Harvard-Absolvent Whitney Tilson baute vor 23 Jahren einen eigenen Hedgefonds mit einer Million Dollar Startkapital auf. In der Spitze managte er 200 Millionen Dollar. Doch als seine umfangreichen Short-Wetten dann floppten, musste Tilson seinen Fonds schließen. Der New Yorker, der schon lange mit Hedgefonds-Guru Bill Ackman befreundet ist, hat umgesattelt. Heute ist der Finanzprofi als Newsletter- und Buchautor sowie durch TV-Auftritte bekannt. Tilson über den Börsenabsturz und das Geheimnis des Glücklichseins.

€uro am Sonntag: Sie hatten Ihren eigenen Hedgefonds, waren erfolgreich, dann war es aus. Wie kam das?

Whitney Tilson: Die ersten zwölf Jahre hatte ich viel Glück. 2008 kam es dann mit Lehman und der Finanzkrise zum Crash. Ich dachte, es wird ein weiterer Absturz folgen. Mein Schiff war vorbereitet für einen schweren Sturm. Ich hatte Shorts und viel Cash, war damit extrem defensiv. Im Rückblick ein Fehler, meine Renditen waren unbedeutend, alle anderen machten sehr viel Geld, der S & P 500 lief davon. Es war sehr frustrierend. Ich habe also 2017 meinen Hedgefonds geschlossen. Zum Glück landete ich auf den Füßen.

Sie stiegen ins Newsletter-Geschäft ein.

Ich mag das Schreiben, und ich mag Stockpicking. Die Leser verwalten da ihr eigenes Geld. Nicht den Druck zu haben, das Geld anderer Leute während eines Absturzes zu managen - das sind hundert Pfund weniger, die auf meinen Schultern lasten. Ich empfinde nicht den täglichen Druck, die Ruhestandsrücklagen meiner Eltern zu investieren.

Wie haben Ihre Eltern Sie beeinflusst?

Meine Eltern waren bereits einige Jahre, bevor ich geboren wurde, verheiratet. Sie verbrachten fast ihr gesamtes Leben in der internationalen Entwicklungshilfe. Sie gingen in Kenia in den Ruhestand. Es sind wunderbare Menschen, sie wollen einen Unterschied in dieser Welt machen. Sie sind beide Lehrer. Auch ich lehre etwas: das Investieren. Warren Buffett und sein Partner Charlie Munger tun das auch. Ich bringe es der nächsten Generation bei. Daneben bin ich sehr engagiert in Wohltätigkeitsorganisationen bis hin zu Hilfen in Afrika. Wohltätigkeit ist ein großer Teil meines Lebens, ich lernte das von meinen Eltern. Jüngst habe ich versucht, die Ukraine zu unterstützen.

Und, hat es funktioniert?

Ja, ich habe sehr schnell eine große Summe eingesammelt. Ich rief Freunde an und schickte ein paar E-Mails. Der Vorteil von über 40 Jahren im Hedgefondsgeschäft ist, dass ich sehr wohlhabende Menschen kenne.

Wer hat Sie in Ihrem Leben und Ihrer Karriere am meisten beeinflusst?

Charlie Munger hatte den größten Einfluss auf mich, sowohl als Investor als auch auf mein privates Leben. Er lehrt, wie man gute Gewohnheiten entwickeln kann. Er sagt: Habe immer eine hohe Integrität. Heirate die richtige Person. Ich schrieb letztes Jahr ein Buch darüber (Whitney Tilson: "The Art of Playing Defense: How to Get Ahead by Not falling Behind"). Ich teile die Lehren, die ich hauptsächlich von Buffett und Munger gelernt habe.

Sie gehen schon seit mehreren Dekaden zur Aktionärsversammlung von Berkshire Hathaway. Wie war es dieses Jahr?

Es war mein 25. Jahr in Folge und das erste persönliche Treffen seit drei Jahren. Es hat viel Spaß gemacht, ich habe viel gelernt. Und ich traf viele alte Freunde und lernte neue kennen.

Ist Berkshire Hathaway nach wie vor ein Kauf für Sie oder wird die Beteiligungsfirma nur noch fair bewertet?

Ich sehe den inneren Wert je Berkshire-A-Aktie bei 542.000 Dollar, während die Aktie nur bei etwa 406.000 Dollar notiert. Es gibt also einen Rabatt.

Wäre ein ETF auf den S & P 500 Index nicht besser, weil er breiter gestreut ist?

In den letzten Jahren lief Berkshire dem S & P 500 Index etwas hinterher. Aber ich denke, ich ziehe Berkshire wegen des Rabatts auf den inneren Wert vor. Berkshire kann vielleicht ein oder zwei Prozentpunkte im Jahr besser sein als der S & P 500. Wenn der Berkshire-Rabatt größer wird, wird die Aktie attraktiver und kann auch vier oder fünf Prozentpunkte besser performen.

Techaktien sind zuletzt stark abgestürzt. Sehen Sie hier eine Chance oder geht es weiter runter?

Der ARK Innovation Fonds von Cathie Wood sank binnen Jahresfrist um rund 75 Prozent. Besonders bei den kleinen Techs gibt es große Risiken. Ich warne meine Leser vor diesem Sektor und diesem speziellen Fonds. Wir sehen eine große Rotation hin zu Value. Aktien wie Berkshire Hathaway profitieren davon. Warren Buffett hat Cathie Wood bei der Performance längst eingeholt. Bluechip-Value-Aktien wie Johnson & Johnson oder Exxon Mobil haben dieses Jahr outperformt.

Was also kaufen, Tech oder Value?

Wenn ich heute neues Geld anlegen müsste, würde ich mir die Bluechips unter den Techs anschauen. Ich weiß nicht, ob ich die Aktien kaufen würde, die vorher mit dem 40-fachen Umsatzvielfachen bewertet wurden und nun für den zehnfachen Umsatz traden. Ich würde aber etwa Meta Platforms für den zehnfachen operativen Gewinn (Ebitda) kaufen. Das ist günstig genug. Alphabet ist um 25 Prozent gesunken, Amazon um 40 Prozent, Netflix steht 75 Prozent niedriger. Das sind gute Käufe. Das sind meine vier Bluechip-Aktien. Ich werde darüber hinaus zufrieden an meiner Berkshire Hathaway festhalten.

Was ist mit Ex-Highflyern wie Paypal, die auch gecrasht sind - was halten Sie davon?

Ich war kürzlich auf einem Studenten-Event bei der Columbia Business School, dort wurden die besten fünf Aktienideen in einem Investmentwettbewerb vorgestellt. Ich glaube, die beste Idee war Paypal. Es ist eine Firma, die sehr viel Barmittel generiert, sie ist Marktführer. Sie haben ihre Prognose deutlich reduziert, aber die Aktie tradet mit dem knapp 20-Fachen des erwarteten Gewinns in diesem Jahr. Im November tradeten sie für das 100-Fache. Es sieht jetzt interessant aus - selbst für einen Value-Anleger wie mich.

In Ihrem Leben spielt Sport eine wichtige Rolle. Warum ist das so, hilft Ihnen die körperliche Bewegung denn letztlich im Job?

Ich spiele in drei Tennisteams in New York, spiele viel Basketball. In den vergangenen sieben Jahren habe ich dann mit Bergsteigen und Klettern angefangen. Wer den Film "Free Solo" gesehen hat, weiß, dass Alex Honnold die 1.000 Meter hohe Granitwand des El Capitan im Yosemite National Park ohne Sicherung überwunden hat. Mich inspirierte das, jemanden anzuheuern, um den gleichen Fels zu bezwingen. Mit Seilen brauchte ich vier Tage. Honnold brauchte ohne vier Stunden, ein Fehler wäre tödlich gewesen. Jedes Jahr versuche ich so etwas zu machen. Ich bestieg den Mont Blanc, das Matterhorn, Eiger, Jungfrau, Mönch. Im Freien zu sein ist großartig und die einzige Zeit, in der ich nicht über meine Mails nachdenke oder darüber, was ich noch alles lesen muss. Ich esse gesund, investiere viel Zeit in die Investmentwelt und den Sport.

Wie wichtig ist Ernährung für Sie?

Darauf lege ich großen Wert. Wenn ich zu Hause arbeite, frühstücke ich Müsli mit Bananen. Ich trinke etwas Cola Light wegen des Koffeins, weil ich keinen Kaffee mag. Meine Frau kocht gewöhnlich ein gesundes Abendessen. Ich achte auf moderate Portionen. Ich werde aber auch nicht nervös wegen einem Eis. 90 Prozent der Zeit esse ich ziemlich gesund. Ich achte darauf, schlank zu bleiben.

In Ihrem Buch geht es auch um die Ehe. Was ist das Geheimnis einer langen und glücklichen Beziehung?

Es ist ein zweistufiger Prozess. Sie müssen die richtige Person heiraten. Und Sie müssen zunächst herausfinden, ob es die richtige Person ist. Ich habe in meinen Buch einige Fragen zusammengetragen, die Sie beantworten sollten, bevor Sie heiraten. Etwa: Ist die Person, die Sie heiraten wollen, freundlich und gutherzig? Teilt Sie Ihre Weltanschauung? Haben Sie ähnliche Interessen? Und abgesehen von der Beziehung - könnten Sie beide Freunde sein? Haben Sie ein wildes und passioniertes Sexleben? Diese Frage habe ich als Letztes auf der Liste, weil sie bei zu vielen jungen Leuten offenbar an erster Stelle steht. Ich habe einen Freund, der mit einer extrem attraktiven Frau verheiratet ist - und der dann Jahre später feststellte, dass er mit einer gemeinen Person verheiratet ist.

Vita:

Wall Street und die Gipfel

Tilson ist Harvard-Absolvent, Finanzprofi und Extremsportler. Der 55-Jährige hängt schon mal über Nacht in einem Schlafsack angekettet am Fels. Seine Gattin ist mit einer Lebensversicherung im Wert von zehn Millionen Dollar abgesichert. Der verheiratete Vater dreier Töchter lebt am Central Park. Seinen kostenlosen Newsletter "Empire Financial Research" lesen täglich rund 40.000 Abonnenten.