch mit Markenimage. Denn je besser Standort und Objekt, desto größer die Chance für ein Unternehmen, im Wettbewerb um Talente die besten an sich binden zu können.

Bröckelt der Nimbus von Immobilien-Investments in Toplagen als sicherer Hafen?
Keinesfalls. Büros wird es auch in der digitalisierten Welt immer geben. Und in Anbetracht der Tatsache, dass die Weltbevölkerung in absoluten Zahlen weiter wächst und Deutschland nicht zuletzt auf Grund seiner Demografie ein Zuwanderungsland ist und bleiben wird, werden wir hierzulande ganz notwendigerweise auch vermehrt Büroarbeitsplätze benötigen und schaffen müssen. Investments in Büros haben eine sichere Zukunft.

Zur Person:
Marcus Lütgering war bis Ende Oktober 2022 insgesamt 15 Jahre in leitenden Positionen beim Immobilienkonzern JLL tätig. Seit 2010 stand er als Managing Director und Head of Office Investment Germany dem Bereich Kauf und Verkauf von Bürogebäuden in Deutschland vor und hat in dieser Rolle zahlreiche große Transaktionen begleitet.