Der Fall der Berliner Mauer am Abend des 8. November 1989 beschleunigte den Zusammenbruch des Kommunismus in Europa dramatisch und plötzlich. Das Ende der Reisebeschränkungen zwischen DDR und Bundesrepublik versetzte der abgeschotteten Gesellschaft der Sowjetunion den Todesstoß. Zugleich markierte es einen Höhepunkt beim Aufstieg offener Gesellschaften.

Ich engagierte mich zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahrzehnt für das, was ich als meine politische Philanthropie bezeichne. Ich entwickelte mich zu ­einem Fürsprecher des Konzepts der ­offenen Gesellschaft, das mir von Karl Popper, meinem Mentor an der London School of Economics, vermittelt worden war. Von Popper lernte ich, dass perfektes Wissen unerreichbar ist und dass totalitäre Ideologien, die für sich in Anspruch nehmen, im Besitz der ultimativen Wahrheit zu sein, sich nur mittels Repressionen durchsetzen können.

In den 1980er-Jahren unterstützte ich Dissidenten innerhalb des gesamten Sow­jetreichs, und 1984 gelang es mir, eine Stiftung in meinem Geburtsland Ungarn zu gründen. Diese leistete finanzielle Unterstützung für alle Aktivitäten, die nicht durch den Einparteienstaat ­ini­tiiert wurden. Die dahinterstehende Idee war, die Menschen durch Förderung außerhalb der Partei angesiedelter Aktivitäten ein Bewusstsein für die Falschheit des offiziellen Dogmas entwickeln zu lassen - und das funktionierte fantastisch. Mit einem jährlichen Budget von drei Millionen Dollar wurde die Stiftung einflussreicher als das Kulturministerium.

Der Crash von 2008 beendete die globale Dominanz der USA


Ich wurde geradezu süchtig nach politischer Philanthropie und gründete während des Zusammenbruchs des Sowjet­reichs in einem Land nach dem anderen Stiftungen. Mein Jahresbudget stieg innerhalb weniger Jahre steil von drei auf 300 Millionen Dollar an. Es waren stürmische Zeiten. Offene Gesellschaften waren im Aufwind, und internationale Zusammenarbeit war das vorherrschende Credo.

30 Jahre später sieht die Lage ganz ­anders aus. Die internationale Zusammenarbeit ist auf ernste Hindernisse ­gestoßen, und der Nationalismus wurde beherrschendes Credo. Bisher hat er sich als deutlich wirkungsmächtiger und destabilisierender erwiesen als der Internationalismus.

Dies war keine Zwangsläufigkeit. Nach dem Zusammenbruch der Sowjet­union 1991 nahmen die USA die Rolle der einzigen verbleibenden Supermacht ein, doch sie wurden der Verantwortung nicht gerecht, die diese Position ­ihnen übertrug. Die USA waren mehr daran interessiert, die Früchte ihres Sieges im Kalten Krieg zu genießen. Sie versäumten es, den ehemaligen Ostblockländern, die nun schwere Zeiten durchmachten, eine helfende Hand zu reichen. Sie hielten sich damit an die Vorgaben des neoliberalen Washing­toner Konsenses.

Zur selben Zeit begann China seine erstaunliche wirtschaftliche Wachstums­entwicklung, die durch seinen mit US-Unterstützung erfolgten Beitritt zur Welthandelsorganisation und den internationalen Finanzinstitutionen ermöglicht wurde. Irgendwann ersetzte das Land die Sowjetunion dann als potenziellen Rivalen der USA. Der Washing­toner Konsens ging davon aus, dass Finanzmärkte in der Lage sind, ihre eigenen Exzesse zu korrigieren, und dass, wenn sie das nicht täten, die Notenbanken sich um scheiternde Geldinstitute kümmern würden, indem sie diese zu größeren fusionieren. Wie die globale Finanzkrise von 2007 und 2008 zeigte, war das eine Fehlannahme.

Der Crash von 2008 beendete die unbestrittene globale Dominanz der USA und leistete dem Aufstieg des Nationalismus enormen Vorschub. Er leitete ­zugleich die Abkehr von den offenen ­Gesellschaften ein. Der Schutz, den diese von den USA erhielten, war immer indirekter Art und manchmal unzu­reichend gewesen, doch sein Fehlen machte diese Gesellschaften anfällig für die vom Nationalismus ausgehende Bedrohung. Es dauerte eine Weile, bis ich dies erkannte, doch die Beweise dafür waren unwiderlegbar. Die offenen Gesellschaften wurden weltweit in die Defensive gezwungen.

Ich würde gern glauben, dass der Höhepunkt dieser Entwicklung 2016 mit dem britischen Brexit-Referendum und der Wahl von US-Präsident Donald Trump erreicht wurde, aber das letzte Wort ist diesbezüglich noch nicht gesprochen. Die Zukunftsaussichten der offenen Gesellschaften werden durch die außergewöhnlich schnelle Entwicklung der künstlichen Intelligenz verschärft. Diese kann Instrumente gesellschaftlicher Kontrolle hervorbringen, die repressiven Regimen helfen, aber für offene Gesellschaften eine tödliche Gefahr darstellen.

So hat etwa der chinesische Präsident Xi Jinping mit der Einrichtung eines ­sogenannten Sozialkreditsystems begonnen. Falls er dieses erfolgreich zum ­Abschluss bringt, würde der Staat die absolute Kontrolle über seine Bürger erlangen. Verstörend dabei ist, dass die chinesische Bevölkerung das Sozialkreditsystem attraktiv findet, weil es ihr bisher fehlende Dienstleistungen bietet, die Verfolgung von Straftätern verspricht und den Bürgern Hinweise gibt, wie sie Schwierigkeiten vermeiden ­können. Noch verstörender ist, dass China das Sozialkreditsystem weltweit an Möchtegern-Diktatoren verkaufen könnte, die dann politisch von China ­abhängig würden.

Wir können uns nur auf unsere Überzeugungen verlassen


Zum Glück hat Xis China eine Achillesferse: Es ist davon abhängig, dass die USA es mit Mikroprozessoren beliefern, die 5G-Unternehmen wie Huawei und ZTE brauchen. Leider jedoch hat Trump gezeigt, dass er seine persönlichen In­teressen über die der Nation stellt, und 5G macht dabei keine Ausnahme. Sowohl er als auch Xi stecken in ihren Ländern in politischen Schwierigkeiten, und bei den Handelsverhandlungen mit Xi hat Trump Huawei aufs Tablett gebracht und Mikrochips zur Verhandlungsmasse gemacht.

Das Ergebnis ist nicht vorhersagbar, weil es von einer Anzahl noch ausstehender Entscheidungen abhängt. Wir leben in revolutionären Zeiten, in denen das Spektrum der Möglichkeiten viel größer und das Ergebnis noch unsicherer ist als gewöhnlich. Das Einzige, auf das wir uns verlassen können, sind unsere Überzeugungen.

Ich bekenne mich, komme was wolle, zu den von offenen Gesellschaften verfolgten Zielen. Das ist der Unterschied zwischen der Arbeit für eine Stiftung und dem Versuch, sein Geld am Aktienmarkt zu verdienen.

Kurzvita

George Soros
Chairman Soros Fund Management
Der US-amerikanische Milliardär ungarischer Herkunft unterstützt mit seinem Vermögen Bürgerrechtsorganisationen, Bildungseinrichtungen sowie politische Aktivisten. George Soros ist unter anderem Chairman der Open Society Foundations. Der Pionier der Hedgefondsbranche, der vor allem mit seinen Wetten gegen das britische Pfund Anfang der 90er-Jahren für Furore sorgte, ist zudem Verfasser zahlreicher Bücher.