Was bei der Deutschen Börse los ist, wie Experten die weiteren Perspektiven einschätzen und wie sich die Aktie entwickelt hat.

DAS IST LOS IM UNTERNEHMEN:

Weimer hatte bei der Vorlage der Jahresbilanz im Februar bereits die Erwartungen für das erste Quartal 2021 gedämpft. Der frühere HVB-Chef verwies darauf, dass sich zum Jahresstart das historisch gute Ergebnis aus dem ersten Jahresviertel 2020 nicht wiederholen werde. Damals hatte die Deutsche Börse besonders stark vom regen Handel an den Finanzmärkten im Zuge der Corona-Turbulenzen profitiert; Nettoerlöse, operatives Ergebnis und Überschuss waren deutlich geklettert.

Der Konzernchef sieht die Deutsche Börse für die Zukunft gut aufgestellt. Er will das Unternehmen mit gezielten Zukäufen vor allem außerhalb des Aktiengeschäfts oder dem dazugehörigen Derivate-Bereich noch unabhängiger von Schwankungen an diesen Märkten machen, setzt aber auch auf Wachstum aus eigener Kraft. Weimer führt den Konzern seit Anfang 2018 und hat ihn in dieser Zeit noch breiter aufgestellt.

Das erwies sich vor allem 2020 als richtig, als die Deutsche Börse neben dem regen Handel an den Märkten auch von Übernahmen der vergangenen Jahre profitiert hatte. Dass in Krisenzeiten an den Finanzmärkten üblicherweise rege gehandelt wird und das Bedürfnis nach Absicherung gegen Risiken steigt, spielte der Deutschen Börse in die Karten. Zu schaffen macht ihr allerdings das anhaltende Zinstief, das auf die Erträge im Geschäft mit dem Verwahren von Wertpapieren drückt.

Unabhängig davon gab die Deutsche Börse im vergangenen Herbst auf einem Investorentag das Ziel aus, Erlöse und Gewinn in den drei Jahren bis einschließlich 2023 jeweils prozentual zweistellig zu steigern. So sollen die Erlöse bis dahin auf rund 4,3 Milliarden Euro zulegen. Dieses Plus soll rund zur Hälfte aus Übernahmen kommen, hieß es bei der Vorstellung der neuen Strategie mit dem Namen "Compass 2023".

Im vergangenen Herbst konnte Weimer dann endlich auch den schon länger erwarteten Milliardendeal verkünden: Der Marktplatzbetreiber sicherte sich rund 80 Prozent am Stimmrechtsberater ISS, der institutionellen Investoren Daten und Dienstleistungen im Bereich Unternehmensführung liefert.

Die Suche nach geeigneten Zielen am Markt ist allerdings nicht einfach, da die Konkurrenz unter den Bietern groß ist und die Preise hoch sind. Weitere Zukäufe wären finanziell jedenfalls machbar, denn Geld hierfür hat die Deutsche Börse: Derzeit habe der Konzern rund 1,5 Milliarden Euro für mögliche Übernahmen in der Kasse, sagte Finanzvorstand Gregor Pottmeyer im Februar.

Weimer hatte sich vor dem ISS-Zukauf schon länger nach Übernahmekandidaten umgesehen, bei größeren Deals allerdings immer den Kürzeren gezogen und sich eher kleinere Fische geangelt. So war die Deutsche Börse etwa 2020 im Bieterrennen um die Borsa Italiana nicht zum Zug gekommen. Stattdessen verkaufte der Rivale London Stock Exchange (London Stock Exchange (LSE)) (LSE) seine italienische Tochter letztlich an die Mehrländerbörse Euronext.

Der Verkauf der Italiener resultierte aus einer Auflage der EU-Kommission an die LSE, nachdem der Londoner Börsenbetreiber bereits im August 2019 die Übernahme des Finanzdatenanbieters Refinitiv für 27 Milliarden Dollar angekündigt hatte. Auch bei Refinitiv hatte Manager Weimer am Ende das Nachsehen. Denn auch die Deutsche Börse war damals an Teilen des Refinitiv-Devisenhandels interessiert, doch dann schnappte sich die LSE Refinitiv im Ganzen.

Unter Weimers Vorgänger Kengeter war eine angedachte Fusion mit der Londoner Börse vor einigen Jahren geplatzt, zudem hatte es Insidervorwürfe gegen ihn gegeben. Weimer dagegen führt die Deutsche Börse geräuschlos und mit Bedacht, am Finanzmarkt wird der Kurs des Managers bisher honoriert.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Seit Vorlage der Jahreszahlen im Februar haben sich 12 der im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten näher mit der Deutschen Börse befasst. Ihre Bewertungen sind eher positiv und zuversichtlich gestimmt. Die eine Hälfte der Analysten rät zum Kauf der Titel, die andere Hälfte empfiehlt, die Papiere zu halten und die weiteren Entwicklungen beim Marktplatzbetreiber genau im Blick zu behalten. Denn es gibt auch durchaus einige kritische Stimmen.

Mit 171 Euro als Kursziel hat die Deutsche Bank zwar den höchsten Wert auf dem Zettel. Ihr Analyst Benjamin Goy gibt allerdings zu bedenken, dass stark schwankende Handelsvolumina an den Finanzmärkten Gegenwind für die Börsenbetreiber seien. Alles in allem blieben die Marktverhältnisse aber dennoch vorteilhaft. Auch aus Sicht von Jan Lennertz vom Analysehaus Independent Research ist die erhöhte Volatilität an den Finanzmärkten ambivalent für das Unternehmen. Einige Segmente profitierten von starken Marktschwankungen, andere wiederum litten darunter.

Das Analysehaus Jefferies sieht den Börsenbetreiber gut positioniert, um an den langfristigen Wachstumstrends zu partizipieren. Im Vergleich zu Wettbewerbern sei die Bewertung bei gleichem Wachstum unterdurchschnittlich, urteilt Jefferies-Analyst Martin Price. Dagegen vertritt Peter Richardson von der Privatbank Berenberg den Standpunkt, dass der Börsenbetreiber zwar langfristig Wachstum verzeichnen könne. Aber kurzfristig lasse der Geschäftsmix im Vergleich mit der Konkurrenz stärkeren Gegenwind erwarten.

Derweil sprach Credit-Suisse-Analystin Haley Tam nach den Jahreszahlen des Börsenbetreibers eine Kaufempfehlung für die Aktie aus, gleichzeitig hob sie ihre Gewinnschätzungen für die Jahre 2021 und 2022 an. Das neue Rating und ihr Kursziel spiegelten das Aufwärtspotenzial der Aktie sowie die Aussicht auf ein prozentual zweistelliges Ergebniswachstum wider, verdeutlichte sie. Das Vertrauen in die Ziele der mittelfristigen Wachstumsstrategie "Compass 23" nehme zu.

Analyst Michael Werner von der Schweizer Großbank UBS gab unterdessen kürzlich eine Einschätzung zu den anstehenden Quartalszahlen ab: Im Aktienkassahandel und bei börsengehandelten Fonds dürfe das erste Jahresviertel stark geendet haben, erwartet er. Im Handel mit Terminkontrakten rechnet der Experte dagegen mit gemischt ausgefallenen Zahlen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Noch im vergangenen Sommer hatten die Turbulenzen an den Finanzmärkten die Deutsche Börse am Aktienmarkt zu einem großen Pandemie-Gewinner gemacht. Danach ging es wieder deutlich in den Keller, die Luft war raus. So brachte der Höhenflug nach dem Corona-Crash-Tief bei knapp 93 Euro die Aktien im vergangenen Juli bis auf ein Rekordhoch von 170,15 Euro - danach endete die Rally jedoch.

Stattdessen ging es bis Anfang November wieder kontinuierlich auf weniger als 125 Euro bergab. Neben der in dieser Zeit nachlassenden Wachstumsdynamik im Geschäft der Deutschen Börse hatten sich am Markt auch Zweifel an der hohen Bewertung der Anteilsscheine gemehrt. Weder die Ankündigung der milliardenschweren ISS-Übernahme noch die vorgestellten Strategiepläne konnten daran zunächst etwas ändern.

Der über mehrere Monate anhaltende Negativtrend hat sich in der Zwischenzeit zwar wieder ins Positivere verkehrt - wenn auch das Niveau des vergangenen Sommers noch längst nicht wieder erreicht ist und die Erholung eher schleppend verläuft. Derzeit kostet eine Deutsche-Börse-Aktie rund 149 Euro und damit immer noch rund zehn Euro weniger als vor dem Corona-Crash Mitte Februar 2020. Damals hatte die Pandemie die Finanzmärkte mit Wucht erfasst und auch die Deutsche Börse zwischenzeitlich tief in den Strudel gerissen.

Besser sieht es jedoch beim längerfristigen Blick aus. Seit dem Amtsantritt Weimers Anfang 2018 beträgt das Kursplus mehr als 50 Prozent. Damit belegt die Deutsche-Börse-Aktie in diesem Zeitraum Platz sieben und gehört zu den erfolgreichsten deutschen Standardwerten. In den zurückliegenden fünf Jahren haben die Titel ihren Wert sogar mehr als verdoppelt. Zum Vergleich: Der Dax hat seit Beginn 2018 nur rund 18 Prozent hinzugewonnen und kommt binnen fünf Jahren auf ein Plus von gut 50 Prozent.

Momentan kommt der Marktplatzbetreiber auf eine Marktkapitalisierung von rund 28 Milliarden Euro. Die Deutsche Börse ist somit in etwa so viel wert wie die ebenfalls am Finanzplatz Frankfurt angesiedelten Geldhäuser Deutsche Bank (21,1 Mrd) und Commerzbank (6,1 Mrd) zusammen. Zwischenzeitlich hatte die Deutsche Börse in Sachen Börsenwert sogar noch einiges mehr auf die Waage gebracht als beide Banken gemeinsam.

Im internationalen Vergleich sieht es für die Deutsche Börse jedoch nicht so gut aus. So besteht im Vergleich zum Rivalen London Stock Exchange (LSE) (umgerechneter Börsenwert 50 Mrd Euro) noch eine große Lücke. Die US-Börsenbetreiber wie CME (CME Group A) (61 Mrd Euro) oder Intercontinental Exchange (56 Milliarden Euro) spielten ohnehin schon vorher in einer anderen Liga.

dpa-AFX