Mit seinem Farbdisplay und dem Touchscreen sieht das Gerät wie ein Smartphone aus. Nur ist das Tandem t:slim noch etwas kleiner. Deshalb kann es bequem in der Hosentasche verstaut werden. Es handelt sich dabei um eine Insulinpumpe für Diabetiker - die weltweit kleinste, ausgestattet mit USB-Technologie und aufladbaren Lithium-Batterien.

Das von der US-Firma Tandem Diabetes Care entwickelte Produkt soll die ­Diabetes-Behandlung revolutionieren. Wie digitale Messgeräte, Injektionspens oder schlauchlose Infusionssets, die gerade den Markt aufrollen oder kurz vor der Zulassung stehen. Im Kern geht es darum, über mehrere Elemente den Blutzuckerspiegel kontinuierlich zu überwachen. Ein direkt im Hautgewebe platzierter Sensor misst den Wert alle fünf Minuten und sendet ihn elektronisch an die Insulinpumpe. Die Daten werden über einen Algorithmus verarbeitet. Droht Unterzuckerung, schlägt das Gerät Alarm und die Insulinabgabe wird gedrosselt oder ganz gestoppt. Umgekehrt erhöht sich im Fall einer Überzuckerung automatisch der Insulinfluss.

Für Tandem bedeutete der t:slim nach einer längeren Durststrecke den großen Durchbruch. Um 2500 Prozent ist der Aktienkurs binnen zwei Jahren nach oben geschossen. Der Rücksetzer, den die Aktie seit Anfang September eingeschlagen hat, sollte spätestens enden, wenn das Unternehmen die im aktuellen Quartal erwartete Zulassung für das Nachfolgeprodukt Tandem t:slim X2 bekommt.

Globale Absatzmärkte


Auf Patienten und Investoren warten jedenfalls spannende Jahre. "Das Diabetes-Management ist das am weitesten fortgeschrittene Feld in der digitalen Gesundheit. Hier zeigt sich, wie Anwendungen in Kombination mit künstlicher Intelligenz und Datenanalyse einen steigenden medizinischen Nutzen für die Patienten erzielen", meint Kai Brüning, Portfoliomanager bei Apo Asset Management. Angesichts der weltweit rapide wachsenden Zahl an Diabetesfällen ist das Marktpotenzial enorm. Umso mehr, da nach Schätzungen der International Diabetes Federation (IDF) bei der Hälfte der Betroffenen die Krankheit noch gar nicht diagnostiziert wurde.

Die ökonomischen Kosten für die staatlichen Gesundheitssysteme zeigen sich besonders an zwei Zahlen. Zwei Drittel aller Diabetespatienten sind im erwerbsfähigen Alter. Und zwölf Prozent der globalen Gesundheitsausgaben von 2017 in Höhe von 730 Milliarden US-Dollar entfielen auf die Behandlung von Diabetes, hier vor allem hauptsächlich auf die Behandlung von Folgeerkrankungen wie Fettleibigkeit, Nierenschäden, Schlaganfall oder Herzinfarkt.

Hoher medizinischer Nutzen


Folgeschäden wie Übergewicht oder Bluthochdruck einzudämmen ist auch das Hauptziel von neuen Diabetes-Medikamenten. "Es geht im Wesentlichen da­rum, etwa über die Einnahme als Tablette die Kontrolle des Blutzuckers zu verbessern", erläutert Jörg Blumentrath, Portfoliomanager beim Investmentberater Medical Strategy. Dagegen sei es schwieriger, neue Insuline auf dem weitgehend gesättigten Markt einzuführen. Am ehesten, so Blumentrath, gelingt das den sogenannten Shot-to-Meal-Lösungen. Diese Insuline werden vor dem Essen eingenommen und wirken bereits nach zehn bis 30 Minuten und nicht nach 40 bis 50 Minuten wie die meisten Standardinsuline. Bei einem neuen Ansatz, der insulinproduzierende Betazellen aus Stammzellen entwickelt, ist in den nächsten Jahren noch nicht mit klinischen Durchbrüchen zu rechnen. Eine solche Innovation würde die Behandlung der erblich bedingten Diabetes 1 - und damit die wesentlich kleinere Patientengruppe - auf eine ganz neue Grundlage stellen.

Ein offener Punkt ist die Kostenerstattung. Branchenexperte Blumentrath erwartet hier, dass neue blutzuckersenkende Arzneien nach ihrer Zulassung anhand von Studien ihren dauerhaften medizinischen Nutzen belegen müssen. Anders bei der digitalen Medizintechnik. "Hält man sich vor Augen, dass die jährlichen Folgekosten für Diabetes allein in den USA zuletzt bei 377 Milliarden US-Dollar lagen, ist der Anreiz für die Gesundheitssysteme groß, die Behandlung mit diesen Vorläufern zur künstlichen Bauchspeicheldrüse zu unterstützen", meint Marcel Fritsch, Portfoliomanager bei Bellevue Asset Management. "Je schneller sich die Time-in-Range-Werte für die neuen Geräte verbessern, desto mehr gleicht der Alltag dieser Patienten denen von gesunden Menschen."

Die "Time in Range" ist der maßgebliche Richtwert, an dem Verbesserungen für ­Diabetiker gemessen werden. Darunter versteht man den Zeitraum über 24 Stunden, in dem sich der Blutzuckerspiegel eines Patienten in einer Bandbreite von 70 bis 180 Milligramm pro Deziliter Blut bewegt. Gesunde Menschen kommen hier auf 90 Prozent. Bei der klassischen Kombination von Glukosemessungen mittels Fingerpieks und Teststreifen in Verbindung mit mehreren Insulininjektionen täglich liegt dieser Wert bei 45 Prozent. 55 Prozent werden es mit der seit einigen Jahren verbreiteten Kombination von Insulinpumpe und traditioneller Glukosemessung. Die neuen marktreifen Produkte haben sich bis zu 72 Prozent zum Ziel gesetzt.

Größter Kurshebel bei Nebenwerten


Anleger können gleichermaßen auf Bluechips und Nischenplayer setzen. Spezialisten wie Dexcom, Insulet, Ypsomed oder Tandem Diabetes billigt der Markt dabei eine hohe Bewertung zu. "Angesichts der kontinuierlich wachsenden Zahl an Diabetespatienten, die für die neuen Therapien infrage kommen, ist das sich erschließende Umsatzpotenzial in den langfristigen Bewertungsmodellen der Analysten noch nicht enthalten", meint Fondsmanager Brüning.

Unter den Medtechkonzernen sind Medtronic und Abbott Laboratories die Vorreiter in der Diabetesbehandlung. Medtronic hat eines der ersten Messgeräte auf den Markt gebracht und will bis Mitte 2020 mit dem Advanced Hybrid Closed Loop ein neues System aus Insulinpumpe, Algorithmus und Einwegsensor nachlegen. Für Abbott spricht der kommerzielle Erfolg des Messgeräts Freestyle Libre, das 2019 mehr als eine Milliarde US-Dollar erlösen soll. Darüber hinaus ist die Aktie im Verhältnis zur erwarteten Gewinnentwicklung der nächsten Jahre günstiger bewertet als Medtronic.

Erste Wahl unter den Pharmakonzernen ist Novo Nordisk aus Dänemark. Die Gesellschaft ist führend in der neuen Generation der GLP-1-Analoge und schafft es mit Milliardenprodukten wie Victoza, neben Diabetes auch andere Indikationen wie Fettsucht anzugehen.

Dexcom glänzt mit den technologisch am weitesten ausgereiften Messgeräten. Dazu hat sich die Firma strategisch clever aufgestellt, indem sie mit nahezu allen Herstellern von Insulinpumpen kooperiert. Beste Voraussetzungen, um in den kommenden Jahren die führende Position in dieser Marktnische auszubauen.




Während Dexcom in diesem Jahr den Sprung in die Gewinnzone schaffen wird, schreibt Insulet bereits schwarze Zahlen. Mit der Omnipod-Plattform verfügt die Gesellschaft über ein Sortiment an Insulinpumpen, darunter ein schlauchloses Infusionsset. Ein neues Produkt soll bis Ende 2020 auf den Markt kommen.

Den größten Kurshebel und zugleich den spekulativsten Charakter hat die Aktie von Tandem Diabetes Care. In den nächsten drei Jahren soll sich der Umsatz verdreifachen. Profitabel soll die Gesellschaft aber erst 2021 werden.