Auf ein Neues. In der Türkei wird gewählt. Schon wieder. Erst im Juni bei der Parlamentswahl hatte die Regierungspartei von Präsident Recep Tayyip Erdogan die absolute Mehrheit verloren. Die Bildung einer Koalitionsregierung scheiterte. Daher also jetzt Neuwahlen am 1. November. Ob die dann für stabilere Verhältnisse sorgen werden?

Daran wird im höchsten Maß gezweifelt. Politisch wie wirtschaftlich befindet sich das Land am Bosporus in der Krise. Da läuft gar nichts mehr rund, so scheint es. Politisch ist man auf Konfrontationskurs mit allen möglichen und unmöglichen Gegnern, gleichzeitig lässt die Konjunktur kräftig nach - wie in anderen Schwellenländern auch. Nur noch drei Prozent Wirtschaftswachstum werden für dieses Jahr erwartet. Ein herber Absturz, waren es doch in den Jahren 2010 und 2011 noch neun Prozent - mehr als China zu der Zeit geschafft hatte. "Die Türkei steckt in einer Wachstumsflaute", sagt Thomas Mayer, Chefvolkswirt bei Flossbach von Storch. Für ihn ist klar, warum: "Weil man eine wenig vertrauensvolle und damit eine investitionshemmende Politik betreibt."

Dabei hat die Türkei durchaus interessante Unternehmen. Zwar ist der Finanzplatz enorm von Banken dominiert (siehe Grafik rechts), aber daneben gibt es Firmen wie KOC Holding, die eigentlich einen näheren Blick wert sind. Das Unternehmen ist ein Gemischtwarenladen, der unter anderem die Rechte an der Marke Grundig erworben hat. Das Problem an türkischen Aktien ist aber generell, dass sie selten in Deutschland gehandelt werden, und wenn, dann meist nur in Form eines "Receipts" und mit einem bedenklich hohen Spread zwischen Kauf- und Verkaufskurs. Bei KOC etwa liegt der bei sieben Prozent. Zudem ist das Misstrauen der Anleger gegenüber dem Finanzplatz Istanbul groß. Die Landeswährung Lira hat in den zurückliegenden zwölf Monaten 15 Prozent an Wert verloren, binnen drei Jahren gar 43 Prozent. Ein großes Problem, weil die Türkei wegen des hohen Leistungsbilanzdefizits auf Kapital aus dem Ausland angewiesen ist. Überflüssigerweise hat sich die Regierung auch noch in die Politik der Notenbank eingemischt, die Ratingagenturen drohen mit Abstufung, die Inflation liegt bei acht Prozent, die Arbeitslosigkeit bei elf Prozent, zudem schwächeln Konsum, Export, Tourismus. Geht’s noch schlimmer?

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Widrige Umstände, taktische Manöver



Das wilde Hin und Her am Aktienmarkt passt da ins Bild. Gut zu sehen ist das auch an der Wertentwicklung diverser Fonds und Zertifikate, die den türkischen Aktienmarkt abbilden. Da war zuletzt nichts zu holen. Mit Ausnahme des etwas besser laufenden Türkei Value Basket der Raiffeisenbank. Das generelle Problem sämtlicher Produkte: Die Wertentwicklung leidet zusätzlich unter dem Lira-Verfall - Währungssicherung existiert nicht.



Trotz aller widrigen Umstände gibt es einen, der jetzt "taktische Käufe" am türkischen Aktienmarkt empfiehlt: Steen Jakobsen, Chefvolkswirt der dänischen Saxo Bank. Er sagt: Die Probleme sind allesamt bekannt und in den Kursen enthalten. Unabhängig vom Wahlausgang könnte es eine Jahresendrally geben. Zumal Erdogan wohl ein zweites Mal mit dem Versuch scheitern wird, die Türkei in ein autoritäres Präsidialregime umzubauen - die dafür nötige Zweidrittelmehrheit verfehlte er schon in der ersten Wahl meilenweit.

"Ich war dieses Jahr dreimal in der Türkei", sagt Jakobsen, "und ich frage mich so langsam, warum sind die Aktien dort nur so billig?" So notiert das Finanzunternehmen Garanti Bankasi etwa mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 7,2, und KOC Holding mit zehn. Teuer ist anders. Politische Unwägbarkeiten hin oder her - die Risikoprämie für türkische Aktien sei zu hoch, so Jakobsen. Er rechnet mit einem wieder zunehmenden Wachstum von vier Prozent für 2016. "Langfristig bin ich optimistisch, dass die Türkei wieder zur Champions League der Volkswirtschaften stößt. Doch dafür muss sich das Land, wie auch im Sport, erst in Form bringen", so Jakobsen. Helfen könnten externe Faktoren: Etwa die teils schon anlaufenden Investitionen Chinas in das türkische Schienennetz, in Häfen und Infrastruktur. Lässt dazu die Dollar-Stärke etwas nach und verzögert sich die US-Zinswende weiter, sollten sich die Kurse erholen.

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