Bei 2,1 Prozent muss man nicht auf die Bremse treten: Während in den USA und in Europa die Inflationsraten nach oben schießen, zieht die Teuerung in Japan nur moderat an. Das missfällt zwar den Konsumenten, denn steigende Preise sind sie nicht gewohnt. Doch Haruhiko Kuroda sieht im Gegensatz zu Fed-Chef Jerome Powell oder EZB-Präsidentin Christine Lagarde keine Notwendigkeit, seinen expansiven geldpolitischen Kurs zu ändern. Die langfristigen Zinssätze bleiben bei null, die kurzfristigen bei minus 0,1 Prozent.
Auch das milliardenschwere Anleihekaufprogramm wird fortgesetzt. Die damit einhergehende Schwäche des Yen ist gewollt. Sie kann der exportorientierten Wirtschaft den notwendigen Boost geben. Bei ausländischen Investoren kommt Japans oberster Währungshüter bislang gut an.
Dagegen wächst die Kritik an Powell.Er riskiere eine harte Landung, heißt es. "Unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigen sich", klagt auch Ed Harris, Chefvolkswirt der Bank of America. Lagarde wiederum muss sich vorhalten lassen, nur zögerlich auf die Inflation zu reagieren und zu viel Rücksicht auf die hochverschuldeten südeuropäischen Staaten zu nehmen.
Ist die Börse in Tokio daher die attraktivere Alternative? Frei von Gefahren ist sie nicht, auch am größten Finanzplatz Ostasiens schwanken die Kurse kräftig. Allerdings gab der Leitindex Nikkei 225 seit Jahresanfang "nur" zehn Prozent ab. DAX oder S & P 500 haben deutlich mehr verloren. Anleger sehen im Gegensatz zu den USA oder der Eurozone kein Rezessionsrisiko. Für das Gesamtjahr erwartet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Wachstum von 1,7, für das kommenden Jahr von 1,8 Prozent. Der Binnenkonsum schiebt die Konjunktur an. Nach einem kräftigen Sprung im März sind die Verbraucherausgaben im April und Mai weiter gestiegen. Allein für Bekleidung gaben Konsumenten im Mai über fünf Prozent mehr aus als im April. "Der Trend wird noch eine Weile anhalten", versichert Yuichi Kodama vom Meiji Yasuda Research Institute gegenüber Bloomberg.
Folglich fehlt es nicht an Empfehlungen für einen Einstieg. Sie richten sich vor allem an taktisch orientierte Anleger. Ein langfristiges Engagement mit hohem Einsatz ist dagegen (noch) nicht zu empfehlen. Japans Wirtschaft weist fundamentale Schwächen auf, die sich nicht so schnell beheben lassen. Für das zweite Halbjahr aber stehen die Chancen gut.
John Vail, Chief Global Strategist bei Nikko AM, traut dem Nikkei 225 bis Ende des Jahres einen Anstieg auf 28 000 Punkte zu. Das wäre vom aktuellen Stand ein Plus von immerhin sechs Prozent. Analysten der Bank Nomura halten in den kommenden sechs Monaten sogar 31 000 Zähler für möglich. Das entspräche einem Anstieg von 17 Prozent. Dagegen scheint die aktuelle Korrektur an der Wall Street und an Europas Aktienmärkten ihren Boden noch nicht gefunden zu haben.
Neben der Aussicht auf weiterhin niedrige Zinsniveaus sowie erwartete Gewinnsteigerungen in Höhe von im Schnitt acht Prozent für das laufende Jahr locken zudem günstige Bewertungen. So weist der Nikkei 225 ein Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2022 von 15,6 auf, der breiter gefasste Topix bringt es auf 11,9. In der vergangenen Woche steckten Anleger laut Reuters schon mal umgerechnet 4,4 Milliarden Euro in japanische Aktien, so viel wie seit vergangenem September nicht mehr.
Endlich am Ziel
Der 77-jährige Notenbankchef Kuroda wird die gute Stimmung der Investoren nicht torpedieren. Endlich geht es in die von ihm so lange angestrebte Richtung. Mit aktuell um die zwei Prozent hat er das Ziel Preisstabilität erstmals erreicht. Nur wenn die Teuerung deutlich an Dynamik gewinnen sollte, will er die Zinszügel anziehen.
Dass er noch in seiner bis April kommenden Jahres verbleibenden Amtszeit zur Tat schreitet, halten Investoren für unwahrscheinlich. Der seit Jahren der erste Silberstreifen am Horizont soll erst noch stärker glänzen.
Verständlich: Als Kuroda im Jahr 2013 zum Chef der Notenbank ernannt wurde, hatte er versprochen, das hartnäckige Deflationsproblem zu lösen. Kontinuierlich sinkende Preisniveaus haben Japan enorm geschadet. Die Verbraucher warteten meist lange ab, ob Waren oder Dienstleistungen noch billiger wurden. Das zwang die in einem konkurrenzstarken Umfeld agierenden Unternehmen, die Preise weiter zu senken. Auch wurden Investitionen aufgeschoben oder ganz gestrichen.
Ebenso stagnierten beziehungsweise sanken die Löhne. Japans Gewerkschaften verfügen über geringe Verhandlungsmacht. Die Folge: Im Vergleich zu anderen Industriestaaten fällt nach Angaben der OECD Japans Pro-Kopf-Einkommen deutlich geringer aus.
Einer der Gründe für Japans bislang so hartnäckige Deflation ist der demografische Wandel. Zum elften Mal in Folge wird in diesem Jahr die Bevölkerungszahl sinken. Strategien zur Erhöhung der Geburtenrate, etwa ein vermehrtes Angebot an Betreuungsplätzen, fruchteten nicht. Bis zum Jahr 2040 kann die Zahl der Erwerbstätigen um 40 Prozent sinken. Stärkere Zuwanderung könnte die Lücke schließen und der Wirtschaft mehr Schwung verleihen. Doch nur sehr zögerlich öffnet sich Japan für ausländische Arbeitskräfte. Gelingt es der Regierungen nicht, dringend notwendige strukturelle Reformen auf den Weg zu bringen, fehlt dem Aktienmarkt ein langfristiger Kurstreiber.
Mit Kursfantasie
Die aktuell sich bietenden Opportunitäten lassen sich jedoch nutzen. Unter anderem mit dem von Blackrock aufgelegten iShares Nikkei 225 ETF. Der Exchange Traded Fund enthält die wichtigsten Unternehmen Japans. Dazu zählt beispielsweise Fanuc. Der weltweit größte Hersteller von Industrierobotern profitiert von den Anstrengungen vieler Unternehmen, die Produktivität zu erhöhen. Jeden Monat verkauft Fanuc eigenen Angaben zufolge 8000 Roboter weltweit. Hauptabnehmer sind die Automobilproduzenten. Sie schätzen insbesondere die lange Lebensdauer der Maschinen. Viele Fanuc-Roboter sind schon seit mehr als 20 Jahren im Einsatz. Für das im März 2023 zu Ende gehende Geschäftsjahr erwartet das Management eine Umsatzsteigerung von 13 und eine Gewinnsteigerung von sieben Prozent. Analysten von Goldman Sachs empfehlen die Aktie zum Kauf.
Kursfantasien entzünden sich derzeit auch an Toyota. Lange Zeit setzte der Autobauer auf Hybridfahrzeuge. Um reine E-Autos kümmerte sich der Konzern weniger. Nun aber will das Management bis zum Jahr 2030 umgerechnet 11,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Batterieproduktion und in die Batterieentwicklung stecken. Schon in vier Jahren sollen 15 neue elektrische Modelle auf den Markt kommen. Die notwendigen Mittel bringt Toyota auf. Der Autobauer verfügt über hohe Cashbestände.
Zu den kursstärksten Titeln in Tokio zählt derzeit aber Tokyo Electric Power Company. Die Aktie des Versorgers legte im ersten Halbjahr um 100 Prozent zu. Das Unternehmen verdient an den steigenden Energiepreisen. Als Vorteil erweist sich auch die aktuelle Hitzewelle in Japan. Bei Temperaturen um die 40 Grad laufen die Klimaanlagen in vielen Städten auf Hochtouren.
INVESTOR-INFO
Aktien-ETF Japan
Aufholpotenzial
Der iShares Nikkei 225 ETF bildet die Entwicklung der 225 an der Börse in Tokio am aktivsten gehandelten Unternehmen ab. Auf Sicht von zehn Jahren legte der ETF um über 100 Prozent zu. Innerhalb eines Jahres verlor das Papier jedoch 14 Prozent. Für das zweite Halbjahr werden wieder Kursgewinne prognostiziert. IT-Werte wie Softbank Group sind im Index mit 22 Prozent gewichtet. Auf zyklische Konsumgüter wie Fast Retailing oder Toyota Motor entfallen 18 Prozent. Der ETF eignet sich zur Beimischung.
Aktien-Fonds Japan
Eigene Ideen
Value-Titel sind derzeit auch in Japan gesucht. In sie investiert der Man GLG Japan Core Alpha Fund. Seit Jahresanfang legte er um 14 Prozent zu. Die Manager Jeffrey Atherton und Adrian Edwards weichen vom Referenzindex Topix immer wieder deutlich ab. Übergewichtet haben sie derzeit Mitsubishi Estate, Subaru und Panasonic Holding. IT-Unternehmen und Elektronikanbieter wie Sony sind im Vergleich zum Index aktuell untergewichtet. Der Fonds ist währungsgesichert.
Panasonic
Batterie-Fantasie
Im Zuge der E-Auto-Produktion steigt auch die Nachfrage nach Lithiumbatterien. Pro Fahrzeug werden drei bis zehn Kilo Lithium benötigt. Mit Panasonic können Anleger am E-Batterie-Boom partizipieren. Das Unternehmen entwickelt eine Batterie, die die Reichweite um 15 Prozent erhöhen soll. Sie wird derzeit von Tesla getestet. In den vergangenen sechs Monaten hat der Titel deutlich verloren. Mutige Anleger kaufen, das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei zehn.