Wer in diesem Frühjahr Lust verspürt, ein neues Fahrrad zu kaufen, womöglich eines mit Elektromotor, muss Geduld haben. Beim Bielefelder Onlinehändler Lucky Bike etwa, mit dem der bayerische Händler Radlbauer verbandelt ist, finden Interessenten nur noch wenige E-Bike-Modelle online. Ist etwas Passendes dabei, braucht es Glück, die richtige Rahmengröße zu erwischen. Der stationäre Handel ist ebenfalls beinahe leer gefegt, Kunden müssen lange Bestellfristen in Kauf nehmen. Und hat man zwar ein Rad, benötigt aber Ersatzteile wie Kette oder Ritzel, folgt das gleiche Spiel: Die Lieferzeiten liegen beim japanischen Teileproduzenten Shimano teils bei Wochen, manchmal bei Monaten.

Die Fahrradbranche boomt. Schon im vergangenen Jahr kurbelte der Absatz in Deutschland laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) um 17 Prozent nach oben. In diesem Jahr läuft die Radl-Welle ungebremst weiter. Zum einen gibt die Pandemie Rückenwind, viele Pendler entdecken das Zweirad als gesunde und vor allem kontaktarme Alternative zu öffentlichen Verkehrsmitteln. "Fahrradfahren ist relevanter denn je, das zeigt sich gerade in der Corona-Pandemie sehr deutlich", sagt ZIV-Geschäftsführer Ernst Brust.

Technische Innovationen tun ihr Übriges. Die größten Zuwachsraten mit über 40 Prozent verzeichnet die Branche bei den E-Bikes. Der Elektromotor hilft auch ungeübten Radlern zügig über Hügel - und er verleiht dem ehemals bescheidenen Geschäft mit den Drahteseln beachtliches Umsatz-Drehmoment. Im Schnitt geben Kunden für ein neues E-Bike fast 3.000 Euro aus, der wachsende Elektroanteil am Ansatz lässt die Durchschnittspreise stetig klettern, von einst weit unter 1.000 auf inzwischen rund 1.300 Euro pro Fahrrad. 2020 trieb der E-Bike-Turbo das Branchenvolumen in Deutschland um gut 60 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro, Tendenz steigend.

Lieferengpässe bremsen

Allerdings stellen Pandemie und hohe Nachfrage Hersteller auch vor große Herausforderungen. Beispiel Accell: Der niederländische Konzern ist einer der größten Fahrradproduzenten Europas und vereint bekannte Marken wie Haibike oder Ghost sowie Edelmarken wie Lapierre, die bei kaufkräftigen Amateuren und Sportlern beliebt sind. Die Lockdowns zwangen die Niederländer 2020 teils zu umfangreichen Verlagerungen ihrer Bestände über Landesgrenzen hinweg. Zugleich waren die Lieferketten vielfach unterbrochen. "Es war ein störungsreiches, kompliziertes Jahr", so Vorstandschef Ton Anbeek.

Gleichwohl wuchs das Geschäft dank des E-Bike-Booms um 17 Prozent, der operative Gewinn zog um 25 Prozent an. Die E-Räder stellen weit über die Hälfte des Umsatzes der Niederländer, sie sehen sich hier als Europas Nummer 1. Aber auch Nischentrends lassen Accell wachsen. So etwa die Cargos, das sind ausladende, meist elektrifizierte Lastenräder, die vielen jungen Familien in Städten als Autoersatz dienen. Das Geschäft soll sich mittelfristig verdoppeln.

Ist der Boom nachhaltig? Diese Frage treibt auch Manager Anbeek um. "Ich sehe hier keine Blase. Der Wachstumstrend hält an", sagt der Niederländer. Anbeek prognostiziert für 2021 ein Umsatzplus bei Accell von acht bis 15 Prozent. Ähnlich beurteilt Hubert Trunkenpolz, Vorstand beim Zweiradkonzern Pierer Mobility, die Lage. Die Österreicher fahren den Großteil ihres Geschäfts mit kleineren Motorrädern ein, sind aber auch mit ihren E-Bikes etwa der Marke Husqvarna sehr erfolgreich. So stark wie 2020 schätzt Trunkenpolz den diesjährigen Marktzuwachs zwar nicht ein. Zwischen zehn und 20 Prozent werde das Geschäft im deutschsprachigen Raum jedoch wachsen. "In anderen Märkten Europas stehen wir hier erst am Beginn", so Trunkenpolt.

Der Rückenwind hält an, dennoch ist die Piste holprig. Denn der größte Teil wichtiger Komponenten wie Ketten, Ritzel, Reifen oder Elektronik wird in Asien produziert. Und die Folge Covid-bedingter Vorsichtsmaßnahmen sowie teils deutlich steigender Nachfrage bleiben neben hohen Frachtkosten vielfach noch ausgebuchte Produktionskapazitäten. "Komponentenhersteller sind schlicht nicht in der Lage, genügend zu liefern", sagt Accell-Chef Anbeek.

Am Anschlag arbeitet etwa Shimano. Der weltweit größte Lieferant von Bike-Teilen stellt inzwischen neben Schaltungen oder Bremsen auch Motoren für E-Bikes her. Die Kapazitäten begrenzen zwar den Absatz, doch die Preise ziehen an. Wie stark der Antrieb im Kerngeschäft derzeit ist, zeigten die jüngsten Ergebnisse: Im Quartal bis Ende März beschleunigte der Umsatz um zwei Drittel, der operative Gewinn sogar auf das Zweieinhalbfache des Vorjahres.

Dank der hohen Nachfrage können die Fahrradhersteller die höheren Einkaufspreise weitergeben. Ende März hat etwa die Bocholter Rose Bikes, einer der größten Versender in Deutschland, die Preise um acht bis zwölf Prozent erhöht. "Wir erreichen im laufenden Jahr den ursprünglich geplanten E-Bike-Absatz wegen der Engpässe wohl nicht. Unsere Umsatzziele aber schon, denn Kunden kaufen auch zu höheren Preisen", sagt Pierer-Vorstand Trunkenpolt.

Gutes Gewissen erradeln

Dass Radler das weiterhin mitmachen, dafür spricht neben dem allgegenwärtigen Fitnesstrend das gute ökologische Gewissen, das der Sport mit sich bringt. Zumal die Politik den positiven Umwelt- und Klimaeffekt zunehmend fördert, Beispiel Großbritannien: Premier Boris Johnson will zwei Milliarden Pfund in den Ausbau des Rad- und Fußwegenetzes investieren. In Deutschland ist die Auto-Lobby zwar nach wie vor stark. Doch selbst ehemals Auto-fixierte Städte wie München denken um und bauen ihr Radwegenetz aus.

Wegen der großen Entfernungen fehlt es in den USA oft an guten Radwegen. Radbegeisterte in den Staaten und in Kanada schwingen sich dennoch neuerdings in Scharen in den Sattel. Mit oft luftgefederten und elektrifizierten Mountainbikes geht es in die Natur - oder in Bike-Parks. Viele Skigebiete erschließen wegen des Klimawandels neue Klientel: Per Lift rauf auf den Berg, auf Radl-Trails variabler Schwierigkeitsgrade nach unten. Das geht in den Rocky Mountains so gut wie in den Alpen - wenn gerade kein Schnee liegt.
 


INVESTOR-INFO

Accell

Profiteur der Radlwelle

Der Fahrradkonzern hält ein breites Portfolio an Marken über alle Preisklassen. Beim Umsatzschwerpunk E-Bikes sieht sich Accell als Europas Nummer 1. Stark wachsen auch Cargo-Räder und der Teileverkauf. Die Nachfrage hält an, der Schwerpunkt des Geschäfts verschiebt sich wie schon 2020 ins zweite Halbjahr. Analysten rechnen bis einschließlich 2022 mit einem jährlichen operativen Gewinnplus von im Schnitt um 20 Prozent.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 52,00 Euro
Stoppkurs: 33,00 Euro

Pierer Mobility

Internationale Stärke

Die Österreicher profitieren vom E-Bike-Boom, der Bereich wächst überproportional. Das Gros des Umsatzes stammt aus dem Motorrad-Segment. Pierer konzentriert sich auf kleine Maschinen, gewinnt hier in Europa und den USA Marktanteile. Indien, China sowie die USA sind Wachstumsmärkte. Die Österreicher starten 2022 bei E-Scootern, wollen bei kleineren Motorrädern und Rollern den Verbrenner sukzessive durch E-Antriebe ersetzen. Hohes Gewinnwachstum.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 90,00 Euro
Stoppkurs: 59,00 Euro

Shimano

Ausgebuchter Teile-Primus

Japans Fahrradteilehersteller ist weltweite Nummer 1. Überraschend: Rund 20 Prozent des Geschäfts macht Shimano mit Angelausrüstungen. Die Kapazitäten bei Bike-Teilen sind ausgebucht, was 2021 zu einem starken Gewinnanstieg führen wird. Shimano prognostiziert hier ein Plus auf Nettobasis von 36 Prozent. Bei der jüngsten Quartalsvorlage wurde die Jahresprognosen nicht erhöht, das enttäuschte. Analysten erwarten 2022 eine Stagnation beim operativen Gewinn. Halten.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 200,00 Euro
Stoppkurs: 135,00 Euro