Jeder Anleger sucht nach liquiden Wertpapieren. Denn ein liquider Markt zieht weitere Investoren an; dadurch entsteht ein sich selbst verstärkender Effekt für eine höhere Liquidität. Doch was zeichnet Liquidität aus? Im Wesentlichen sind es vier Faktoren: Ein Markt gilt als liquide, wenn es für jedes Wertpapier zahlreiche Orders gibt, also nicht nur einen kleinen oder großen Käufer und Verkäufer, wenn viele Wertpapiere des Markts gehandelt werden, und wenn die Kosten einer Transaktion - gewöhnlich als Geld-Brief-Spanne ausgedrückt - niedrig sind sowie die Zahl der Transaktionen in einem Zeitraum hoch ist.

Ruft man sich diese Kriterien ins Gedächtnis, ist es verständlich, weshalb die Entwicklung auf dem Anleihemarkt bei Anlegern zu Sorgenfalten führt. Gerade hier droht Liquidität teilweise auszutrocknen. Die Zahl beispielsweise der Unternehmensanleihen von Konzernen aus dem S&P-500-Index hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht, auf rund 5000. Gleichzeitig ist seit 2006 das Handelsvolumen im US-Rentenmarkt um rund ein Drittel gefallen. Das bedeutet, dass sich das kleinere, gehandelte Volumen auf wesentlich mehr Anleihen verteilt, was zu weniger und kleineren Transaktionen führt. In Europa zeigt sich ein ähnlicher Effekt. Auch hier ist der Anleihemarkt deutlich stärker fragmentiert als noch vor wenigen Jahren, wobei die Transaktionen und Volumen deutlich geschrumpft sind. Zudem ziehen sich Finanzinstitutionen weitgehend aus dem Handel mit Unternehmensanleihen zurück. Haben die Handelsabteilungen der Banken in den USA 2007 noch Unternehmensanleihen im Wert von mehr als 200 Milliarden US-Dollar gehalten, sind es heute weniger als 50 Milliarden US-Dollar. Ein Grund dafür sind die höheren Eigenkapitalanforderungen für die Banken beim Rentenhandel. Im Ergebnis fehlen Marktteilnehmer, die durch Käufe und Verkäufe für Liquidität im Bondmarkt sorgen. Diese Abnahme der Liquidität ist keine zyklische, sondern eine strukturelle Veränderung.

Vor diesem Hintergrund ist interessant, dass trotz des stärker fragmentierten Anleihemarkts die verwalteten Volumen in Renten-ETFs (Exchange Traded Funds, börsennotierte Indexfonds) global auf 421 Milliarden US-Dollar angestiegen sind. Mit einem Anleihe-ETF investieren Anleger nicht in eine einzelne Anleihe, sondern - über die Börse - breit gestreut in einen zugrunde liegenden Rentenmarkt. Betrachtet man die Statistiken, wird jedoch auch klar, dass der derzeitige Anteil der Renten-ETFs mit 0,3 Prozent nur einen Bruchteil am gesamten weltweiten Anleihemarkt, der 149 Billionen US-Dollar groß ist, darstellt.

Branchenexperten weisen darauf hin, dass derzeit die Zahlen insbesondere bei Unternehmens- und Hochzinsanleihen gegen ein systemisches Risiko von ETFs sprechen. Ganz im Gegenteil: ETFs ändern nicht die Liquidität des zugrunde liegenden Markts, aber sie etablieren über den Sekundärmarkt - also den Börsenhandel - eine zusätzliche Liquiditätsressource. Genau das benötigen Marktteilnehmer, insbesondere wenn Kapitalmärkte in Stress-situationen geraten. Dass dies keine graue Theorie ist, konnte man am 11. Dezember 2015 verfolgen, als es zu massiven Marktverwerfungen bei Hochzinsanleihen in den USA kam. Vergleicht man den Umsatz sowohl am Primär- als auch am Sekundärmarkt der zwei größten Hochzins-ETFs, zeigt sich, dass der Handelsumsatz der ETFs an der Börse bei 5,5 Milliarden US-Dollar lag. Im Gegenzug waren die Rücknahmen von ETF-Anteilen im Primärmarkt nur 0,56 Milliarden US-Dollar hoch. Das heißt, dass Marktteilnehmer in dieser Stressphase entschieden haben, 90 Prozent ihres ETF-Handelsvolumens über die Börse vorzunehmen und die dortige Liquidität zu nutzen anstatt die Anleihen physisch vom ETF-Anbieter zu erhalten. Anders formuliert: Das Gros der Marktteilnehmer sucht in angespannten Kapitalmarktsituationen nach liquiden Lösungen und findet sie in börsennotierten Indexfonds. Aufgrund dieser zusätzlichen Liquiditätsquelle können ETFs zu einem Teil der Lösung für liquide Anleihemärkte werden.

Eric Wiegand

Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre sowie -Finance begann Wiegand bei der Deutschen Bank im Investment Banking. Er war unter anderem als Produktspezialist im Bereich Deutsche Asset & Wealth Management für passive Investmentlösungen für Deutsche-Bank-Kunden verantwortlich. Die Deutsche AWM stellt eine breite Palette an Finanzdienstleistungen für vermögende Privatanleger zur Verfügung.