Kolumnist JÖRG LANG beschäftigt sich seit 1988 mit dem Thema Aktien. Heute schreibt er, warum es an den Börsen aktuell zu viel Pessimismus gibt. 

Selbst sehr erfahrene Börsianer haben eine vergleichbare Situation mit so niedrigen Bewertungen bei vielen Bluechips nur ganz selten erlebt (wenn überhaupt): Die Relationen zwischen Kurs und Gewinn (KGV) liegen bei zwei, drei oder vier. Das KGV ist die beliebteste Bewertungskennzahl: Der Kurs wird durch den Gewinn pro Aktie geteilt. Der Cocktail für die aktuelle Situation enthält auf der ei­nen Seite niedrige Kurse; hier spiegelt sich die Angst, dass die Geschäfte etwa wegen Energiemangels einbrechen. Auf der ande­ren Seite speisen sich die Gewinnprogno­sen aus dem hohen Auftragsbestand. Hier besteht ein Widerspruch. Haben die Kurs­pessimisten recht, sind die Gewinnprogno­sen zu hoch. Stimmen Letztere hingegen, müssen die Kurse steigen. Ein Unterneh­men, dem der Pessimismus wie ein Orkan entgegenbläst, ist Salzgitter. Das KGV auf Basis des laufenden Geschäftsjahres liegt bei lediglich 1,5. Selbst wenn ein massiver Gewinnrückgang 2023 eingerechnet wird, hätte Salzgitter bereits Ende 2023 nahezu den kompletten Börsenwert über die Ge­winne zurückverdient.

Natürlich ist der Stahlhersteller mit den Unwägbarkeiten einer Energiekrise kon­frontiert. Doch das betrifft den halben Kurszettel. Die meisten Werte werden aber viel höher gehandelt. Und bei Salz­gitter kommt noch hinzu, dass der Kon­zern erhebliche Substanz enthält, die im Kurs nicht enthalten sein kann. Da ist zum einen die Beteiligung von 30 Prozent an Aurubis, die schon mal 900 Millionen des 1,5 Milliarden Euro schweren Börsenwerts abdecken. Dazu kommt noch, dass Salzgitter für rund 1,5 Milliarden Euro CO2­Zerti­fikate hält, die Dank der Kurssteigerungen der vergangenen Jahre hohe stille Reser­ven von mehreren Hundert Prozent auf­ weisen. So ist es keine zu gewagte An­nahme, dass das Geschäft mit Stahl und Stahlhandel an der Börse implizit mit ei­nem negativen Wert bewertet wird. Das scheint auch angesichts der dicken Er­träge und der hohen Auslastung ziemlich pessimistisch zu sein.