BÖRSE ONLINE: Wie haben Sie in den letzten Tagen den Krypto-Crash erlebt?
Philipp Sandner: Tage? Der Krypto-Crash begann schon Anfang Mai mit dem Terra-Luna-Desaster und dauerte bis zuletzt an. Von vormals 38.000 Dollar ging es beim Bitcoin nun runter auf 18.000 Dollar. Dann begann ein weiterer Absturz Anfang Juni und kochte dann immer weiter hoch. Das macht einem teilweise die Stimmung natürlich kaputt.
BÖRSE ONLINE: Einige Analysten und Trader hatten die Region um 20.000 Dollar immer wieder angesprochen. Nicht zuletzt, weil dort das alte Allzeithoch lag. Denken Sie, mit dem Erreichen dieser Marke ist die Korrektur nun beendet?
Sandner: Das ist natürlich ganz schwierig vorherzusagen, aber wir sind ja schon unter 20.000 Dollar gefallen. Irgendwann wird der Boden erreicht sein. Es ist gut möglich dass das zwischen 18.000 Dollar und 19.000 Dollar der Fall ist - wir dürfen nicht vergessen: Bitcoin erlebt eine langfristige Adoption. Solche Schätzungen soll man generell auch eigentlich nicht machen. Ich persönlich denke, dass es das jetzt im Großen und Ganzen bald mal gewesen sein sollte. Aber letztlich werden Kurse ja durch Angebot und Nachfrage gemacht. Das heißt, wenn große Anleger weiter verkaufen, wie etwa Krypto-Fonds oder Miner oder wenn deren Positionen liquidiert werden, dann können die Kurse natürlich noch weiter runtergehen. Und eines der großen Risiken ist ja auch, dass viele Investoren - auch große Krypto-Fonds Kryptowährungen auf Kredit gekauft haben. Wenn dann solche Investoren dazu gezwungen werden, ihre Kryptos zu verkaufen, dann kommt es zu solchen Kettenreaktionen.
BÖRSE ONLINE: In diesem Sinne müssten sich Anleger also auch darauf einstellen, dass es noch weiter abwärts geht?
Sandner: Das kann passieren natürlich. Sie müssen sich das vorstellen wie einen Ballon. Wenn da die Luft rausgeht, dann wird der Ballon immer kleiner, aber er verschwindet ja nicht. Er schrumpft einfach auf ein normales Maß zurück. Das ist aber nur die kurze Frist. Unabhängig davon, was gerade am Markt abgeht bin ich weiterhin voll vom Bitcoin und manch anderen Krypto-Assets mit ihrer Technologie überzeugt. Der Bitcoin lässt sich technisch gesehen von den ganzen Turbulenzen auch nicht durcheinander bringen. Alle zehn Minuten wird weiterhin ein neuer Block gebildet. Egal ob es stürmt und schneit. Das finde ich technisch gesehen schon beeindruckend. Man muss sich das genau vor Augen führen: Mit Bitcoin wurde ein System geschaffen, das nie wieder ausgeschaltet werden kann. Das heisst auch, dass wenn ich in 30 Jahren in Rente gehe, Bitcoin immer noch laufen wird. Das kann man sich kaum vorstellen, aber genau das macht die Technologie so faszinierend. Außerdem bin ich wegen zwei spezieller Gründe positiv. Denn Bitcoin ist limitiert auf 21 Millionen Tokens. Und mit der Inflation, die da ist und auch da bleibt, müssten Anleger über die Zeit den Wert von "knappen Assets" erkennen - im Gegensatz zum Gelddrucken der Zentralbanken, was das Gegenteil von Knappheit bedeutet.
BÖRSE ONLINE: Da muss man aber mal einhaken. Denn: Zuletzt hieß es oft, der Bitcoin sei ein sicherer Hafen, das digitale Gold und ein Inflationsschutz. Das lässt sich doch jetzt gar nicht mehr halten.
Sandner: Mir ist bewusst, dass man dies nun kritisieren kann und es aktuell nicht sonderlich glaubwürdig klingt: Doch ich bin immer noch überzeugt, dass der Bitcoin sich auf die lange Frist als Inflationsschutz eignet, also mehrere Jahre. Denn Inflation ist ja was langfristiges. Sie frisst sich ja langsam in die Preise. Wir sehen das an der Tankstelle und im Supermarkt. Ich glaube, dass diese Preise weiter steigen werden, vielleicht aber langsamer. Also muss man meiner Meinung nach die Bitcoin-Preisentwicklung und die Inflation langfristig vergleichen und darf hier nicht auf die Tagesschwankungen des Bitcoins zurückgreifen. Man kann beim Bitcoin zum Beispiel die 200-Wochen-Linie anschauen. Diese Linie stieg immer an und so kann man den kurzfristig stark schwankenden Preis ausblenden. Bitcoin ist ein langfristiges Thema.
BÖRSE ONLINE: Sie haben verschiedene Bereiche des Krypto-Bereichs angesprochen. Den Bitcoin, den Altcoin-Bereich, DeFi und dann vielleicht Metaverse/NFT. Wie schätzen Sie diese Bereiche ein?
Sandner: Im Wesentlichen kann man diese Einteilung so vornehmen. Für mich gibt es den Bitcoin als eigene Kategorie, weil alleine dieser eine Krypto-Wert rund 40 Prozent des gesamten Marktes ausmacht. Dann haben Sie die Smart-Contract-Plattformen, die auch einen relativ großen Bereich bilden, die US-Dollar-Stablecoins, die DeFi-Protokolle und dann das ganze NFT- und Metaverse-Feld. Teilweise haben diese Felder klar gezeigt, dass sie Substanz haben, wie der Bitcoin. Doch andere Bereiche, wie etwa der NFT-Bereich, müssen diesen Beweis meiner Meinung nach erst noch antreten. Die Technik funktioniert, das haben wir jetzt 1 Jahr lang gesehen, aber haben NFTs eine materielle Substanz? Da bin ich skeptisch.
BÖRSE ONLINE: Auch die zweitgrößte Kryptowährung Ethereum hat stark verloren. Zudem könnte ab August das große Update auf Ethereum 2.0 folgen. Worauf muss man sich gefasst machen?
Sandner: Wenn dieser Umstieg nicht gelingt, könnte es passieren, dass die Blockchain stehen bleibt oder dass sie sich in zwei Blockchains spaltet. Es kann also einen Fork geben. Man kann auch aktuell durchaus annehmen, dass Investoren ihre Ether aufgrund dieser Risiken verkaufen und umschichten; aus Angst davor, dass es bei der Umstellung zu Problemen kommt. Doch wenn Ethereum diesen Zeitpunkt übersteht und der Umstieg gelingt, dann könnte dieses Projekt natürlich stärker daraus hervorgehen. Doch eins kann man nicht oft genug betonen: Der Bitcoin hingegen produziert alle zehn Minuten einen neuen Block wie ein Schweizer Uhrwerk. Auch diese ganze Volatilität, die für Anleger schmerzhaft ist, hat hier rein gar nichts in der Bitcoin-Blockchain durcheinandergebracht. Technisch gesehen läuft Bitcoin wie am Schnürchen. Das darf man bei der ganzen Diskussion nicht vergessen.
BÖRSE ONLINE: Der Crash von Terra Luna war katastrophal für viele Anleger. Jetzt ist auch noch Celsius und der Krypto-Fonds 3AC in Schieflage geraten. Wie können Anleger sich hier schützen?
Sandner: Das ist sehr schwierig. Lassen Sie uns kurz rekapitulieren. Terra Luna hatte einen ganz großen Fehlgriff bei der Konzeption des ganzen Projekts. Früher oder später musste es implodieren - wie Wirecard. Bei Celsius ist das Problem, dass dort langfristige Verpflichtungen mit Kryptos von Kunden eingegangen wurden, sodass die Kunden kurzfristig nicht an ihre Kryptos kommen. Bei Celsius ist es ein Managementfehler, fehlendes Risiko-Controlling und auch fehlende Regulierung. Der Krypto-Fonds 3AC ist enorme Risiken eingegangen; also auch hier ein gescheitertes Risikomanagement. Irgendwann werden solche Projekte ausgesondert worden sein oder alternativ diese aktuell schwere Zeit überstanden haben. Dann wird die derzeit sehr negative Stimmung verschwinden.
BÖRSE ONLINE: Was würden Sie Anleger aktuell raten? Was könnte in der nächsten Zeit noch passieren und wie agiert man nun am besten?
Sandner: Es ist unmöglich dies kurzfristig vorherzusagen. Der ganze Markt könnte immer noch weiter runtergehen. Dass alles so stark fällt wie aktuell, hätte ich auch nicht gedacht. Doch so langsam dürften wir einen Boden erreicht haben. Für den Anleger ist wichtig, nur in Krypto-Assets zu investieren, wenn er diese versteht. Im Zweifel ist das am ehesten Bitcoin. Weiterhin ist wichtig, ein Investment auf Bafin-regulierten Börsen zu tätigen. Und die Erfahrung zeigt, dass Sparplan-Ansätze die Volatilität am besten rausfiltern. Heisst konkret: jeden Monat einen bestimmten Betrag investieren. Das gilt auch für das Anlegen in ETFs. Viele Anleger sagten nun ein Jahr lang, dass Bitcoin zu teuer sei und man nicht mehr investieren könne. Nun ist er gerade "billig" relativ zu früheren Höchstständen. Mittelfristig - also auf einen Zeithorizont von 3-6 Monaten glaube ich, dass Anleger wieder mehr Vertrauen gewinnen gerade auch wegen der Inflation die wirklich sorgenvoll stimmt.
Zur Person: Professor Philipp Sandner ist Gründer und Leiter des Frankfurt School Blockchain Center. Philipp Sandner ist darüberhinaus Mitbegründer verschiedener Blockchain-Vereinigungen und er sitzt im Verwaltungsrat von Unternehmen im Krypto-Venture-Capital-Bereich wie FiveT Fintech Fund, 21e6 Capital und Blockchain Founders Group.
Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Bitcoin, Ethereum, Terra Luna, Luna 2.0
Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Mehrheitsinhaber der alleinigen Gesellschafterin der Finanzen Verlag GmbH, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Bitcoin, Ethereum.