€uro: Herr Schmidt, glauben Sie, dass Bankfilialmitarbeiter hier in Deutschland so was wie die Kohlekumpel des 21. Jahrhunderts sind?

Karl Matthäus Schmidt: Ulrich Cartellieri, ein ehemaliger Vorstand der Deutschen Bank, hat einmal gesagt, dass die Bankbranche die Stahlbranche der 90er-Jahre ist. Beim Timing lag er zwar daneben, aber letztlich wird er recht behalten. Wir werden weiter ein massives Filialsterben erleben.

Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, bei einer Bank zu arbeiten?

Von Bill Gates stammt die aus meiner Sicht sehr richtige Bemerkung: "Wir brauchen Banking, aber keine Banken." Ich bin überzeugt, dass Banking sich dort integriert, wo ich es brauche. Etwa wenn ich etwas kaufe, dann ist heute schon die Zahlungsverkehrsfunktion dort integriert. Bankmitarbeiter sind dann nur noch die Jungs, die das Kabel verlegen und am Ende die Buchungen machen. Und das werden immer weniger.

Also zahlen wir bald nur noch mit Apple Pay und Co?

Ja, und die Bank wird zum Infrastrukturdienstleister. Eine Banking-App, die vieles kann, braucht dann niemand mehr.

Das heißt, Sie würden Ihren Kindern nicht empfehlen, Banker zu werden?

Ich würde ihnen nicht raten, Old-School-Banker zu werden - wenn sie ins disruptive Bankgeschäft einsteigen, freue ich mich.

Auf welcher Seite stehen die Quirin Bank und Quirion?

Wir brauchen für unser Geschäft eigentlich keine Bank. Wir helfen Menschen, Geld am Kapitalmarkt zu sparen. Das ist unsere Mission und der Bedarf ist immens. Insbesondere, weil aktuell auf Spar- und Tagesgeldkonten durch negative Realzinsen massiv Geld vernichtet wird.

Profitieren Sie von Negativzinsen?

Ich denke, dass sie für Bankkunden ein Fluch sind. Negativzinsen könnten dazu führen, dass wir bald in Sachen Aktienkultur kein Entwicklungsland mehr sind. Ich bin seit 30 Jahren am Markt, und die Zahl der Aktionäre in Deutschland ist lange um die zehn Millionen herumgedümpelt. Jetzt haben wir eine Chance, dass es mehr werden.

Viele junge Menschen interessieren sich nun für den Kapitalmarkt. Sie kaufen aber kaum "langweilige" Fonds und ETFs, sondern investieren in spekulative Nebenwerte. Das kann dazu führen, dass viele Verluste machen und wir die nächste verbrannte Anlegergeneration haben.

Das ist mir zu negativ. Ich sehe, dass sich im Freundeskreis meines ältesten Sohns viele auf einmal für Aktien interessieren. Das ist unheimlich positiv, und ich denke, dass es ihnen so ergehen wird wie mir. Ich habe auch anfangs Einzeltitel gehandelt, als ich Consors gegründet habe. Heute bin ich ein Anleger, der systematisch vorgeht und überhaupt keine Einzelaktien mehr im Depot hat. Der erste Eifer wird sich legen, etwa wenn andere Dinge wie die Partnerschaft oder die Familie wichtiger werden. Ich bin überzeugt, dass da vielleicht der ein oder andere verbrannte Finger übrig bleibt, aber keine generell verbrannte Anlegergeneration.

Brauchen wir noch mehr Finanzbildung?

Finanzbildung in Deutschland kommt oft über diese blöden Sparkassen-Spiele.

Was haben Sie gegen die, immerhin führen sie junge Menschen an die Börse heran?

Das mag schon sein und ist besser als nichts, aber dort wird der Eindruck vermittelt, dass Rendite nur durch aktives Trading entsteht.

So entsteht sie doch auch.

Rendite entsteht vor allem durch unternehmerisches Handeln. Der wahre Mehrwert von Aktien ergibt sich aus Dividenden und der Steigerung des Unternehmenswerts. Solange die Marktwirtschaft funktioniert, ist die unternehmerische Verzinsung immer im Schnitt sechs Prozent höher als der risikolose Zins. Professor Stefan May, der Leiter unseres Anlagemanagements, nennt Aktien nicht umsonst Geld-Erntemaschinen.

Gibt es mündige Verbraucher?

Im Prinzip haben wir natürlich mündige Verbraucher. Wir leben in einem freien Land, und jeder kann entscheiden, was er kauft und was nicht. Bei Finanzprodukten braucht es aber ein besonderes Vertrauen, schließlich wissen Sie oft erst nach 20 Jahren, ob das Anlageprodukt etwas taugt oder nicht. Das bedeutet, dass wir einen höheren Schutz liefern müssen, und da haben wir in Deutschland einen gewissen Rückstand gegenüber anderen Ländern.

Da wären Sie der Erste aus der Finanzbranche, der mehr Regulierung fordert.

Ich halte zu viel Regulierung für Quatsch. Niemand findet es angenehm, wenn sein Gespräch mit einem Berater aufgezeichnet wird. Ich glaube, dass wir mit diesen ganzen Regulierungen versuchen, die Symptome der schlechten Beratung zu heilen - an die Ursachen traut sich keiner ran. In Großbritannien wird der Berater ausschließlich vom Kunden bezahlt. Das ist der richtige Weg.

Glauben Sie, dass in Deutschland Provisionen von Fondsgesellschaften und Versicherung an Bankberater verboten werden?

Wir haben unser Geschäft zwar nicht darauf ausgerichtet, dass irgendwann das Provisionsverbot kommt, aber es wird kommen. Wir haben schon gesehen, dass es in der Vermögensverwaltung Einzug gehalten hat. Nun steht es im Wahlprogramm der Grünen und wird immer populärer werden. Der nächste Beratungsskandal kommt bestimmt.

Welche Regierungskonstellation wäre dann die für Sie angenehmste?

Für die Altersvorsorge, die auch auf den Kapitalmarkt setzt, fehlt leider bei den meisten Parteien das Verständnis. Es ist vielleicht noch bei der FDP ein Stück weit vorhanden, aber das war’s dann schon. Wenn Spitzenpolitiker so tun, als seien Aktien Teufelszeug, dann macht mich das fassungslos.

Also weder Schwarz-Gelb noch Grün-Rot-Rot, um die beiden Extreme zu nennen?

Ich weiß, das klingt salomonisch, jedes Bündnis hätte gute, aber eben auch schlechte Ansätze. Wir müssen uns arrangieren, ganz gleich, was da kommt. Rot-Rot-Grün hat mich in Berlin aber nicht überzeugt.

Quirion ist einer der günstigsten digitalen Vermögensverwalter. Warum sind die anderen im Vergleich so teuer oder sind die 0,48 Prozent Jahresgebühr ein Preis, um Kunden anzulocken?

0,48 Prozent sind eine Kampfansage, aber wir haben diesen Preis bewusst gewählt, denn es ist der, den ein Robo-Advisor langfristig kosten wird. Anbieter, die als Robo über ein Prozent Gebühr verlangen, werden sich künftig rechtfertigen müssen. Und natürlich sind wir auf die Masse aus. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit der Quirin Bank eine Million Kunden haben werden.

Damit würden Sie die Zahl Ihrer Kunden vervielfachen.

Nur 17 Prozent der Bevölkerung sparen heute am Kapitalmarkt. Das ist eine lächerliche Quote, in der Schweiz sind wir bei 50, in Schweden sogar bei über 90 Prozent. Es ist also noch sehr viel Potenzial vorhanden - das werden wir für unser Wachstum nutzen.

Sie gelten als einer der einfallsreichsten Köpfe der Bankenwelt. Ärgert Sie es nicht, dass Sie keinen Neobroker erfunden haben, der es möglich macht, nur übers Smartphone Wertpapiere zu kaufen?

Das ist nicht mehr mein Thema.

Was ist denn Ihr Thema?

Ich bin inzwischen 52. Ich lege, wie gesagt, nicht mehr in Einzeltitel an, ich bin eher dafür, kontinuierlich Vermögen aufzubauen und immer mehr Menschen, deren Geld jetzt noch auf irgendwelchen Festgeldkonten liegt, für den Kapitalmarkt zu begeistern. Das systematische Sparen ist nun mein Lebensthema, auf das ich richtig Bock habe.

Wenn Sie jetzt noch mal so alt wären, wie Sie damals waren, als Sie Consors gegründet haben, was würden Sie jetzt tun?

Ich finde es ziemlich interessant, mit was mein ältester Sohn sich gerade beschäftigt: Non Fungible Token. Das sind Token, die nicht replizierbar - also Unikate - sind. So können etwa Sachwerte handelbar gemacht werden. Das finde ich total spannend.

Also eine Blockchain-Lösung wie die Währung Bitcoin. Was halten Sie davon?

Momentan findet da ein unglaublicher Hype statt. Ich würde die Frage gern weiter spannen: Ich bin davon überzeugt, dass wir einen digitalen Euro brauchen.

Warum?

Ich leite eine Arbeitsgruppe im Wirtschaftsrat, die sich Digital Finance nennt. Dort komme ich immer wieder mit Blockchain-Experten zusammen und bin wirklich begeistert, welches Potenzial ein digitaler Euro hat, gerade für ein vom Maschinenbau geprägtes Land wie unseres. Maschinen können etwa voll digital ihren Verbrauch abrechnen. Ganz generell würde die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie durch den digitalen Euro größer werden.

Nun gibt es sehr viele Menschen, die befürchten, durch einen digitalen Euro komplett überwacht zu werden.

Ich bin nicht für die Abschaffung des Bargelds, ganz im Gegenteil. Bargeld ist ein wichtiger Weg zu bezahlen, aber wir werden und müssen auch digital bezahlen können. Und wenn der Euro nur noch digital sein soll, wird es eine Reaktion geben wie die der Fußballfans bei den Plänen für die Super League.


Karl Matthäus Schmidt war gerade 25, als er in Nürnberg mit Kommilitonen Consors (heute Consors Bank), einen der ersten Onlinebroker Deutschlands, gründete. Sein Ziel: So viele Menschen wie möglich sollten an der Börse handeln können. Schmidt mischte als der "Turnschuh-Banker" die Branche auf. Heute haben Onlinebroker Millionen Kunden und gehören zu den etablierten Banken. Gut zehn Jahre später eröffnete er die Quirin Bank, Deutschlands erste Bank, die gegen Honorar berät und Provisionen ablehnt. 2013 folgte Quirion, einer der ersten digitalen Vermögensverwalter. Der 52-jährige Chef der Quirin Privatbank und Gründer des Roboadvisors Quirion lebt mit seiner Familie in Berlin. Derzeit fasziniert ihn vor allem die Blockchain. Turnschuhe trägt er noch immer gern (siehe Bild).


Schmidts Banken

Die Quirin Bank hat ihre Wurzeln im Jahr 1998, als sie als Berliner Effektenbank gegründet wurde. Ab dem Jahr 2000 war die von Karl Matthäus Schmidt gegründete Consors Teilhaberin. 2006 - Schmidt war inzwischen bei Consors ausgeschieden - benannte er sie in Quirin Bank um und baute sie nach und nach zur ersten Bank um, bei der Kunden mit einem Mindestvermögen von 100000 Euro ausschließlich gegen Honorar beraten werden. Bei Quirion, einem der ersten digitalen Vermögensverwalter Deutschlands, können Kunden bereits ab 500 Euro Mindestanlage ihr Geld nach der Quirin-Philosophie anlegen lassen.