Börse Online: Sie beobachten seit Jahrzehnten das Auf und Ab der Finanzmärkte und den DAX seit dessen Start im Jahr 1988. Der deutsche Leitindex ist im Herbst rund- erneuert und von 30 auf 40 Werte ausgeweitet worden. Was hat das gebracht?
Gottfried Heller: Dem DAX hat die Reform sicher gutgetan. Die Streuung ist breiter geworden, und die Struktur hat sich mit der Aufnahme von mehr Unternehmen aus den sogenannten Zukunftsbranchen verbessert. Dadurch gewinnt der DAX auch international wieder etwas mehr an Gewicht.
Das alles ging auf Kosten des Nebenwerteindex MDAX, der Konzerne wie Airbus, Symrise, Sartorius, Porsche Holding, Puma oder Qiagen an den DAX abgeben musste. Ist er wirklich der große Verlierer der Reform?
Beim MDAX sieht es in der Tat schlechter aus. Er hat einige reizvolle Aktien verloren, entsprechend hat er sich seit der Indexumstellung etwas schwächer als der DAX entwickelt. Das ist ungewöhnlich, in der Vergangenheit hatte er ja deutlich besser abgeschnitten als der DAX. Beim SDAX sieht es ähnlich wie beim MDAX aus. Diese beiden Nebenwerteindizes haben aber wieder bessere Chancen als der DAX, sobald die deutsche Wirtschaft wieder eine schnellere Gangart einschlägt. Denn MDAX und SDAX sind ziemlich konjunkturabhängig.
Wo steht der DAX am Jahresende 2022?
Er wird höher liegen als zurzeit, aber der Zuwachs dürfte geringer ausfallen als 2021. Angesichts der Unwägbarkeiten, die uns 2022 erwarten, insbesondere die Wende in der Geldpolitik, halte ich eine Punkteprognose für unseriös.
Welche Unwägbarkeiten meinen Sie da konkret?
Chipmangel und Lieferengpässe dürften zwar konjunkturbedingt etwas nachlassen, aber trotzdem das Wachstum weiter belasten. Vor allem aber sind die Blicke auf die Notenbanken gerichtet. EZB-Chefin Christine Lagarde beteuert zwar, dass es 2022 keine Zinserhöhungen geben werde. Aber in puncto Liquidität wird die EZB den Hahn aufgrund der hohen Inflation etwas zudrehen müssen, um ihre Glaubwürdigkeit nicht ganz einzubüßen. Wie stark und schnell, ist aber unklar. Diese Straffung der Geldpolitik ist ein Unsicherheitsfaktor für die europäischen Märkte. Niemand weiß, wie sich das auf Wirtschaft und Börsen auswirkt. Die Notenbanker betreten Neuland, denn eine so gewaltige Liquidität und so niedrige Zinsen gab es noch nie. Und die ersten Schritte sind vermutlich die gefährlichsten und werden an den Börsen besonders kritisch beobachtet.
Ist der Inflationsschub dauerhaft?
Den vorläufigen Inflationshöhepunkt dürften wir auch wegen der Konjunkturabkühlung schon erreicht haben. Dennoch wird uns eine Inflationsrate deutlich oberhalb der von den Notenbanken angestrebten zwei Prozent noch lange verunsichern, zumal Löhne und Gehälter mit Verzögerung nach oben folgen dürften.
Was raten Sie Anlegern in diesem Umfeld?
Ich war noch nie ein großer Freund von Gold und bin auch bei Kryptowährungen ausgesprochen skeptisch. Aktien sind als Sachwerte generell ein guter Inflationsschutz, jetzt mehr als je zuvor. Anleihen und andere Zinsanlagen führen dagegen zu einem so starken Kaufkraftverlust wie selten zuvor. Wer eine positive Realrendite mit seinen Investments anstrebt, kann auch 2022 auf Aktien nicht verzichten.
Wo sehen Sie besondere Chancen?
Das insgesamt eine Billion Dollar schwere Infrastrukturprogramm von US-Präsident Joe Biden wird der Konjunktur in den USA und seinen Handelspartnern einen Schub verleihen. An der Wall Street werden die typischen Infrastrukturanbieter, insbesondere Bauunternehmen und ihre Zulieferer, noch stärker in den Fokus der Anleger geraten. Auch ausländische Unternehmen haben hier durchaus Chancen. Mit Indexfonds auf Infrastrukturanbieter wie dem iShares Global Infrastructure (WKN: A0L EW9) lässt sich der gesamte Sektor bequem und breit gestreut ab- decken.
Welche Branchen und Regionen halten Sie außerdem für aussichtsreich?
Für aussichtsreich halte ich den globalen Gesundheitssektor (ETF-Vorschlag: Xtrackers MSCI World Health Care, WKN: A11 3FD) sowie europäische Small Caps (ETF-Vorschlag: iShares Euro Stoxx Small, WKN: A0D K61). Daneben empfiehlt sich ein global orientiertes Investment in Aktien aus den Industrie- und Schwellenländern (ETF-Vorschlag: iShares ACWI UCITS ETF, WKN: A1J MDF) sowie der von der Fiduka Depotverwaltung gemanagte globale Mischfonds Pro Select (WKN: A2H 5PL).