Während das offizielle Endergebnis der US-Präsidentschaftswahl noch immer auf sich warten lässt, stehen die Gewinner der landesweit mehr als 2000 Wahlen fest, die ebenfalls auf den 4. November terminiert wurden. Abstimmen durften die US-Bürger in verschiedenen Bundesstaaten unter anderem über Sitze im US-Senat und im Abgeordnetenhaus, über Gouverneursposten, lokale Parlamente oder Gesetzesinitiativen. Die Abstimmung zur Entkriminalisierung von Marihuana brachte ein eindeutiges Ergebnis. Mit Arizona, New Jersey, Montana und South Dakota votierten vier Bundesstaaten für eine komplette Legalisierung von Marihuana. In Mississippi und South Dakota wurde der Konsum von Cannabis zu medizinischen Zwecken freigegeben. Besonders interessant: Montana, Mississippi und South Dakota gingen bei der Präsidentschaftswahl an die konservativeren Republikaner.

Eine Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew Research zeigte schon im vergangenen Jahr eine zunehmend parteiübergreifende Unterstützung der Legalisierungsbestrebungen der Cannabisbranche: 78 Prozent der befragten Demokraten und immerhin 55 Prozent der Republikaner votierten damals für die Entkriminalisierung der Droge. Unter den US-Bürgern ist die Zustimmung noch eindeutiger. Zwei Drittel aller Amerikaner sind demnach für eine komplette Freigabe, 91 Prozent zumindest für den Gebrauch zu medizinischen Zwecken. Das ist mehr als der Anteil jener US-Bürger, die das Recht auf Abtreibung unterstützen oder den Klimawandel für (großteils) menschengemacht halten.

Trotz des jüngsten Momentums ist eine landesweite Freigabe von Cannabis noch immer kein Selbstläufer. Zwar hat die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris zugesagt, dass sich die Demokraten für eine Entkriminalisierung auf nationaler Ebene einsetzen werden, dennoch scheint eine Zustimmung im US-Senat trotz der Umfrageergebnisse fraglich.

Aktuell haben die Republikaner mit 50 zu 48 Sitzen im Senat die Nase vorn, zwei weitere Sitze werden im Bundesstaat Georgia in einer engen Stichwahl am 5. Januar entschieden. Gehen beide der noch verbleibenden Plätze an die Demokraten, entscheidet bei einem Patt in künftigen Abstimmungen Vizepräsidentin Kamala Harris. Andernfalls können die Demokraten in den Midterm Elections im November 2022 die Machtverhältnisse im Senat zu ihren Gunsten verschieben und bis dahin die entscheidenden Meilensteine zumindest vorbereiten.

Wegweisendes Urteil

Auch international breitet sich die Welle der Cannabislegalisierung weiter aus. Erst vor Kurzem urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass das aus der weiblichen Cannabispflanze gewonnene Cannabinoid (CBD) nicht als Suchtstoff einzustufen ist. CBD gilt unter anderem als entzündungshemmend und wirkt gegen Krämpfe. "Mit dem Urteil wird ein geregelter CBD-Markt in Deutschland und Europa greifbarer", erwartet Jürgen Neumeyer vom Branchenverband Cannabiswirtschaft. Branchenexperten skizzieren für den Sektor starke Wachstumspotenziale in den kommenden Jahren.

Gefeiert wird nun aber erst einmal in den USA. Einer Auswertung von New Frontier Data zufolge wird sich das Umsatzpotenzial der Branche allein schon durch die jüngst erfolgte doppelte Freigabe in den vier US-Bundesstaaten bis zum Jahr 2025 um neun auf rund 31 Milliarden US-Dollar erhöhen. Und dabei dürfte es nicht bleiben. Nach der Legalisierung in New Jersey werden auch New York und Pennsylvania genau überlegen, ob man die zu erwartenden Steuereinnahmen dem Nachbarn überlässt. In Texas werden ebenfalls entsprechende Gesetzesvorlagen bereits ausgearbeitet.

Die Fortschritte auf politischer Ebene haben die Aktienkurse der Cannabisunternehmen zuletzt auf breiter Front anspringen lassen, nachdem sie im Corona-Crash im März unter die Räder gekommen waren. Die Aktien der kanadischen Firmen Canopy Growth und Aphria, die wir im Februar Anlegern ans Herz gelegt hatten, rutschten unter die Stoppkurse. Beide Unternehmen dürften operativ wohl erst von einer bundesweiten US-Freigabe von Marihuana stärker profitieren, weshalb wir sie akutell mit "Beobachten" einstufen.

Im kurzfristigen Zeitfenster scheinen US-Anbieter mit bereits etablierter Vertriebsstruktur attraktiver. Zwar sind mit Curaleaf Holdings und Trulieve Cannabis zwei der wachstumsstärksten und profitabelsten Unternehmen des US-amerikanischen Cannabis-Sektors derzeit nicht an deutschen Börsen handelbar, doch gibt es Alternativen: Columbia Care vertreibt seine Produkte bereits in 13 US-Jurisdiktionen, darunter liberale Bundesstaaten wie Kalifornien und Colorado, aber auch New Jersey und Arizona, die erst bei der jüngsten Wahl die komplette Freigabe von Marihuana auf den Weg gebracht haben. Damit erreicht die Gesellschaft fast die Hälfte der US-Bevölkerung. Für das kommende Jahr steht neben einer Umsatzverdopplung der Sprung in die Gewinnzone auf dem Programm.

Zu den noch vergleichsweise jungen Playern des Sektors zählt Ayr Strategies. Das Unternehmen war bislang in Massachusetts und Nevada vertreten und schaffte nun mit der Übernahme von DocHouse den Markteintritt in Pennsylvania. Nach der erwarteten Umsatzverdoppelung im laufenden Geschäftsjahr rechnen Analysten auch 2021 mit einem starken Wachstum der Gesellschaft sowie mit dem Erreichen der Profitabilität. Sven Heckle

 


Auf einen Blick

Cannabis

Zwar ist Hanf in den USA gemäß Bundes- recht eine illegale Droge, doch die einzelnen Bundesstaaten regeln die Verwendung als Rauschmittel und als Medikament sehr unterschiedlich. In 15 Staaten und in Washington, D. C., ist Cannabis vollständig legal.