Herr Dr. Krämer, die jüngste Krisengipfel hat nach einem Verhandlungsmarathon heute morgen doch noch einen Durchbruch erzielt. Wie beurteilen Sie die Vereinbarung?
Gut ist, dass die Staats- und Regierungschefs ihr Hilfsangebot mit zahlreichen Bedingungen versehen haben. Allerdings bin ich skeptisch, ob eine Regierung, die Reformen ablehnt, diese tatsächlich umsetzen wird.

Das klingt sehr skeptisch?
Griechenland bekommt frisches Geld, wenn es weiter mitspielt und die Auflagen der Geberländer erfüllt, was alles andere als sicher ist. Aber selbst, wenn die Regierung die Kredite ausbezahlt bekäme, wird sie das Land wohl nicht tiefgreifend reformieren, wie es notwendig wäre. Nach zwei gescheiterten Hilfsprogrammen glaube ich nicht daran, dass solche Programme Griechenland wirklich nach vorne bringen.

Wo sehen Sie die größten Kritikpunkte?
Auf dem Papier liest sich alles ganz gut, besonders der unabhängige Privatisierungsfonds, in den die griechische Regierung einen Teil der staatlich kontrollierten Unternehmen überführen soll. Aber letztlich kann man eine reformfeindliche Regierung nicht dazu zwingen, Reformen umzusetzen.

Auf Seite 2: Wird das dritte Hilfspaket reichen?





Insgesamt geht es bei den Verhandlungen um ein drittes Hilfspaket von über 82 bis 86 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre. Glauben Sie, dass das dies Mal tatsächlich reicht?
Das hängt vor allem von der wirtschaftlichen Situation ab. Zur Zeit steckt Griechenland wieder in der Rezession. Wenn die Regierung Tsipras zu ihren taktischen Spielchen zurückkehrt, bleiben die Bürger und Unternehmer verunsichert und die Wirtschaft erholt sich nicht. Dann reichen auch die neuen Hilfs-Milliarden nicht aus.

In den Verhandlungen geht die Eurozone bis 2018 für den griechischen Staatshaushalt von einem Primärüberschuss von 3,5 Prozent aus. Aber Griechenland stand schon vor dem Referendum vor einer Woche am Rande einer Rezession. Seither ist die Wirtschaft praktisch vollständig zum Erliegen gekommen. Ist die Annahme von 3,5 Prozent vor diesem Hintergrund überhaupt realistisch?
Das ist sicher eine optimistische Annahme.

Es gibt neben den ökonomischen Unwägbarkeiten ja noch große politische Fragezeichen. So ist aktuell völlig unklar, weshalb man einer Regierung glauben soll, dass sie plötzlich noch härtere Strukturreformen und Einsparungen akzeptieren will, nachdem sie zuvor ein weniger hartes Paket per Referendum bekämpft hat. Haben Sie das Vertrauen, dass die griechische Regierung die Vereinbarungen tatsächlich auch umsetzt?
Das Hauptproblem ist in der Tat das verspielte Vertrauen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass eine Regierung Reformen und Sparmaßnahmen umsetzt, die sie aus vollem Herzen ablehnt.

Erst heute morgen hat der griechische Arbeitsminister Panos Skourletis erklärt, er rechne mit Neuwahlen noch in diesem Jahr. Damit wären alle Pläne doch schon wieder Makulatur.
Tsipras wird die geforderten Gesetze am Mittwoch nur dann durch das Parlament bringen, wenn wichtige Oppositionsparteien zustimmen. Eine eigene Mehrheit hat er wohl nicht. All das ist eine Zerreißprobe für seine linksradikale Syriza.

Auf Seite 3: Was bedeutet die Einigung für Finanzmärkte?





Was bedeutet die Einigung für Finanzmärkte: Ist die Unsicherheit über die Zukunft des Euro nun gebannt?
Der Markt war bisher beim Thema Griechenland recht entspannt. Denn die Investoren wissen, dass Griechenland schon lange nicht mehr das Potential hat, den Bestand der Währungsunion zu gefährden. Schließlich haben sich ausländische Banken schon längst aus Griechenland zurückgezogen und würden bei einem Grexit nicht in den Abwärtsstrudel gezogen. Außerdem werden die Bankenkunden in Spanien oder Italien nicht ihre Banken stürmen, weil sie wissen, dass Griechenland ökonomisch und politisch ein Sonderfall ist. Schließlich steht die EZB im Fall der Fälle bereit, in großem Stil Staatsanleihen der hochverschuldeten Länder zu kaufen.

Der Euro hat sich heute morgen gegenüber dem Dollar deutlich fester gezeigt. Wo sehen Sie den Euro zum Ende des Jahres?
Wir sehen den EUR-USD-Wechselkurs bis zum Jahresende Richtung 1,04 abwerten - aber nicht wegen Griechenland, sondern wegen der US-Notenbank, die ihren Leitzinszins anders als die EZB noch in diesem Jahr anheben dürfte.