BÖRSE ONLINE: Der DAX hat erhebliche Einbußen erlitten. Wie weit kann es jetzt noch runtergehen?
Carsten Mumm: Anleger befinden sich derzeit offensichtlich im Panikmodus. Wenn die Herde an der Börse einmal in eine Richtung losgerannt ist, kennt sie so schnell kein Halten. Das erleben wir gerade. In dieser Situation spielen fundamentale Aspekte kaum noch eine Rolle. Es macht daher Sinn, auf die jeweils nächsten charttechnischen Unterstützungsmarken zu achten, die derzeit bei 11.845 und dann 11.266 Punkten liegen. An diesen könnte die derzeitige rasante Abwärtsdynamik enden.
Ist es sinnvoll, aus Aktien rauszugehen, um Verluste zu begrenzen?
Nein, aus meiner Sicht sollte man sich eher für Nachkäufe positionieren und diese vornehmen, sobald eine Stabilisierung der Lage eintritt. Wer jetzt noch verkauft, läuft Gefahr, bei einer zu erwartenden schnellen Gegenbewegung nicht dabei zu sein. Der Ausgleich realisierter Verluste wäre dann nur schwer möglich. Selbst wenn die Realwirtschaft und damit die Unternehmensgewinne noch einige Monate unter den Corona-bedingten Auswirkungen leiden, dürften die Aktienmärkte die folgende wirtschaftliche Erholung vorweg nehmen. Wesentliche stabilisierende Faktoren, wie die weltweit wieder expansivere Geldpolitik vieler Notenbanken, die strukturellen Niedrigzinsniveaus und der US-Präsidentschaftswahlkampf bleiben intakt.
Wie groß schätzen Sie das Risiko ein, dass die deutsche Wirtschaft in eine Rezession fällt?
Die Wahrscheinlichkeit ist deutlich gestiegen. Schon Ende letzten Jahres war nicht sicher, dass die Wachstumsdelle in Deutschland schon ausgestanden war. Die durch Corona bedingte Verunsicherung sowie die Produktionsstopps, Reisebeschränkungen etc. treffen erneut vor allem exportorientierte Volkswirtschaften, wie Deutschland. Es besteht zudem die Gefahr, dass die derzeit wichtigste Konjunkturstütze, der Konsum einbricht. Dann wären ein oder zwei Quartale negativen Wachstums fast sicher.
Muss die Bundesregierung mit einem Konjunkturprogramm gegensteuern?
Das Problem ist, dass unterbrochene Lieferketten auch nicht durch ein Konjunkturprogramm geflickt werden können. Die Politik sollte derzeit vor allem zur Beruhigung der aufgewühlten Emotionen beitragen, indem sie Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen einläutet und aufklärt, um eine allgemeine Panik zu vermeiden. Wenn die Lage übersichtlicher wird, sollte man genau schauen, welche Branchen bzw. Unternehmen unter den Folgewirkungen besonders - evtl. sogar existenziell - leiden und dort gezielt unterstützen. Denkbare Maßnahmen wären die Unterstützung von Kurzarbeit, befristete finanzielle Entlastungen und Unterstützung beim schnellen Wiederaufbau unterbrochener Lieferketten.
Muss die EZB mit weiteren Zinssenkungen gegensteuern?
Nein, ich hoffe, dass Sie das nicht tut. Die Geldpolitik kann - gerade aufgrund des bereits erreichten Null- und Negativzinsniveaus - nichts zur Stabilisierung dieser Lage beitragen, selbst nicht emotional. Schon die letzte Zinssenkung im Oktober 2019 hatte kaum einen positiven Einfluss auf Kreditvergabe und Konjunktur.